Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit einer Fackel in der Hand, zwei Spielwagen "antikisch verziert mit Per-
sonagen," die singend sich vernehmen ließen; fünfzehn andere Wagen mit
grünem Tuche beschlagen, daraus Gildegenossen, der unvermeidliche Narr ge-
bärdete sich aber auch hier sehr ehrbar. Er that nichts närrisches als daß
er rückwärts zu Pferde saß und ein Netz in der Hand hielt als Versinnlich-
ung seines Wahlspruches: "ich fange alle bösen Zungen." Weiter 46 Reiter
der Lilie von Mecheln (was schon 356 in der Päonie gestellt hatte), 81 des¬
gleichen des Kürbißes von Herrenthals, 40 der Ringelblume von Vilvooden
und so ein langes Register aus allen Gebieten Flora's, bis zu dem Maria-
Kranz von Brüssel, 340 zu Pferde, roth und Silber, mit 7 antikischen Spiel¬
wagen und dazu noch 73 schöne, herrliche Wagen mit Fackeln "darauf
wieder eine Menge Personagen, welche schöne antikische Figuren repräsen-
tirten." Der Einzug in Antwerpen, wo sie von den dortigen drei Kammern
Veit, Goldlack und Oelzweig als Gäste empfangen und gehalten wurden
(man kann sich denken, daß diese Wirthe ihrer Stadt keine Schande machten),
geschah unter Glockengeläute und Trompetergeschmetter: jedes Haus war be¬
kränzt und geschmückt, überall Triumphbogen und Festons; "es war als ob
das Volk den Triumphzug eines vaterländischen Erretters feiere." Und was
thaten diese Volksbeglücker? Sie aßen natürlich gut und viel und tranken
noch besser, außerdem aber führten sie an dem einen der acht Tage ihres
Festes einige allegorische Dramen auf, von denen eines den Siegespreis er¬
hielt. Alle behandelten dasselbe durch Verabredung festgestellte Thema; in
Antwerpen lautete es: Was dem Menschen am meisten zur Kunst erweckt.
Dabei trug die Kammer von Löwen den Preis, eine silberne Schale, davon.
Das Personenverzeichniß mag genügen, um einen Begriff von der gedunsenen
und doch so nüchternen Art dieser "Sinnspiele", die offenbar wie incus g, non
lueeuäo so hießen, zu geben. Denn wie dieses, so waren alle beschaffen,
1) der Mensch selbst, 2) das verlangende Herz (ein stattlicher Mann), 3)
der Geist der Weisheit, 4) die natürliche Neigung, 5) die Wißbegierde, 6)
die Arbeit, 7) Hoffnung auf Ansehen, 8) Sorge vor Schande, außerdem noch
einige stumme Figuren in dem Schlußtableau. Man begreift, daß Zuschauer
und Darsteller leichter athmeten, wenn es wieder zu den Umzügen, zu dem
Welt-Trinken der Narren, zu dem feierlichen Kirchgang oder gar zu dem
großen Festbanket mit Gesang und Musik ging. Man begreift aber auch,
daß auf einem solchen Festjubel von der unerbitterlichen Geschichte ein ent¬
setzlicher Katzenjammer geordnet wurde. --

Werfen wir noch einen prüfenden Blick zurück auf die Masse der litera¬
rischen Productionen in niederländischer Sprache vom Ende des 12. bis zum
Ende des 16. Jahrhunderts, so wird ein unbefangenes Urtheil über ihren Ge-


Greuzbotc" in. 1870. 67

mit einer Fackel in der Hand, zwei Spielwagen „antikisch verziert mit Per-
sonagen," die singend sich vernehmen ließen; fünfzehn andere Wagen mit
grünem Tuche beschlagen, daraus Gildegenossen, der unvermeidliche Narr ge-
bärdete sich aber auch hier sehr ehrbar. Er that nichts närrisches als daß
er rückwärts zu Pferde saß und ein Netz in der Hand hielt als Versinnlich-
ung seines Wahlspruches: „ich fange alle bösen Zungen." Weiter 46 Reiter
der Lilie von Mecheln (was schon 356 in der Päonie gestellt hatte), 81 des¬
gleichen des Kürbißes von Herrenthals, 40 der Ringelblume von Vilvooden
und so ein langes Register aus allen Gebieten Flora's, bis zu dem Maria-
Kranz von Brüssel, 340 zu Pferde, roth und Silber, mit 7 antikischen Spiel¬
wagen und dazu noch 73 schöne, herrliche Wagen mit Fackeln „darauf
wieder eine Menge Personagen, welche schöne antikische Figuren repräsen-
tirten." Der Einzug in Antwerpen, wo sie von den dortigen drei Kammern
Veit, Goldlack und Oelzweig als Gäste empfangen und gehalten wurden
(man kann sich denken, daß diese Wirthe ihrer Stadt keine Schande machten),
geschah unter Glockengeläute und Trompetergeschmetter: jedes Haus war be¬
kränzt und geschmückt, überall Triumphbogen und Festons; „es war als ob
das Volk den Triumphzug eines vaterländischen Erretters feiere." Und was
thaten diese Volksbeglücker? Sie aßen natürlich gut und viel und tranken
noch besser, außerdem aber führten sie an dem einen der acht Tage ihres
Festes einige allegorische Dramen auf, von denen eines den Siegespreis er¬
hielt. Alle behandelten dasselbe durch Verabredung festgestellte Thema; in
Antwerpen lautete es: Was dem Menschen am meisten zur Kunst erweckt.
Dabei trug die Kammer von Löwen den Preis, eine silberne Schale, davon.
Das Personenverzeichniß mag genügen, um einen Begriff von der gedunsenen
und doch so nüchternen Art dieser „Sinnspiele", die offenbar wie incus g, non
lueeuäo so hießen, zu geben. Denn wie dieses, so waren alle beschaffen,
1) der Mensch selbst, 2) das verlangende Herz (ein stattlicher Mann), 3)
der Geist der Weisheit, 4) die natürliche Neigung, 5) die Wißbegierde, 6)
die Arbeit, 7) Hoffnung auf Ansehen, 8) Sorge vor Schande, außerdem noch
einige stumme Figuren in dem Schlußtableau. Man begreift, daß Zuschauer
und Darsteller leichter athmeten, wenn es wieder zu den Umzügen, zu dem
Welt-Trinken der Narren, zu dem feierlichen Kirchgang oder gar zu dem
großen Festbanket mit Gesang und Musik ging. Man begreift aber auch,
daß auf einem solchen Festjubel von der unerbitterlichen Geschichte ein ent¬
setzlicher Katzenjammer geordnet wurde. —

Werfen wir noch einen prüfenden Blick zurück auf die Masse der litera¬
rischen Productionen in niederländischer Sprache vom Ende des 12. bis zum
Ende des 16. Jahrhunderts, so wird ein unbefangenes Urtheil über ihren Ge-


Greuzbotc» in. 1870. 67
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124677"/>
          <p xml:id="ID_1520" prev="#ID_1519"> mit einer Fackel in der Hand, zwei Spielwagen &#x201E;antikisch verziert mit Per-<lb/>
sonagen," die singend sich vernehmen ließen; fünfzehn andere Wagen mit<lb/>
grünem Tuche beschlagen, daraus Gildegenossen, der unvermeidliche Narr ge-<lb/>
bärdete sich aber auch hier sehr ehrbar.  Er that nichts närrisches als daß<lb/>
er rückwärts zu Pferde saß und ein Netz in der Hand hielt als Versinnlich-<lb/>
ung seines Wahlspruches: &#x201E;ich fange alle bösen Zungen."  Weiter 46 Reiter<lb/>
der Lilie von Mecheln (was schon 356 in der Päonie gestellt hatte), 81 des¬<lb/>
gleichen des Kürbißes von Herrenthals, 40 der Ringelblume von Vilvooden<lb/>
und so ein langes Register aus allen Gebieten Flora's, bis zu dem Maria-<lb/>
Kranz von Brüssel, 340 zu Pferde, roth und Silber, mit 7 antikischen Spiel¬<lb/>
wagen und dazu noch 73 schöne, herrliche Wagen mit Fackeln &#x201E;darauf<lb/>
wieder eine Menge Personagen, welche schöne antikische Figuren repräsen-<lb/>
tirten."  Der Einzug in Antwerpen, wo sie von den dortigen drei Kammern<lb/>
Veit, Goldlack und Oelzweig als Gäste empfangen und gehalten wurden<lb/>
(man kann sich denken, daß diese Wirthe ihrer Stadt keine Schande machten),<lb/>
geschah unter Glockengeläute und Trompetergeschmetter: jedes Haus war be¬<lb/>
kränzt und geschmückt, überall Triumphbogen und Festons; &#x201E;es war als ob<lb/>
das Volk den Triumphzug eines vaterländischen Erretters feiere."  Und was<lb/>
thaten diese Volksbeglücker? Sie aßen natürlich gut und viel und tranken<lb/>
noch besser, außerdem aber führten sie an dem einen der acht Tage ihres<lb/>
Festes einige allegorische Dramen auf, von denen eines den Siegespreis er¬<lb/>
hielt. Alle behandelten dasselbe durch Verabredung festgestellte Thema; in<lb/>
Antwerpen lautete es: Was dem Menschen am meisten zur Kunst erweckt.<lb/>
Dabei trug die Kammer von Löwen den Preis, eine silberne Schale, davon.<lb/>
Das Personenverzeichniß mag genügen, um einen Begriff von der gedunsenen<lb/>
und doch so nüchternen Art dieser &#x201E;Sinnspiele", die offenbar wie incus g, non<lb/>
lueeuäo so hießen, zu geben.  Denn wie dieses, so waren alle beschaffen,<lb/>
1) der Mensch selbst, 2) das verlangende Herz (ein stattlicher Mann), 3)<lb/>
der Geist der Weisheit, 4) die natürliche Neigung, 5) die Wißbegierde, 6)<lb/>
die Arbeit, 7) Hoffnung auf Ansehen, 8) Sorge vor Schande, außerdem noch<lb/>
einige stumme Figuren in dem Schlußtableau.  Man begreift, daß Zuschauer<lb/>
und Darsteller leichter athmeten, wenn es wieder zu den Umzügen, zu dem<lb/>
Welt-Trinken der Narren, zu dem feierlichen Kirchgang oder gar zu dem<lb/>
großen Festbanket mit Gesang und Musik ging. Man begreift aber auch,<lb/>
daß auf einem solchen Festjubel von der unerbitterlichen Geschichte ein ent¬<lb/>
setzlicher Katzenjammer geordnet wurde. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521" next="#ID_1522"> Werfen wir noch einen prüfenden Blick zurück auf die Masse der litera¬<lb/>
rischen Productionen in niederländischer Sprache vom Ende des 12. bis zum<lb/>
Ende des 16. Jahrhunderts, so wird ein unbefangenes Urtheil über ihren Ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greuzbotc» in. 1870. 67</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0525] mit einer Fackel in der Hand, zwei Spielwagen „antikisch verziert mit Per- sonagen," die singend sich vernehmen ließen; fünfzehn andere Wagen mit grünem Tuche beschlagen, daraus Gildegenossen, der unvermeidliche Narr ge- bärdete sich aber auch hier sehr ehrbar. Er that nichts närrisches als daß er rückwärts zu Pferde saß und ein Netz in der Hand hielt als Versinnlich- ung seines Wahlspruches: „ich fange alle bösen Zungen." Weiter 46 Reiter der Lilie von Mecheln (was schon 356 in der Päonie gestellt hatte), 81 des¬ gleichen des Kürbißes von Herrenthals, 40 der Ringelblume von Vilvooden und so ein langes Register aus allen Gebieten Flora's, bis zu dem Maria- Kranz von Brüssel, 340 zu Pferde, roth und Silber, mit 7 antikischen Spiel¬ wagen und dazu noch 73 schöne, herrliche Wagen mit Fackeln „darauf wieder eine Menge Personagen, welche schöne antikische Figuren repräsen- tirten." Der Einzug in Antwerpen, wo sie von den dortigen drei Kammern Veit, Goldlack und Oelzweig als Gäste empfangen und gehalten wurden (man kann sich denken, daß diese Wirthe ihrer Stadt keine Schande machten), geschah unter Glockengeläute und Trompetergeschmetter: jedes Haus war be¬ kränzt und geschmückt, überall Triumphbogen und Festons; „es war als ob das Volk den Triumphzug eines vaterländischen Erretters feiere." Und was thaten diese Volksbeglücker? Sie aßen natürlich gut und viel und tranken noch besser, außerdem aber führten sie an dem einen der acht Tage ihres Festes einige allegorische Dramen auf, von denen eines den Siegespreis er¬ hielt. Alle behandelten dasselbe durch Verabredung festgestellte Thema; in Antwerpen lautete es: Was dem Menschen am meisten zur Kunst erweckt. Dabei trug die Kammer von Löwen den Preis, eine silberne Schale, davon. Das Personenverzeichniß mag genügen, um einen Begriff von der gedunsenen und doch so nüchternen Art dieser „Sinnspiele", die offenbar wie incus g, non lueeuäo so hießen, zu geben. Denn wie dieses, so waren alle beschaffen, 1) der Mensch selbst, 2) das verlangende Herz (ein stattlicher Mann), 3) der Geist der Weisheit, 4) die natürliche Neigung, 5) die Wißbegierde, 6) die Arbeit, 7) Hoffnung auf Ansehen, 8) Sorge vor Schande, außerdem noch einige stumme Figuren in dem Schlußtableau. Man begreift, daß Zuschauer und Darsteller leichter athmeten, wenn es wieder zu den Umzügen, zu dem Welt-Trinken der Narren, zu dem feierlichen Kirchgang oder gar zu dem großen Festbanket mit Gesang und Musik ging. Man begreift aber auch, daß auf einem solchen Festjubel von der unerbitterlichen Geschichte ein ent¬ setzlicher Katzenjammer geordnet wurde. — Werfen wir noch einen prüfenden Blick zurück auf die Masse der litera¬ rischen Productionen in niederländischer Sprache vom Ende des 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, so wird ein unbefangenes Urtheil über ihren Ge- Greuzbotc» in. 1870. 67

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/525
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/525>, abgerufen am 29.06.2024.