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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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doch ein hoher Grad von Unehrenhaftigkeit dazu, in dieser Weise für die
feige Schwäche der französischen Politik den unglücklichen Bundesgenossen
verantwortlich zu machen, den man durch alle denkbaren Künste zu dem ge¬
fährlichen Abenteuer verlockt und dem gegenüber Napoleon jedenfalls eine
moralische Ehrenpflicht übernommen hatte, die meist über die stritten Bestim¬
mungen des Vertrages von Miramare hinausging. Wenn Drouyn de L'süss
zur Beschönigung des unerwarteten Schrittes noch hinzufügt, das französische
Kabinet habe wiederholt versucht, der Noth Maximilian's zu Hilfe zu kommen
durch Vermittelung von Anleihen, die Mexico bedeutende Summen zur Ver¬
fügung stellten, so war dies ein offener Hohn, denn Maximilian hatte von
diesen Anleihen nicht mehr als 40 Millionen Francs erhalten; das Uebrige
war den französischen Kassen und den französischen Gläubigern zugeflossen.
Maximilian hatte Alles ausgeboten, was in seinen Kräften stand, um die
Franzosen zu befriedigen; bis Mitte des Jahres 1866 waren die Schulden
Mexicos an Frankreich bis auf ungefähr 400,000 Fras. getilgt. Maximilian,
der von den Motiven, von denen gegenwärtig die Politik seines treulosen
Beschützers geleitet wurde, noch immer keine Ahnung gehabt zu haben scheint,
hatte daher bei der Nichtigkeit der vorgegebenen Gründe noch immer die
Hoffnung, Napoleon zur Zurücknahme seines Beschlusses zu bewegen. Aber
die Antwort, die seinem Abgesandten Almonte ertheilt wurde, war nieder¬
schmetternd. Unter den heuchlerischesten Phrasen und den herbsten und unge¬
rechtesten Vorwürfen über die mangelhafte Erfüllung der zu Miramare ein¬
gegangenen Verbindlichkeiten wurde von Maximilian der Abschluß eines neuen
Vertrages gefordert, nach dem er die Douanen von Tamvico und Veracruz
zur Hälfte den Franzosen zur Verfügung stellen sollte, unter der Drohung,
daß im Weigerungsfalle der Rückzug der Truppen unmittelbar zu erfolgen
habe. Von dieser Mittheilung aufs Höchste erschüttert rief Maximilian aus:
"Man hat mit mir ein Spiel getrieben; es bestand ein förmlicher Vertrag
zwischen dem Kaiser Napoleon und mir, ohne den ich niemals den Thron
angenommen haben würde, welcher mir unbedingt die Hilfe der französischen
Truppen bis zu Ende des Jahres 1868 gewährleistete." Und Keratry setzt
hinzu: in London weiß man in der That, daß dieser geheime Vertrag existirte.

Der Zweck der Aufforderung Napoleons war klar: Maximilian, den
man, so lange es im französischen Interesse lag, in Mexico festzuhalten suchte,
sollte jetzt zu einer schleunigen Abdankung veranlaßt werden. Auch faßte der
Kaiser in der ersten Aufwallung den Entschluß, diesen von den Umständen
ohne Zweifel gebotenen Schritt sofort zu thun, und er würde ihn ausgeführt
haben, wenn nicht die Kaiserin Charlotte sich zu dem verzweifelten Versuche
erboten hätte, persönlich Napoleon an sein Versprechen zu erinnern und da¬
durch die Zurücknahme seiner Beschlüsse zu erwirken. Die Bemühungen der


Grenzboten III. 1870. LL

doch ein hoher Grad von Unehrenhaftigkeit dazu, in dieser Weise für die
feige Schwäche der französischen Politik den unglücklichen Bundesgenossen
verantwortlich zu machen, den man durch alle denkbaren Künste zu dem ge¬
fährlichen Abenteuer verlockt und dem gegenüber Napoleon jedenfalls eine
moralische Ehrenpflicht übernommen hatte, die meist über die stritten Bestim¬
mungen des Vertrages von Miramare hinausging. Wenn Drouyn de L'süss
zur Beschönigung des unerwarteten Schrittes noch hinzufügt, das französische
Kabinet habe wiederholt versucht, der Noth Maximilian's zu Hilfe zu kommen
durch Vermittelung von Anleihen, die Mexico bedeutende Summen zur Ver¬
fügung stellten, so war dies ein offener Hohn, denn Maximilian hatte von
diesen Anleihen nicht mehr als 40 Millionen Francs erhalten; das Uebrige
war den französischen Kassen und den französischen Gläubigern zugeflossen.
Maximilian hatte Alles ausgeboten, was in seinen Kräften stand, um die
Franzosen zu befriedigen; bis Mitte des Jahres 1866 waren die Schulden
Mexicos an Frankreich bis auf ungefähr 400,000 Fras. getilgt. Maximilian,
der von den Motiven, von denen gegenwärtig die Politik seines treulosen
Beschützers geleitet wurde, noch immer keine Ahnung gehabt zu haben scheint,
hatte daher bei der Nichtigkeit der vorgegebenen Gründe noch immer die
Hoffnung, Napoleon zur Zurücknahme seines Beschlusses zu bewegen. Aber
die Antwort, die seinem Abgesandten Almonte ertheilt wurde, war nieder¬
schmetternd. Unter den heuchlerischesten Phrasen und den herbsten und unge¬
rechtesten Vorwürfen über die mangelhafte Erfüllung der zu Miramare ein¬
gegangenen Verbindlichkeiten wurde von Maximilian der Abschluß eines neuen
Vertrages gefordert, nach dem er die Douanen von Tamvico und Veracruz
zur Hälfte den Franzosen zur Verfügung stellen sollte, unter der Drohung,
daß im Weigerungsfalle der Rückzug der Truppen unmittelbar zu erfolgen
habe. Von dieser Mittheilung aufs Höchste erschüttert rief Maximilian aus:
„Man hat mit mir ein Spiel getrieben; es bestand ein förmlicher Vertrag
zwischen dem Kaiser Napoleon und mir, ohne den ich niemals den Thron
angenommen haben würde, welcher mir unbedingt die Hilfe der französischen
Truppen bis zu Ende des Jahres 1868 gewährleistete." Und Keratry setzt
hinzu: in London weiß man in der That, daß dieser geheime Vertrag existirte.

Der Zweck der Aufforderung Napoleons war klar: Maximilian, den
man, so lange es im französischen Interesse lag, in Mexico festzuhalten suchte,
sollte jetzt zu einer schleunigen Abdankung veranlaßt werden. Auch faßte der
Kaiser in der ersten Aufwallung den Entschluß, diesen von den Umständen
ohne Zweifel gebotenen Schritt sofort zu thun, und er würde ihn ausgeführt
haben, wenn nicht die Kaiserin Charlotte sich zu dem verzweifelten Versuche
erboten hätte, persönlich Napoleon an sein Versprechen zu erinnern und da¬
durch die Zurücknahme seiner Beschlüsse zu erwirken. Die Bemühungen der


Grenzboten III. 1870. LL
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/533>, abgerufen am 29.06.2024.