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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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beschränkteste Betrachtung derselben doch wenigstens die eine merkwürdige
Thatsache stehen, daß ihr Stammbaum und der der hochdeutschen Kunstpoesie
auf eine Wurzel zurückgeführt werden muß. Wer wird dazu berufen sein,
die auseinandergewachsenen Schößlinge wieder zu vereinigen und wann wird
es geschehen?




Das zweite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte
Schreibung.
VII. Die Krisis in Mexico und ihre Nachwirkungen.

Ungeheuer waren die Schwierigkeiten, mit denen Maximilian von dem
Augenblicke an, wo er den Boden seines Reiches betrat, zu kämpfen hatte.
Er stand vor der Aufgabe, eine völlig zerrüttete Gesellschaft neu zu organi-
siren. Er fand weder ein Heer vor, noch eine regelmäßige Verwaltung, noch
geordnete Finanzen. Ohne eine beständig fließende Geldquelle ließ sich weder
aus den einzelnen zerstreuten reactionären Guerillabanden eine disciplinirte
Streitmacht schaffen, noch eine brauchbare Verwaltungsmaschine herstellen.
Und ebenso war es andrerseits einleuchtend, daß vor Herstellung einer starken
Verwaltung und einer zuverlässigen Armee alle Bemühungen, durch Aus¬
beutung der reichen Mittel des Landes den Finanzcalamitäten abzuhelfen,
vergeblich bleiben würden. Da die Zustände des Heeres und die Verwaltung
der Finanzen sich einander bedingten, befand sich der neue Kaiser in einem
Cirkel, aus dem er um so weniger den Ausgang finden konnte, da er, ganz
in der Weise seines Urgroßoheims Joseph's II., von dem er sich im Grunde
nur scheinbar durch den hochromantischen Zug in seinem Charakter unter¬
schied, Alles mit Hast und Feuereifer angriff, aber keine Einrichtung so weit
zum Ziele führte, daß er auf ihr als auf sicherer Grundlage hätte weiter
bauen können. Projecte folgten auf Projecte, aber sie kreuzten sich statt
eines das andere zu fördern und zu stützen. Und bei dem allseitigen Verfall
lag die Versuchung, Alles auf einmal in Angriff zu nehmen, allerdings nahe,
da ja in der That Alles auf einmal ins Auge gefaßt werden mußte.
Die Linie zwischen beschränkter Einseitigkeit und verwirrender Vielgeschäftig,
keit hätte nur ein genialer Staatsmann einzuhalten vermocht, und das war
Maximilian nicht. Pflichtgetreu, wohlwollend, geistreich, von fesselnder Lie¬
benswürdigkeit, vermochte er doch weder die Verhältnisse klar zu durchschauen,
noch die Charaktere der Personen zu beurtheilen, die sich wetteifernd und
gegen einander intriguirend um seine Gunst bewarben. Dilettant in den


beschränkteste Betrachtung derselben doch wenigstens die eine merkwürdige
Thatsache stehen, daß ihr Stammbaum und der der hochdeutschen Kunstpoesie
auf eine Wurzel zurückgeführt werden muß. Wer wird dazu berufen sein,
die auseinandergewachsenen Schößlinge wieder zu vereinigen und wann wird
es geschehen?




Das zweite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte
Schreibung.
VII. Die Krisis in Mexico und ihre Nachwirkungen.

Ungeheuer waren die Schwierigkeiten, mit denen Maximilian von dem
Augenblicke an, wo er den Boden seines Reiches betrat, zu kämpfen hatte.
Er stand vor der Aufgabe, eine völlig zerrüttete Gesellschaft neu zu organi-
siren. Er fand weder ein Heer vor, noch eine regelmäßige Verwaltung, noch
geordnete Finanzen. Ohne eine beständig fließende Geldquelle ließ sich weder
aus den einzelnen zerstreuten reactionären Guerillabanden eine disciplinirte
Streitmacht schaffen, noch eine brauchbare Verwaltungsmaschine herstellen.
Und ebenso war es andrerseits einleuchtend, daß vor Herstellung einer starken
Verwaltung und einer zuverlässigen Armee alle Bemühungen, durch Aus¬
beutung der reichen Mittel des Landes den Finanzcalamitäten abzuhelfen,
vergeblich bleiben würden. Da die Zustände des Heeres und die Verwaltung
der Finanzen sich einander bedingten, befand sich der neue Kaiser in einem
Cirkel, aus dem er um so weniger den Ausgang finden konnte, da er, ganz
in der Weise seines Urgroßoheims Joseph's II., von dem er sich im Grunde
nur scheinbar durch den hochromantischen Zug in seinem Charakter unter¬
schied, Alles mit Hast und Feuereifer angriff, aber keine Einrichtung so weit
zum Ziele führte, daß er auf ihr als auf sicherer Grundlage hätte weiter
bauen können. Projecte folgten auf Projecte, aber sie kreuzten sich statt
eines das andere zu fördern und zu stützen. Und bei dem allseitigen Verfall
lag die Versuchung, Alles auf einmal in Angriff zu nehmen, allerdings nahe,
da ja in der That Alles auf einmal ins Auge gefaßt werden mußte.
Die Linie zwischen beschränkter Einseitigkeit und verwirrender Vielgeschäftig,
keit hätte nur ein genialer Staatsmann einzuhalten vermocht, und das war
Maximilian nicht. Pflichtgetreu, wohlwollend, geistreich, von fesselnder Lie¬
benswürdigkeit, vermochte er doch weder die Verhältnisse klar zu durchschauen,
noch die Charaktere der Personen zu beurtheilen, die sich wetteifernd und
gegen einander intriguirend um seine Gunst bewarben. Dilettant in den


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[0528] beschränkteste Betrachtung derselben doch wenigstens die eine merkwürdige Thatsache stehen, daß ihr Stammbaum und der der hochdeutschen Kunstpoesie auf eine Wurzel zurückgeführt werden muß. Wer wird dazu berufen sein, die auseinandergewachsenen Schößlinge wieder zu vereinigen und wann wird es geschehen? Das zweite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte Schreibung. VII. Die Krisis in Mexico und ihre Nachwirkungen. Ungeheuer waren die Schwierigkeiten, mit denen Maximilian von dem Augenblicke an, wo er den Boden seines Reiches betrat, zu kämpfen hatte. Er stand vor der Aufgabe, eine völlig zerrüttete Gesellschaft neu zu organi- siren. Er fand weder ein Heer vor, noch eine regelmäßige Verwaltung, noch geordnete Finanzen. Ohne eine beständig fließende Geldquelle ließ sich weder aus den einzelnen zerstreuten reactionären Guerillabanden eine disciplinirte Streitmacht schaffen, noch eine brauchbare Verwaltungsmaschine herstellen. Und ebenso war es andrerseits einleuchtend, daß vor Herstellung einer starken Verwaltung und einer zuverlässigen Armee alle Bemühungen, durch Aus¬ beutung der reichen Mittel des Landes den Finanzcalamitäten abzuhelfen, vergeblich bleiben würden. Da die Zustände des Heeres und die Verwaltung der Finanzen sich einander bedingten, befand sich der neue Kaiser in einem Cirkel, aus dem er um so weniger den Ausgang finden konnte, da er, ganz in der Weise seines Urgroßoheims Joseph's II., von dem er sich im Grunde nur scheinbar durch den hochromantischen Zug in seinem Charakter unter¬ schied, Alles mit Hast und Feuereifer angriff, aber keine Einrichtung so weit zum Ziele führte, daß er auf ihr als auf sicherer Grundlage hätte weiter bauen können. Projecte folgten auf Projecte, aber sie kreuzten sich statt eines das andere zu fördern und zu stützen. Und bei dem allseitigen Verfall lag die Versuchung, Alles auf einmal in Angriff zu nehmen, allerdings nahe, da ja in der That Alles auf einmal ins Auge gefaßt werden mußte. Die Linie zwischen beschränkter Einseitigkeit und verwirrender Vielgeschäftig, keit hätte nur ein genialer Staatsmann einzuhalten vermocht, und das war Maximilian nicht. Pflichtgetreu, wohlwollend, geistreich, von fesselnder Lie¬ benswürdigkeit, vermochte er doch weder die Verhältnisse klar zu durchschauen, noch die Charaktere der Personen zu beurtheilen, die sich wetteifernd und gegen einander intriguirend um seine Gunst bewarben. Dilettant in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/528>, abgerufen am 29.06.2024.