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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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sten Eingehen der Einkünfte unmöglich gewesen; da aber an eine regelmäßige
Verwaltung gar nicht zu denken war, da vielmehr gerade der Mangel an Geld¬
mitteln, wie schon erwähnt, allen organisatorischen Arbeiten unüberwindliche
Hindernisse in den Weg legte, so ließ sich mit Sicherheit voraussehen, daß
die Zustände statt einer allmählichen Verbesserung zugeführt zu werden, in
immer tiefere Zerrüttung gerathen mußten.

War es von Maximilian eine unverzeihliche Uebereilung gewesen, daß er auf
solche Bedingungen hin, die ihn militärisch, administrativ, finanziell völlig von der
Gnade Frankreichs abhängig machten, die Krone angenommen hatte, so trifft den
Kaiser Napoleon ein noch viel schwererer Tadel dafür, daß er seinen Schützling so
harte, zum Theil geradezu unerfüllbare Bedingungen auferlegte und dadurch in
engherzigster Selbstsucht seinem eigenen Werke, seiner "großen Idee" entgegen¬
wirkte. Es ging ihm wie es ihm bereits in Italien gegangen war: die große Idee
wurde zum Deckmantel für die selbstsüchtigsten, egoistischesten Absichten und
Entwürfe. Diese Doppelseitigkeit in allen Handlungen des Kaisers war nicht
allein darauf berechnet, die Welt zu täuschen, Napoleon hat vielmehr stets
das Bedürfniß empfunden, sich selbst zu betrügen. Mochte es sich um ein
zweideutiges Geldgeschäft, oder um Befriedigung einer frivolen Ländergier
handeln. immer knüpfte er seine Action an eine der nicht eben zahlreichen
abstracten Ideen an, die seine Seele erfüllten. Die i-doch r>axoI6<)menn68 sind
von seinem Wesen unzertrennbar, sie sind der geistige Gehalt seiner Seele.
Mit diesen Ideen wußte er gelegentlich so geschickt zu operiren, daß die Welt,
die anfangs seine Fähigkeiten unterschätzt hatte, eine Zeit lang in den ent-
gegengesetzten Fehler verfiel, ihn für einen großen Staatsmann zu halten.
Das mexikanische Abenteuer zerstreute den Nymbus, mit dem er sich umgeben
hatte, völlig.

Wollte Napoleon Maximilian in der Regeneration Mexico's wirksam un¬
terstützen, so mußte er darauf verzichten (was ohnehin unmöglich war) in dem
ersten Jahrzehnt die Kosten der Expedition aus dem völlig erschöpften Lande
herauszupressen. Aber statt die harten Bedingungen wenigstens liberal zu
handhaben, verfuhr er wie der unerbittlichste Gläubiger gegen einen dem
Bankerotte nahen Schuldner. Als Bazaine, der doch nicht eben geneigt war,
das französische Interesse zu Gunsten seines Schützlings zu vernachlässigen,
dem Kaiser Maximilian in der äußersten Noth einen Vorschuß aus der fran¬
zösischen Kasse bewilligt hatte, war man in Paris über diese Großmuth
so unzufrieden, daß man dem Marschall eine offizielle Rüge zukommen ließ.

Unter der Einwirkung aller dieser Verhältnisse zeigte sich bald, daß
die Pacificatton des Landes durch Bazaine doch nur sehr oberflächlich
gewesen war. An den verschiedensten Punkten erhoben im Jahre 186S die
Juaristm ihr Haupt kühner als zuvor. Das unheilvolle Decret vom 3. Otto-


sten Eingehen der Einkünfte unmöglich gewesen; da aber an eine regelmäßige
Verwaltung gar nicht zu denken war, da vielmehr gerade der Mangel an Geld¬
mitteln, wie schon erwähnt, allen organisatorischen Arbeiten unüberwindliche
Hindernisse in den Weg legte, so ließ sich mit Sicherheit voraussehen, daß
die Zustände statt einer allmählichen Verbesserung zugeführt zu werden, in
immer tiefere Zerrüttung gerathen mußten.

War es von Maximilian eine unverzeihliche Uebereilung gewesen, daß er auf
solche Bedingungen hin, die ihn militärisch, administrativ, finanziell völlig von der
Gnade Frankreichs abhängig machten, die Krone angenommen hatte, so trifft den
Kaiser Napoleon ein noch viel schwererer Tadel dafür, daß er seinen Schützling so
harte, zum Theil geradezu unerfüllbare Bedingungen auferlegte und dadurch in
engherzigster Selbstsucht seinem eigenen Werke, seiner „großen Idee" entgegen¬
wirkte. Es ging ihm wie es ihm bereits in Italien gegangen war: die große Idee
wurde zum Deckmantel für die selbstsüchtigsten, egoistischesten Absichten und
Entwürfe. Diese Doppelseitigkeit in allen Handlungen des Kaisers war nicht
allein darauf berechnet, die Welt zu täuschen, Napoleon hat vielmehr stets
das Bedürfniß empfunden, sich selbst zu betrügen. Mochte es sich um ein
zweideutiges Geldgeschäft, oder um Befriedigung einer frivolen Ländergier
handeln. immer knüpfte er seine Action an eine der nicht eben zahlreichen
abstracten Ideen an, die seine Seele erfüllten. Die i-doch r>axoI6<)menn68 sind
von seinem Wesen unzertrennbar, sie sind der geistige Gehalt seiner Seele.
Mit diesen Ideen wußte er gelegentlich so geschickt zu operiren, daß die Welt,
die anfangs seine Fähigkeiten unterschätzt hatte, eine Zeit lang in den ent-
gegengesetzten Fehler verfiel, ihn für einen großen Staatsmann zu halten.
Das mexikanische Abenteuer zerstreute den Nymbus, mit dem er sich umgeben
hatte, völlig.

Wollte Napoleon Maximilian in der Regeneration Mexico's wirksam un¬
terstützen, so mußte er darauf verzichten (was ohnehin unmöglich war) in dem
ersten Jahrzehnt die Kosten der Expedition aus dem völlig erschöpften Lande
herauszupressen. Aber statt die harten Bedingungen wenigstens liberal zu
handhaben, verfuhr er wie der unerbittlichste Gläubiger gegen einen dem
Bankerotte nahen Schuldner. Als Bazaine, der doch nicht eben geneigt war,
das französische Interesse zu Gunsten seines Schützlings zu vernachlässigen,
dem Kaiser Maximilian in der äußersten Noth einen Vorschuß aus der fran¬
zösischen Kasse bewilligt hatte, war man in Paris über diese Großmuth
so unzufrieden, daß man dem Marschall eine offizielle Rüge zukommen ließ.

Unter der Einwirkung aller dieser Verhältnisse zeigte sich bald, daß
die Pacificatton des Landes durch Bazaine doch nur sehr oberflächlich
gewesen war. An den verschiedensten Punkten erhoben im Jahre 186S die
Juaristm ihr Haupt kühner als zuvor. Das unheilvolle Decret vom 3. Otto-


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[0531] sten Eingehen der Einkünfte unmöglich gewesen; da aber an eine regelmäßige Verwaltung gar nicht zu denken war, da vielmehr gerade der Mangel an Geld¬ mitteln, wie schon erwähnt, allen organisatorischen Arbeiten unüberwindliche Hindernisse in den Weg legte, so ließ sich mit Sicherheit voraussehen, daß die Zustände statt einer allmählichen Verbesserung zugeführt zu werden, in immer tiefere Zerrüttung gerathen mußten. War es von Maximilian eine unverzeihliche Uebereilung gewesen, daß er auf solche Bedingungen hin, die ihn militärisch, administrativ, finanziell völlig von der Gnade Frankreichs abhängig machten, die Krone angenommen hatte, so trifft den Kaiser Napoleon ein noch viel schwererer Tadel dafür, daß er seinen Schützling so harte, zum Theil geradezu unerfüllbare Bedingungen auferlegte und dadurch in engherzigster Selbstsucht seinem eigenen Werke, seiner „großen Idee" entgegen¬ wirkte. Es ging ihm wie es ihm bereits in Italien gegangen war: die große Idee wurde zum Deckmantel für die selbstsüchtigsten, egoistischesten Absichten und Entwürfe. Diese Doppelseitigkeit in allen Handlungen des Kaisers war nicht allein darauf berechnet, die Welt zu täuschen, Napoleon hat vielmehr stets das Bedürfniß empfunden, sich selbst zu betrügen. Mochte es sich um ein zweideutiges Geldgeschäft, oder um Befriedigung einer frivolen Ländergier handeln. immer knüpfte er seine Action an eine der nicht eben zahlreichen abstracten Ideen an, die seine Seele erfüllten. Die i-doch r>axoI6<)menn68 sind von seinem Wesen unzertrennbar, sie sind der geistige Gehalt seiner Seele. Mit diesen Ideen wußte er gelegentlich so geschickt zu operiren, daß die Welt, die anfangs seine Fähigkeiten unterschätzt hatte, eine Zeit lang in den ent- gegengesetzten Fehler verfiel, ihn für einen großen Staatsmann zu halten. Das mexikanische Abenteuer zerstreute den Nymbus, mit dem er sich umgeben hatte, völlig. Wollte Napoleon Maximilian in der Regeneration Mexico's wirksam un¬ terstützen, so mußte er darauf verzichten (was ohnehin unmöglich war) in dem ersten Jahrzehnt die Kosten der Expedition aus dem völlig erschöpften Lande herauszupressen. Aber statt die harten Bedingungen wenigstens liberal zu handhaben, verfuhr er wie der unerbittlichste Gläubiger gegen einen dem Bankerotte nahen Schuldner. Als Bazaine, der doch nicht eben geneigt war, das französische Interesse zu Gunsten seines Schützlings zu vernachlässigen, dem Kaiser Maximilian in der äußersten Noth einen Vorschuß aus der fran¬ zösischen Kasse bewilligt hatte, war man in Paris über diese Großmuth so unzufrieden, daß man dem Marschall eine offizielle Rüge zukommen ließ. Unter der Einwirkung aller dieser Verhältnisse zeigte sich bald, daß die Pacificatton des Landes durch Bazaine doch nur sehr oberflächlich gewesen war. An den verschiedensten Punkten erhoben im Jahre 186S die Juaristm ihr Haupt kühner als zuvor. Das unheilvolle Decret vom 3. Otto-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/531>, abgerufen am 29.06.2024.