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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Vorsichtig traten sie auch jetzt noch auf. wie es der gefährliche Boden, die
Macht ihrer Feinde, die zugleich ihre berechtigten Obrigkeiten waren -- ein
großes Ding für ein von dem wahren Geist der Reformation erfülltes
Gemüth -- und auch die natürliche Anlage des Volksgeistes mit sich brachte.
Denn gerade damals nach jahrhundertlangen revolutionären Experimenten
neigte er sich wenigstens in den bürgerlichen Schichten der Gesellschaft eher
nach der conservativen Seite hin und wäre gerne auf jedes leidliche Compro-
miß mit den Altgläubigen eingegangen, hätten diese nur selbst statt Galgen
und Rad oder was beide ersetzte, statt Scheiterhaufen irgend welche Werk¬
zeuge der Vermittelung und Versöhnung brauchen wollen. Die Rederijker
luden sich aber trotz ihrer gemäßigten Haltung, die im eigentlichen Deutsch¬
land unbegreiflich gewesen wäre, den ganzen Zorn der katholisch-spanischen
Reaction auf den Hals, und nachdem ungefähr mit dem Jahre 1566 von
spanischer Seite das bisherige System der angeblichen schwächlichen Nachsicht
verlassen und mit und durch Alba das neue der blutigen Strenge und
Consequenz inaugurirt wurde, standen sowohl einzelne ihrer Mitglieder als
auch die meisten ganzen Gesellschaften in der ersten Linie der Verdächtigen
oder was ebenso viel hieß, der für das Schaffst oder den Scheiterhaufen
Auserkorenen. Daher lösten sich auch die meisten Kammern in diesen finstern
Jahren auf, weil es factisch schon genügte, Mitglied zu sein, um verdächtig
zu werden. Später als nach Alba's Abberufung wieder ein Schaukelsystem
der spanischen Politik begann, wo man bald durch Nachlassen der Zügel die
Gemüther zu gewinnen strebte, bald aus Angst für das eigene Seelenheil
und das der Unterthanen sie um so schärfer wieder anzog, kamen Zeiten,
wo man von oben her die Rederijker förmlich protegirte, namentlich als es
ungefähr am Ende des 16. Jahrhunderts sich herausstellte, daß die noch
übrigen Reste der südniederländischer Bürgerschasten mürbe genug seien, um
sich den restaurirten Katholicismus gefallen zu lassen. Aber alle vornehmen
Gönner und Gönnerinnen, an der Spitze die verschiedenen Erzherzoge-Statt¬
halter, konnten dem erstorbenen Leibe kein neues Leben mehr einflößen.
Eine wiedereröffnete Kammer nach der andern zerbröckelte und es scheint
fast, als sei dies in den meisten Fällen unter so völliger Theilnahmlosigkeit
des übrigen Volkes geschehen, daß sich nicht einmal eine urkundliche Spur
davon erhalten hat.

Etwas anders vollzog sich ihr Geschick in den nördlichen Provinzen.
Wie diese bis zu dem glorreichen Ausgang des Befreiungskrieges in allen
Dingen immer nur die zweite Rolle spielten und die erste ihren so viel
mehr begünstigten Brüdern im Süden zufiel, so war auch die Blüthe der
Rederijker im Norden nur ein Abglanz der Herrlichkeit im Süden. Es gab
aber doch auch dort bis in die äußersten Spitzen von Nordholland und


Vorsichtig traten sie auch jetzt noch auf. wie es der gefährliche Boden, die
Macht ihrer Feinde, die zugleich ihre berechtigten Obrigkeiten waren — ein
großes Ding für ein von dem wahren Geist der Reformation erfülltes
Gemüth — und auch die natürliche Anlage des Volksgeistes mit sich brachte.
Denn gerade damals nach jahrhundertlangen revolutionären Experimenten
neigte er sich wenigstens in den bürgerlichen Schichten der Gesellschaft eher
nach der conservativen Seite hin und wäre gerne auf jedes leidliche Compro-
miß mit den Altgläubigen eingegangen, hätten diese nur selbst statt Galgen
und Rad oder was beide ersetzte, statt Scheiterhaufen irgend welche Werk¬
zeuge der Vermittelung und Versöhnung brauchen wollen. Die Rederijker
luden sich aber trotz ihrer gemäßigten Haltung, die im eigentlichen Deutsch¬
land unbegreiflich gewesen wäre, den ganzen Zorn der katholisch-spanischen
Reaction auf den Hals, und nachdem ungefähr mit dem Jahre 1566 von
spanischer Seite das bisherige System der angeblichen schwächlichen Nachsicht
verlassen und mit und durch Alba das neue der blutigen Strenge und
Consequenz inaugurirt wurde, standen sowohl einzelne ihrer Mitglieder als
auch die meisten ganzen Gesellschaften in der ersten Linie der Verdächtigen
oder was ebenso viel hieß, der für das Schaffst oder den Scheiterhaufen
Auserkorenen. Daher lösten sich auch die meisten Kammern in diesen finstern
Jahren auf, weil es factisch schon genügte, Mitglied zu sein, um verdächtig
zu werden. Später als nach Alba's Abberufung wieder ein Schaukelsystem
der spanischen Politik begann, wo man bald durch Nachlassen der Zügel die
Gemüther zu gewinnen strebte, bald aus Angst für das eigene Seelenheil
und das der Unterthanen sie um so schärfer wieder anzog, kamen Zeiten,
wo man von oben her die Rederijker förmlich protegirte, namentlich als es
ungefähr am Ende des 16. Jahrhunderts sich herausstellte, daß die noch
übrigen Reste der südniederländischer Bürgerschasten mürbe genug seien, um
sich den restaurirten Katholicismus gefallen zu lassen. Aber alle vornehmen
Gönner und Gönnerinnen, an der Spitze die verschiedenen Erzherzoge-Statt¬
halter, konnten dem erstorbenen Leibe kein neues Leben mehr einflößen.
Eine wiedereröffnete Kammer nach der andern zerbröckelte und es scheint
fast, als sei dies in den meisten Fällen unter so völliger Theilnahmlosigkeit
des übrigen Volkes geschehen, daß sich nicht einmal eine urkundliche Spur
davon erhalten hat.

Etwas anders vollzog sich ihr Geschick in den nördlichen Provinzen.
Wie diese bis zu dem glorreichen Ausgang des Befreiungskrieges in allen
Dingen immer nur die zweite Rolle spielten und die erste ihren so viel
mehr begünstigten Brüdern im Süden zufiel, so war auch die Blüthe der
Rederijker im Norden nur ein Abglanz der Herrlichkeit im Süden. Es gab
aber doch auch dort bis in die äußersten Spitzen von Nordholland und


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[0522] Vorsichtig traten sie auch jetzt noch auf. wie es der gefährliche Boden, die Macht ihrer Feinde, die zugleich ihre berechtigten Obrigkeiten waren — ein großes Ding für ein von dem wahren Geist der Reformation erfülltes Gemüth — und auch die natürliche Anlage des Volksgeistes mit sich brachte. Denn gerade damals nach jahrhundertlangen revolutionären Experimenten neigte er sich wenigstens in den bürgerlichen Schichten der Gesellschaft eher nach der conservativen Seite hin und wäre gerne auf jedes leidliche Compro- miß mit den Altgläubigen eingegangen, hätten diese nur selbst statt Galgen und Rad oder was beide ersetzte, statt Scheiterhaufen irgend welche Werk¬ zeuge der Vermittelung und Versöhnung brauchen wollen. Die Rederijker luden sich aber trotz ihrer gemäßigten Haltung, die im eigentlichen Deutsch¬ land unbegreiflich gewesen wäre, den ganzen Zorn der katholisch-spanischen Reaction auf den Hals, und nachdem ungefähr mit dem Jahre 1566 von spanischer Seite das bisherige System der angeblichen schwächlichen Nachsicht verlassen und mit und durch Alba das neue der blutigen Strenge und Consequenz inaugurirt wurde, standen sowohl einzelne ihrer Mitglieder als auch die meisten ganzen Gesellschaften in der ersten Linie der Verdächtigen oder was ebenso viel hieß, der für das Schaffst oder den Scheiterhaufen Auserkorenen. Daher lösten sich auch die meisten Kammern in diesen finstern Jahren auf, weil es factisch schon genügte, Mitglied zu sein, um verdächtig zu werden. Später als nach Alba's Abberufung wieder ein Schaukelsystem der spanischen Politik begann, wo man bald durch Nachlassen der Zügel die Gemüther zu gewinnen strebte, bald aus Angst für das eigene Seelenheil und das der Unterthanen sie um so schärfer wieder anzog, kamen Zeiten, wo man von oben her die Rederijker förmlich protegirte, namentlich als es ungefähr am Ende des 16. Jahrhunderts sich herausstellte, daß die noch übrigen Reste der südniederländischer Bürgerschasten mürbe genug seien, um sich den restaurirten Katholicismus gefallen zu lassen. Aber alle vornehmen Gönner und Gönnerinnen, an der Spitze die verschiedenen Erzherzoge-Statt¬ halter, konnten dem erstorbenen Leibe kein neues Leben mehr einflößen. Eine wiedereröffnete Kammer nach der andern zerbröckelte und es scheint fast, als sei dies in den meisten Fällen unter so völliger Theilnahmlosigkeit des übrigen Volkes geschehen, daß sich nicht einmal eine urkundliche Spur davon erhalten hat. Etwas anders vollzog sich ihr Geschick in den nördlichen Provinzen. Wie diese bis zu dem glorreichen Ausgang des Befreiungskrieges in allen Dingen immer nur die zweite Rolle spielten und die erste ihren so viel mehr begünstigten Brüdern im Süden zufiel, so war auch die Blüthe der Rederijker im Norden nur ein Abglanz der Herrlichkeit im Süden. Es gab aber doch auch dort bis in die äußersten Spitzen von Nordholland und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/522>, abgerufen am 28.09.2024.