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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Enkelin Ludwig Philipps waren ebenso vergeblich wie die Almonte's. Das
Opfer, welches sie ihrem Stolze brachte, hatte nur die Folge, den tragischen
Abschluß des Kaiserdramas einzuleiten.

In Mexico sah man, obschon durch die Annahme des neuen Vertrages
(vom 30. Juli) dem Kaiser der Schutz wenigstens eines Theiles der französi¬
schen Truppen bis zum November 18L7 gesichert schien, die Abreise der
Kaiserin als Signal zum Zusammensturz der Monarchie an. Abfall
und Verrath lichteten die Reihen der Kaiserlichen, in der Nationalarmee
lockerten sich die Bande der Disciplin mehr und mehr, die Zahl der Juaristen
wuchs von Tag zu Tag. Der Kaiser war auf dem Punkte angelangt, wo
er nur noch Freiheit zu unheilvollen Entschlüssen hatte. Unter diesen nimmt
eine der ersten Stellen die Ernennung des klerikalen Ministeriums ein, durch
die der Kaiser das Band, welches ihn mit der gemäßigten Partei verknüpft
hätte, völlig löste. Aber freilich hatte sich diese Verbindung bereits so sehr
gelockert, daß Maximilian, wenn er überhaupt noch auf ein nationales Element
sich stützen wollte, sich der äußersten Reaction in die Arme werfen mußte.
Auch stand der Schritt in einem gewissen Zusammenhang mit der Reise der
Kaiserin. Sie verfolgte nicht blos den Zweck, Napoleon umzustimmen, sie
wollte auch die Vermittelung des Papstes für Ausgleichung der kirchlichen
Streitigkeiten nachsuchen: freilich ein vergebliches Bemühen, da der Papst
weder auf Napoleon noch versöhnend auf die Gestaltung der Verhältnisse in
Mexico Einfluß zu üben im Stande war.

- Man kann nicht behaupten, daß die Ernennung des reactionären Ministe¬
riums den Sturz des Kaiserthums geradezu herbeigeführt habe; aber sie
wurde als ein Bekenntniß aufgefaßt, daß der Kaiser selbst seine Sache für
verloren ansah und nur noch den Eingebungen der Verzweiflung folge. Das
Kaiserthum fiel, sobald Frankreich es preisgegeben hatte; Maximilian konnte
seine Person nur durch Entsagung retten. Der beste Zeitpunkt für diesen
Schritt wäre der Augenblick gewesen, wo er die Nachricht von der Forderung
Napoleons erhielt, dem Vertrag von Miramare eine neue Convention zu
substituiren. Das Versäumen dieses Augenblicks hatte die Bildung des
reactionären Ministeriums zur nächsten Folge. Das Land konnte die Ma߬
regel nur als den völligen Bruch mit einer versöhnlichen Politik auffassen.
War das Decret vom 3. October im Sinne des Kaisers wenigstens nur
gegen die Briganten gerichtet, so kam die Ernennung des neuen Ministeriums
einer Kriegserklärung gegen die gesammte liberale Partei gleich, der gegen¬
wärtig fast die ganze Nation angehörte. Der Kaiser galt jetzt als unauf¬
löslich verstrickt in die Netze einer Politik der Rache und zugleich für unfähig,
eine einzige der Maßregeln, zu denen diese Politik ihn zu drängen schien,
wirklich durchzuführen.


Enkelin Ludwig Philipps waren ebenso vergeblich wie die Almonte's. Das
Opfer, welches sie ihrem Stolze brachte, hatte nur die Folge, den tragischen
Abschluß des Kaiserdramas einzuleiten.

In Mexico sah man, obschon durch die Annahme des neuen Vertrages
(vom 30. Juli) dem Kaiser der Schutz wenigstens eines Theiles der französi¬
schen Truppen bis zum November 18L7 gesichert schien, die Abreise der
Kaiserin als Signal zum Zusammensturz der Monarchie an. Abfall
und Verrath lichteten die Reihen der Kaiserlichen, in der Nationalarmee
lockerten sich die Bande der Disciplin mehr und mehr, die Zahl der Juaristen
wuchs von Tag zu Tag. Der Kaiser war auf dem Punkte angelangt, wo
er nur noch Freiheit zu unheilvollen Entschlüssen hatte. Unter diesen nimmt
eine der ersten Stellen die Ernennung des klerikalen Ministeriums ein, durch
die der Kaiser das Band, welches ihn mit der gemäßigten Partei verknüpft
hätte, völlig löste. Aber freilich hatte sich diese Verbindung bereits so sehr
gelockert, daß Maximilian, wenn er überhaupt noch auf ein nationales Element
sich stützen wollte, sich der äußersten Reaction in die Arme werfen mußte.
Auch stand der Schritt in einem gewissen Zusammenhang mit der Reise der
Kaiserin. Sie verfolgte nicht blos den Zweck, Napoleon umzustimmen, sie
wollte auch die Vermittelung des Papstes für Ausgleichung der kirchlichen
Streitigkeiten nachsuchen: freilich ein vergebliches Bemühen, da der Papst
weder auf Napoleon noch versöhnend auf die Gestaltung der Verhältnisse in
Mexico Einfluß zu üben im Stande war.

- Man kann nicht behaupten, daß die Ernennung des reactionären Ministe¬
riums den Sturz des Kaiserthums geradezu herbeigeführt habe; aber sie
wurde als ein Bekenntniß aufgefaßt, daß der Kaiser selbst seine Sache für
verloren ansah und nur noch den Eingebungen der Verzweiflung folge. Das
Kaiserthum fiel, sobald Frankreich es preisgegeben hatte; Maximilian konnte
seine Person nur durch Entsagung retten. Der beste Zeitpunkt für diesen
Schritt wäre der Augenblick gewesen, wo er die Nachricht von der Forderung
Napoleons erhielt, dem Vertrag von Miramare eine neue Convention zu
substituiren. Das Versäumen dieses Augenblicks hatte die Bildung des
reactionären Ministeriums zur nächsten Folge. Das Land konnte die Ma߬
regel nur als den völligen Bruch mit einer versöhnlichen Politik auffassen.
War das Decret vom 3. October im Sinne des Kaisers wenigstens nur
gegen die Briganten gerichtet, so kam die Ernennung des neuen Ministeriums
einer Kriegserklärung gegen die gesammte liberale Partei gleich, der gegen¬
wärtig fast die ganze Nation angehörte. Der Kaiser galt jetzt als unauf¬
löslich verstrickt in die Netze einer Politik der Rache und zugleich für unfähig,
eine einzige der Maßregeln, zu denen diese Politik ihn zu drängen schien,
wirklich durchzuführen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/534>, abgerufen am 29.06.2024.