Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.die lyrische Form, die es sich freilich gefallen lassen mußte, daß alles Mög¬ Es läßt sich begreifen, daß diese Rederijker auch in der Geschichte ihres die lyrische Form, die es sich freilich gefallen lassen mußte, daß alles Mög¬ Es läßt sich begreifen, daß diese Rederijker auch in der Geschichte ihres <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124673"/> <p xml:id="ID_1511" prev="#ID_1510"> die lyrische Form, die es sich freilich gefallen lassen mußte, daß alles Mög¬<lb/> liche in sie untergesteckt wurde. In den Niederlanden aber war es das<lb/> Drama, das die Rederijker mit Vorliebe pflegten, besonders das allegorische.<lb/> Hierin entwickelten sie unglaubliche äußere Reizmittel und ihre Aufführungen,<lb/> die sehr bald die Seele der glänzendsten Volksfeste wurden, imponiren 'uns<lb/> noch jetzt durch den Aufwand von Pracht und Geld. Sie allein würden hin¬<lb/> reichen, um die auch anderwärts bekannte Thatsache darzuthun, daß die Nie¬<lb/> derlande sich im 18. und 16. Jahrhundert eines Reichthums erfreuten, von<lb/> dem der sprichwörtliche des heutigen Hollands nur ein schwacher Ueberrest ist.<lb/> Selbst das damalige eigentliche Deutschland, bekanntlich das reichste Land<lb/> Europas, die Niederlande abgerechnet, kann sich nicht entfernt mit diesem<lb/> unerschöpflichen, allgemein verbreiteten, immer neu sich gebärenden Volks¬<lb/> wohlstand messen. Was bei uns der dreißigjährige Krieg gründlich zu Wege<lb/> brachte, Deutschland aus dem reichsten in das ärmste Land zu verwandeln,<lb/> das war dort selbst der spanischen Despotie und den funfzigjährigen Kriegen<lb/> gegen sie unmöglich, aber die frühere Herrlichkeit ist auch dort bis heute<lb/> nicht wieder erstanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1512" next="#ID_1513"> Es läßt sich begreifen, daß diese Rederijker auch in der Geschichte ihres<lb/> Landes eine andere Rolle spielten als unsere Meistersinger. Von einem<lb/> Antheil der letztern an irgend einer großen geschichtlichen Action, sei es auch<lb/> nur groß nach dem Maßstab, der innerhalb der Mauern der einen Stadt<lb/> galt, wissen wir nichts, obwohl uns bekannt ist, daß sie z. B. in Nürn¬<lb/> berg und Ulm zu den frühesten und eifrigsten Parteigängern der Reformation<lb/> gehörten und dafür in Schrift und Wort Propaganda machten. Anders in<lb/> den Niederlanden: bei allen inneren politischen und socialen Kämpfen des<lb/> 13. Jahrhunderts waren die Rederijker gewöhnlich>uf der einen oder andern<lb/> Seite, aber immer hervorragend betheiligt. Und als dann die reformatorische<lb/> Bewegung hereinbrach, langsamer aber womöglich noch zäher als in Deutsch¬<lb/> land, und durch ihre feste Verkittung mit politischen und socialen Umsturz-<lb/> theonen gefährlicher für alle bestehenden Verhältnisse als anderswo, waren<lb/> es wieder die unzähligen Kammern und Kämmerchen von Rhetorik«, in<lb/> denen die so argwöhnisch beobachtete und bald so hart von allen gebietenden<lb/> Mächten im Lande. Kaiser, Bischöfen, Stadtmagistraten verfolgte neue Lehre<lb/> ein unantastbares Asyl gewann. Es dauerte nicht lange, aber allerdings<lb/> doch viel länger als in Deutschland, wo das Herz des gesammten Bürger-<lb/> thums der Lehre Luthers laut zujauchzte und der Verstand gar nicht erst<lb/> einmal mit zur Berathung gezogen zu werden brauchte, so war auch in allen<lb/> niederländischen Städten und stadtähnlichen Orten der Kern der Bevölkerung<lb/> lutherisch oder reformirt gesinnt und dieser Kern krystallisirte sich eben her¬<lb/> kömmlich in der Zunft der Ortspoeten oder Freunde der Poesie, der Rederijker.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0521]
die lyrische Form, die es sich freilich gefallen lassen mußte, daß alles Mög¬
liche in sie untergesteckt wurde. In den Niederlanden aber war es das
Drama, das die Rederijker mit Vorliebe pflegten, besonders das allegorische.
Hierin entwickelten sie unglaubliche äußere Reizmittel und ihre Aufführungen,
die sehr bald die Seele der glänzendsten Volksfeste wurden, imponiren 'uns
noch jetzt durch den Aufwand von Pracht und Geld. Sie allein würden hin¬
reichen, um die auch anderwärts bekannte Thatsache darzuthun, daß die Nie¬
derlande sich im 18. und 16. Jahrhundert eines Reichthums erfreuten, von
dem der sprichwörtliche des heutigen Hollands nur ein schwacher Ueberrest ist.
Selbst das damalige eigentliche Deutschland, bekanntlich das reichste Land
Europas, die Niederlande abgerechnet, kann sich nicht entfernt mit diesem
unerschöpflichen, allgemein verbreiteten, immer neu sich gebärenden Volks¬
wohlstand messen. Was bei uns der dreißigjährige Krieg gründlich zu Wege
brachte, Deutschland aus dem reichsten in das ärmste Land zu verwandeln,
das war dort selbst der spanischen Despotie und den funfzigjährigen Kriegen
gegen sie unmöglich, aber die frühere Herrlichkeit ist auch dort bis heute
nicht wieder erstanden.
Es läßt sich begreifen, daß diese Rederijker auch in der Geschichte ihres
Landes eine andere Rolle spielten als unsere Meistersinger. Von einem
Antheil der letztern an irgend einer großen geschichtlichen Action, sei es auch
nur groß nach dem Maßstab, der innerhalb der Mauern der einen Stadt
galt, wissen wir nichts, obwohl uns bekannt ist, daß sie z. B. in Nürn¬
berg und Ulm zu den frühesten und eifrigsten Parteigängern der Reformation
gehörten und dafür in Schrift und Wort Propaganda machten. Anders in
den Niederlanden: bei allen inneren politischen und socialen Kämpfen des
13. Jahrhunderts waren die Rederijker gewöhnlich>uf der einen oder andern
Seite, aber immer hervorragend betheiligt. Und als dann die reformatorische
Bewegung hereinbrach, langsamer aber womöglich noch zäher als in Deutsch¬
land, und durch ihre feste Verkittung mit politischen und socialen Umsturz-
theonen gefährlicher für alle bestehenden Verhältnisse als anderswo, waren
es wieder die unzähligen Kammern und Kämmerchen von Rhetorik«, in
denen die so argwöhnisch beobachtete und bald so hart von allen gebietenden
Mächten im Lande. Kaiser, Bischöfen, Stadtmagistraten verfolgte neue Lehre
ein unantastbares Asyl gewann. Es dauerte nicht lange, aber allerdings
doch viel länger als in Deutschland, wo das Herz des gesammten Bürger-
thums der Lehre Luthers laut zujauchzte und der Verstand gar nicht erst
einmal mit zur Berathung gezogen zu werden brauchte, so war auch in allen
niederländischen Städten und stadtähnlichen Orten der Kern der Bevölkerung
lutherisch oder reformirt gesinnt und dieser Kern krystallisirte sich eben her¬
kömmlich in der Zunft der Ortspoeten oder Freunde der Poesie, der Rederijker.
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