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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Jahrh-, wo schon die schwersten Gewitterwolken rings um den Horizont der
Niederlande aufgethürmt standen, feierten sie ihre glänzendsten Feste, wie denn
überhaupt das Volksleben in den Niederlanden dem Anscheine nach niemals
freudiger und üppiger sich regte, als unmittelbar vor der großen Kathastrophe.
In kleinerem Maßstabe haben wir es ja auch selbst erlebt, wie man durch
Festgepränge aller Art und das Getöse von Festreden und Festgelagen die
in den Gemüthern wohnende Besorgniß oder Hoffnung auf eine durchgrei¬
fende Wendung der deutschen Angelegenheiten wegzulärmen versuchte. Aber
in den Niederlanden ging man dabei über alles Maß nach unsern heutigen
Begriffen hinaus und immer und immer waren die verschiedenen Ortsgesell¬
schaften der Rederijker an der Spitze. Ihre sogen. "Landjuweel", die großen
Sängerfeste mit Preisvertheilungen (daher der Name) bildeten den Mittel¬
punkt der bald hier bald dort, aber alljährlich mindestens einmal an einem
Orte gefeierten Schützenseste, deren eigentliche Bedeutung deshalb ganz zu¬
rücktrat, nicht ohne stille Mitwirkung der Obrigkeiten, die wahrscheinlich schon
damals von ihrer Unschädlichkeit überzeugt waren. Für die Sängerfeste be¬
willigten dieselben Magistrate, die sonst in Geldsachen äußerst spröde sich
benahmen, ganz unglaublich große Summen, denn so wohlhabend auch die
einzelnen Rederijker oder jede einzelne Gilde mit meist selbständigem und
altfundirtem Vermögen sein mochte, so konnte ein immer maßloser gebah-
render Luxus, der durch die Localeifersüchteleien zwischen den ehrsamen
Nachbarorten vollends alle Zügel verloren hatte, doch nur auf Un¬
kosten der größeren Gesammtheit, der städtischen Communen befriedigt
werden.

Das prunkvollste Schauspiel dieser Art war das Landjuweel zu Ant¬
werpen 1S61. von dem auch Jonckbloet eine ausführliche Beschreibung giebt.
Sie bietet eine Reihe sittengeschichtlich interessanter Züge und ist besonders
dadurch bemerkenswerth, daß sich daran am deutlichsten ermessen läßt, wie
das poetische Interesse, um das es sich dem Namen nach handelte, in der
That ganz in den Hintergrund getreten war. Denn zumeist ist die Rede
von der prachtvollen Ausrüstung der einzelnen Kammer: Da ziehen die
Brüder der Päonie zu Mecheln, 3L6 Mann zu Pferde auf, alle in roth-
sammtnen Röcken mit goldenen Stickereien, mit sieben wohlverzierten "anti¬
kischen Spielwagen mit Personen" (auf denen Allegorien in lebenden Bildern
dargestellt waren) außerdem noch sechszehn andere Wagen mit rothem Tuch
überdeckt und mit allegorischen Bildwerk reich verziert, woraus Gildegenossen
saßen, unter denen auch der Narr nicht fehlte, nur daß er in den Nieder¬
landen ernsthaftere Witze machen mußte, als in Deutschland bei ähnlichen
Volksfesten. Dann der grünende Baum von Lier, einem verhältnißmäßig
unbedeutenden Orte, 108 Mann zu Pferde, in grünen Röcken, Hüten ze,, jeder


Jahrh-, wo schon die schwersten Gewitterwolken rings um den Horizont der
Niederlande aufgethürmt standen, feierten sie ihre glänzendsten Feste, wie denn
überhaupt das Volksleben in den Niederlanden dem Anscheine nach niemals
freudiger und üppiger sich regte, als unmittelbar vor der großen Kathastrophe.
In kleinerem Maßstabe haben wir es ja auch selbst erlebt, wie man durch
Festgepränge aller Art und das Getöse von Festreden und Festgelagen die
in den Gemüthern wohnende Besorgniß oder Hoffnung auf eine durchgrei¬
fende Wendung der deutschen Angelegenheiten wegzulärmen versuchte. Aber
in den Niederlanden ging man dabei über alles Maß nach unsern heutigen
Begriffen hinaus und immer und immer waren die verschiedenen Ortsgesell¬
schaften der Rederijker an der Spitze. Ihre sogen. „Landjuweel", die großen
Sängerfeste mit Preisvertheilungen (daher der Name) bildeten den Mittel¬
punkt der bald hier bald dort, aber alljährlich mindestens einmal an einem
Orte gefeierten Schützenseste, deren eigentliche Bedeutung deshalb ganz zu¬
rücktrat, nicht ohne stille Mitwirkung der Obrigkeiten, die wahrscheinlich schon
damals von ihrer Unschädlichkeit überzeugt waren. Für die Sängerfeste be¬
willigten dieselben Magistrate, die sonst in Geldsachen äußerst spröde sich
benahmen, ganz unglaublich große Summen, denn so wohlhabend auch die
einzelnen Rederijker oder jede einzelne Gilde mit meist selbständigem und
altfundirtem Vermögen sein mochte, so konnte ein immer maßloser gebah-
render Luxus, der durch die Localeifersüchteleien zwischen den ehrsamen
Nachbarorten vollends alle Zügel verloren hatte, doch nur auf Un¬
kosten der größeren Gesammtheit, der städtischen Communen befriedigt
werden.

Das prunkvollste Schauspiel dieser Art war das Landjuweel zu Ant¬
werpen 1S61. von dem auch Jonckbloet eine ausführliche Beschreibung giebt.
Sie bietet eine Reihe sittengeschichtlich interessanter Züge und ist besonders
dadurch bemerkenswerth, daß sich daran am deutlichsten ermessen läßt, wie
das poetische Interesse, um das es sich dem Namen nach handelte, in der
That ganz in den Hintergrund getreten war. Denn zumeist ist die Rede
von der prachtvollen Ausrüstung der einzelnen Kammer: Da ziehen die
Brüder der Päonie zu Mecheln, 3L6 Mann zu Pferde auf, alle in roth-
sammtnen Röcken mit goldenen Stickereien, mit sieben wohlverzierten „anti¬
kischen Spielwagen mit Personen" (auf denen Allegorien in lebenden Bildern
dargestellt waren) außerdem noch sechszehn andere Wagen mit rothem Tuch
überdeckt und mit allegorischen Bildwerk reich verziert, woraus Gildegenossen
saßen, unter denen auch der Narr nicht fehlte, nur daß er in den Nieder¬
landen ernsthaftere Witze machen mußte, als in Deutschland bei ähnlichen
Volksfesten. Dann der grünende Baum von Lier, einem verhältnißmäßig
unbedeutenden Orte, 108 Mann zu Pferde, in grünen Röcken, Hüten ze,, jeder


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[0524] Jahrh-, wo schon die schwersten Gewitterwolken rings um den Horizont der Niederlande aufgethürmt standen, feierten sie ihre glänzendsten Feste, wie denn überhaupt das Volksleben in den Niederlanden dem Anscheine nach niemals freudiger und üppiger sich regte, als unmittelbar vor der großen Kathastrophe. In kleinerem Maßstabe haben wir es ja auch selbst erlebt, wie man durch Festgepränge aller Art und das Getöse von Festreden und Festgelagen die in den Gemüthern wohnende Besorgniß oder Hoffnung auf eine durchgrei¬ fende Wendung der deutschen Angelegenheiten wegzulärmen versuchte. Aber in den Niederlanden ging man dabei über alles Maß nach unsern heutigen Begriffen hinaus und immer und immer waren die verschiedenen Ortsgesell¬ schaften der Rederijker an der Spitze. Ihre sogen. „Landjuweel", die großen Sängerfeste mit Preisvertheilungen (daher der Name) bildeten den Mittel¬ punkt der bald hier bald dort, aber alljährlich mindestens einmal an einem Orte gefeierten Schützenseste, deren eigentliche Bedeutung deshalb ganz zu¬ rücktrat, nicht ohne stille Mitwirkung der Obrigkeiten, die wahrscheinlich schon damals von ihrer Unschädlichkeit überzeugt waren. Für die Sängerfeste be¬ willigten dieselben Magistrate, die sonst in Geldsachen äußerst spröde sich benahmen, ganz unglaublich große Summen, denn so wohlhabend auch die einzelnen Rederijker oder jede einzelne Gilde mit meist selbständigem und altfundirtem Vermögen sein mochte, so konnte ein immer maßloser gebah- render Luxus, der durch die Localeifersüchteleien zwischen den ehrsamen Nachbarorten vollends alle Zügel verloren hatte, doch nur auf Un¬ kosten der größeren Gesammtheit, der städtischen Communen befriedigt werden. Das prunkvollste Schauspiel dieser Art war das Landjuweel zu Ant¬ werpen 1S61. von dem auch Jonckbloet eine ausführliche Beschreibung giebt. Sie bietet eine Reihe sittengeschichtlich interessanter Züge und ist besonders dadurch bemerkenswerth, daß sich daran am deutlichsten ermessen läßt, wie das poetische Interesse, um das es sich dem Namen nach handelte, in der That ganz in den Hintergrund getreten war. Denn zumeist ist die Rede von der prachtvollen Ausrüstung der einzelnen Kammer: Da ziehen die Brüder der Päonie zu Mecheln, 3L6 Mann zu Pferde auf, alle in roth- sammtnen Röcken mit goldenen Stickereien, mit sieben wohlverzierten „anti¬ kischen Spielwagen mit Personen" (auf denen Allegorien in lebenden Bildern dargestellt waren) außerdem noch sechszehn andere Wagen mit rothem Tuch überdeckt und mit allegorischen Bildwerk reich verziert, woraus Gildegenossen saßen, unter denen auch der Narr nicht fehlte, nur daß er in den Nieder¬ landen ernsthaftere Witze machen mußte, als in Deutschland bei ähnlichen Volksfesten. Dann der grünende Baum von Lier, einem verhältnißmäßig unbedeutenden Orte, 108 Mann zu Pferde, in grünen Röcken, Hüten ze,, jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/524>, abgerufen am 29.06.2024.