Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

So lange die französischen Truppen im Lande verweilten, stand dem
Kaiser, wenn er sich retten wollte, immer noch der Weg nach dem Meere
offen, und Nichts hinderte ihn, einer Macht zu entsagen, die nur noch dem
Namen nach bestand. Mit der Rückkehr nach Europa hätte er zugleich den
innigsten Wunsch Napoleons erfüllt, dem Alles daran lag, Maximilian noch
während der französischen Occupation aus dem Lande zu schaffen. Er war
so weit gekommen, daß er auch vor der verwerflichsten Maßregel, die geeig¬
net war, den Sturz des Kaiserthums zu beschleunigen, nicht zurückschreckte.
In der dem Vertrage von Miramare substituirten Convention halte Na¬
poleon sich verpflichtet, seine Truppen allmählich, und die letzte Abtheilung
nicht vor dem November 1867 zurückzuziehen. Von Seiten der Vereinigten
Staaten stand diesem Arrangement Nichts im Wege. Denn wenn dem Ka¬
binet von Washington eine augenblickliche Räumung auch das Erwünschteste
gewesen wäre, so hatte es doch (wie aus einer Depesche Sewards vom
22. Oetober 1866 klar hervorgeht) gegen eine successive bis zum Novem¬
ber 1867 durchzuführende Räumung Nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß
die erste Einschiffung noch im Herbst 1866 stattfände. Obgleich also in dieser
Beziehung Napoleon von den Vereinigten Staaten nicht gedrängt wurde, be¬
schloß er dennoch in offenem Widerspruch mit seinem gegebenen Worte, die
Räumung bis zum Frühjahr 1867 zu vollziehen, in der Absicht, den Sturz
seines Werkes zu beschleunigen und Maximilian das längere Verbleiben in
Mexico unmöglich zu machen. Nach Beseitigung des Kaiserthums hätte er
dann freie Hand gewonnen, sich mit den Gegnern Juarez' unter der republi¬
kanischen Partei über die Neugestaltung Mexico's zu verständigen.

Die Überwachung aller zur Durchführung dieser Intrigue erforderlichen
Maßregeln wurde dem Adjutanten des Kaisers, General Castelnau anver¬
traut, dessen Controle selbst der Marschall Bazaine unterworfen wurde. Was
der Zweck seiner Sendung war, darüber herrschte in Mexico durchaus kein
Zweifel; die republikanische Intrigue begrüßte die Ankunft Castelnau's laut
als das erste Todessymptom des Kaiserreichs. In der That schien es, als
ob die Krisis sich rasch und nach dem Wunsche des französischen Kabinets
entwickeln werde. Maximilian, durch die Nachricht von der Geisteskrankheit
seiner Gemahlin aufs tiefste erschüttert, entschloß sich zum zweiten Male, der Krone
zu entsagen. Nachdem er den Marschall Bazaine ersucht hatte, für Auf¬
hebung der terroristischen Gesetze Sorge zu tragen, begab er sich nach Ori-
zaba, um von dort aus nach nochmaliger Berathung mit seinen nächsten
Freunden seine Entschließungen kund zu thun. Aber in Orizaba sieht er sich
alsbald wieder von entgegengesetzten Einflüssen bestürmt. Ein Brief seines
belgischen Rathgebers Eloin aus Brüssel vom 17. September fordert ihn


68*

So lange die französischen Truppen im Lande verweilten, stand dem
Kaiser, wenn er sich retten wollte, immer noch der Weg nach dem Meere
offen, und Nichts hinderte ihn, einer Macht zu entsagen, die nur noch dem
Namen nach bestand. Mit der Rückkehr nach Europa hätte er zugleich den
innigsten Wunsch Napoleons erfüllt, dem Alles daran lag, Maximilian noch
während der französischen Occupation aus dem Lande zu schaffen. Er war
so weit gekommen, daß er auch vor der verwerflichsten Maßregel, die geeig¬
net war, den Sturz des Kaiserthums zu beschleunigen, nicht zurückschreckte.
In der dem Vertrage von Miramare substituirten Convention halte Na¬
poleon sich verpflichtet, seine Truppen allmählich, und die letzte Abtheilung
nicht vor dem November 1867 zurückzuziehen. Von Seiten der Vereinigten
Staaten stand diesem Arrangement Nichts im Wege. Denn wenn dem Ka¬
binet von Washington eine augenblickliche Räumung auch das Erwünschteste
gewesen wäre, so hatte es doch (wie aus einer Depesche Sewards vom
22. Oetober 1866 klar hervorgeht) gegen eine successive bis zum Novem¬
ber 1867 durchzuführende Räumung Nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß
die erste Einschiffung noch im Herbst 1866 stattfände. Obgleich also in dieser
Beziehung Napoleon von den Vereinigten Staaten nicht gedrängt wurde, be¬
schloß er dennoch in offenem Widerspruch mit seinem gegebenen Worte, die
Räumung bis zum Frühjahr 1867 zu vollziehen, in der Absicht, den Sturz
seines Werkes zu beschleunigen und Maximilian das längere Verbleiben in
Mexico unmöglich zu machen. Nach Beseitigung des Kaiserthums hätte er
dann freie Hand gewonnen, sich mit den Gegnern Juarez' unter der republi¬
kanischen Partei über die Neugestaltung Mexico's zu verständigen.

Die Überwachung aller zur Durchführung dieser Intrigue erforderlichen
Maßregeln wurde dem Adjutanten des Kaisers, General Castelnau anver¬
traut, dessen Controle selbst der Marschall Bazaine unterworfen wurde. Was
der Zweck seiner Sendung war, darüber herrschte in Mexico durchaus kein
Zweifel; die republikanische Intrigue begrüßte die Ankunft Castelnau's laut
als das erste Todessymptom des Kaiserreichs. In der That schien es, als
ob die Krisis sich rasch und nach dem Wunsche des französischen Kabinets
entwickeln werde. Maximilian, durch die Nachricht von der Geisteskrankheit
seiner Gemahlin aufs tiefste erschüttert, entschloß sich zum zweiten Male, der Krone
zu entsagen. Nachdem er den Marschall Bazaine ersucht hatte, für Auf¬
hebung der terroristischen Gesetze Sorge zu tragen, begab er sich nach Ori-
zaba, um von dort aus nach nochmaliger Berathung mit seinen nächsten
Freunden seine Entschließungen kund zu thun. Aber in Orizaba sieht er sich
alsbald wieder von entgegengesetzten Einflüssen bestürmt. Ein Brief seines
belgischen Rathgebers Eloin aus Brüssel vom 17. September fordert ihn


68*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124687"/>
            <p xml:id="ID_1546"> So lange die französischen Truppen im Lande verweilten, stand dem<lb/>
Kaiser, wenn er sich retten wollte, immer noch der Weg nach dem Meere<lb/>
offen, und Nichts hinderte ihn, einer Macht zu entsagen, die nur noch dem<lb/>
Namen nach bestand. Mit der Rückkehr nach Europa hätte er zugleich den<lb/>
innigsten Wunsch Napoleons erfüllt, dem Alles daran lag, Maximilian noch<lb/>
während der französischen Occupation aus dem Lande zu schaffen. Er war<lb/>
so weit gekommen, daß er auch vor der verwerflichsten Maßregel, die geeig¬<lb/>
net war, den Sturz des Kaiserthums zu beschleunigen, nicht zurückschreckte.<lb/>
In der dem Vertrage von Miramare substituirten Convention halte Na¬<lb/>
poleon sich verpflichtet, seine Truppen allmählich, und die letzte Abtheilung<lb/>
nicht vor dem November 1867 zurückzuziehen. Von Seiten der Vereinigten<lb/>
Staaten stand diesem Arrangement Nichts im Wege. Denn wenn dem Ka¬<lb/>
binet von Washington eine augenblickliche Räumung auch das Erwünschteste<lb/>
gewesen wäre, so hatte es doch (wie aus einer Depesche Sewards vom<lb/>
22. Oetober 1866 klar hervorgeht) gegen eine successive bis zum Novem¬<lb/>
ber 1867 durchzuführende Räumung Nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß<lb/>
die erste Einschiffung noch im Herbst 1866 stattfände. Obgleich also in dieser<lb/>
Beziehung Napoleon von den Vereinigten Staaten nicht gedrängt wurde, be¬<lb/>
schloß er dennoch in offenem Widerspruch mit seinem gegebenen Worte, die<lb/>
Räumung bis zum Frühjahr 1867 zu vollziehen, in der Absicht, den Sturz<lb/>
seines Werkes zu beschleunigen und Maximilian das längere Verbleiben in<lb/>
Mexico unmöglich zu machen. Nach Beseitigung des Kaiserthums hätte er<lb/>
dann freie Hand gewonnen, sich mit den Gegnern Juarez' unter der republi¬<lb/>
kanischen Partei über die Neugestaltung Mexico's zu verständigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1547" next="#ID_1548"> Die Überwachung aller zur Durchführung dieser Intrigue erforderlichen<lb/>
Maßregeln wurde dem Adjutanten des Kaisers, General Castelnau anver¬<lb/>
traut, dessen Controle selbst der Marschall Bazaine unterworfen wurde. Was<lb/>
der Zweck seiner Sendung war, darüber herrschte in Mexico durchaus kein<lb/>
Zweifel; die republikanische Intrigue begrüßte die Ankunft Castelnau's laut<lb/>
als das erste Todessymptom des Kaiserreichs. In der That schien es, als<lb/>
ob die Krisis sich rasch und nach dem Wunsche des französischen Kabinets<lb/>
entwickeln werde. Maximilian, durch die Nachricht von der Geisteskrankheit<lb/>
seiner Gemahlin aufs tiefste erschüttert, entschloß sich zum zweiten Male, der Krone<lb/>
zu entsagen. Nachdem er den Marschall Bazaine ersucht hatte, für Auf¬<lb/>
hebung der terroristischen Gesetze Sorge zu tragen, begab er sich nach Ori-<lb/>
zaba, um von dort aus nach nochmaliger Berathung mit seinen nächsten<lb/>
Freunden seine Entschließungen kund zu thun. Aber in Orizaba sieht er sich<lb/>
alsbald wieder von entgegengesetzten Einflüssen bestürmt. Ein Brief seines<lb/>
belgischen Rathgebers Eloin aus Brüssel vom 17. September fordert ihn</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 68*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0535] So lange die französischen Truppen im Lande verweilten, stand dem Kaiser, wenn er sich retten wollte, immer noch der Weg nach dem Meere offen, und Nichts hinderte ihn, einer Macht zu entsagen, die nur noch dem Namen nach bestand. Mit der Rückkehr nach Europa hätte er zugleich den innigsten Wunsch Napoleons erfüllt, dem Alles daran lag, Maximilian noch während der französischen Occupation aus dem Lande zu schaffen. Er war so weit gekommen, daß er auch vor der verwerflichsten Maßregel, die geeig¬ net war, den Sturz des Kaiserthums zu beschleunigen, nicht zurückschreckte. In der dem Vertrage von Miramare substituirten Convention halte Na¬ poleon sich verpflichtet, seine Truppen allmählich, und die letzte Abtheilung nicht vor dem November 1867 zurückzuziehen. Von Seiten der Vereinigten Staaten stand diesem Arrangement Nichts im Wege. Denn wenn dem Ka¬ binet von Washington eine augenblickliche Räumung auch das Erwünschteste gewesen wäre, so hatte es doch (wie aus einer Depesche Sewards vom 22. Oetober 1866 klar hervorgeht) gegen eine successive bis zum Novem¬ ber 1867 durchzuführende Räumung Nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß die erste Einschiffung noch im Herbst 1866 stattfände. Obgleich also in dieser Beziehung Napoleon von den Vereinigten Staaten nicht gedrängt wurde, be¬ schloß er dennoch in offenem Widerspruch mit seinem gegebenen Worte, die Räumung bis zum Frühjahr 1867 zu vollziehen, in der Absicht, den Sturz seines Werkes zu beschleunigen und Maximilian das längere Verbleiben in Mexico unmöglich zu machen. Nach Beseitigung des Kaiserthums hätte er dann freie Hand gewonnen, sich mit den Gegnern Juarez' unter der republi¬ kanischen Partei über die Neugestaltung Mexico's zu verständigen. Die Überwachung aller zur Durchführung dieser Intrigue erforderlichen Maßregeln wurde dem Adjutanten des Kaisers, General Castelnau anver¬ traut, dessen Controle selbst der Marschall Bazaine unterworfen wurde. Was der Zweck seiner Sendung war, darüber herrschte in Mexico durchaus kein Zweifel; die republikanische Intrigue begrüßte die Ankunft Castelnau's laut als das erste Todessymptom des Kaiserreichs. In der That schien es, als ob die Krisis sich rasch und nach dem Wunsche des französischen Kabinets entwickeln werde. Maximilian, durch die Nachricht von der Geisteskrankheit seiner Gemahlin aufs tiefste erschüttert, entschloß sich zum zweiten Male, der Krone zu entsagen. Nachdem er den Marschall Bazaine ersucht hatte, für Auf¬ hebung der terroristischen Gesetze Sorge zu tragen, begab er sich nach Ori- zaba, um von dort aus nach nochmaliger Berathung mit seinen nächsten Freunden seine Entschließungen kund zu thun. Aber in Orizaba sieht er sich alsbald wieder von entgegengesetzten Einflüssen bestürmt. Ein Brief seines belgischen Rathgebers Eloin aus Brüssel vom 17. September fordert ihn 68*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/535
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/535>, abgerufen am 29.06.2024.