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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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ihnen zu bringen suchte nach seinem und ihrem Verständniß, war seine selbst¬
verständliche Schuldigkeit, für das Unglück, was während seiner Herrschaft
über sie kam, trägt er allein die Schuld. Uns Deutschen aber ziemt in
dieser Zeit daran zu denken, daß der Kaiser durch lange Jahre seiner Regie¬
rung zwar nicht besser gewesen ist als seine sieben bis acht Millionen Wäh-
ler, wohl aber viel klüger. Und daß das Unglück über ihn und Frankreich
gekommen ist erst in der Zeit, wo er die innere Sicherheit und Selbständig¬
keit gegenüber den frevelhaften Gelüsten des französischen Volkes verloren
hatte, und grade so sehr Franzose geworden war wie die Anderen auch.
Wir wissen freilich auch, daß dieses allmählige Borniren seines Urtheils der
vergeltende Fluch ist, den das Schicksal übermenschlicher Vermessenheit be¬
reitet hat.

In unserer Heimath ist jetzt vor Allem die Empfindung obenauf, daß
der Kaiser Schuld sei an diesem Kriege, an dem vergossenen Blut, an dem
Tode unserer Söhne und Brüder. Dies zornige Gefühl macht nicht geneigt,
bedächtig den Grad der Schuld, welche den Kaiser trifft, abzuwägen. In
Wahrheit war es nicht der Kaiser, der uns den Krieg angekündigt hat, son¬
dern das Franzosenthum, oder genauer gesagt, das Pariserthum. Hätte ein
Bourbon, ein Orleans, irgend ein Präsident oder General von dieser Stadt
aus Frankreich regiert, sie würden sämmtlich noch weit schlimmer, schnöder
und brutaler den gallischen Neid gegen uns kund gegeben haben; der Kaiser
hat sich Jahre lang gegen die Thorheit und die hohle Lüge von Paris ge¬
sträubt, bis sie endlich auch ihm das Hirn betäubte.

Es ist jetzt allerdings nicht Zeit, den gefangenen Mann anzuklagen oder
zu entschuldigen. Wenn aber unsere treuen Hessen es als eine Beleidigung
ihrer Heimath betrachten, daß der Geschenke grade unter sie gesetzt worden
ist, so möchten wir sie aus patriotischen Gründen bitten, in ihrem Eifer nicht
zu weit zu gehen. Wir haben uns dem Gefangenen gegenüber vor Allem
durch die Rücksicht auf Vortheil und Wohl des Vaterlandes leiten zu lassen,
und es ist keineswegs sicher, wie sich die französische Nation in naher oder
ferner Zukunft zu seinem Regiments stellt. Was jetzt in Frankreich ganz
unmöglich wäre, kann in einem Vierteljahre wieder Volksgeschret werden, und
für uns wäre eine Dynastie Napoleon, wenn sie möglich würde, immer
noch angenehmer als die der Orleans, eines Geschlechtes, dessen Kriecherei
vor Frankreichs Lastern so weit geht, daß Prinzen dieses Hauses öffentlich
den Krieg der Bauern und Bürger gegen das deutsche Heer zu predigen
wagen, d. h. Wiederbelebung der Zustände des dreißigjährigen Krieges und
Rückfall in die Barbarei des Mittelalters.

Wie ein schwarzer Schatten hing sich seit dem Tage von Weißenburg
an alle glorreichen Thaten unseres Heeres der Gedanke, daß jeder unserer Erfolge


Grenzboten III. 1S70. 6g

ihnen zu bringen suchte nach seinem und ihrem Verständniß, war seine selbst¬
verständliche Schuldigkeit, für das Unglück, was während seiner Herrschaft
über sie kam, trägt er allein die Schuld. Uns Deutschen aber ziemt in
dieser Zeit daran zu denken, daß der Kaiser durch lange Jahre seiner Regie¬
rung zwar nicht besser gewesen ist als seine sieben bis acht Millionen Wäh-
ler, wohl aber viel klüger. Und daß das Unglück über ihn und Frankreich
gekommen ist erst in der Zeit, wo er die innere Sicherheit und Selbständig¬
keit gegenüber den frevelhaften Gelüsten des französischen Volkes verloren
hatte, und grade so sehr Franzose geworden war wie die Anderen auch.
Wir wissen freilich auch, daß dieses allmählige Borniren seines Urtheils der
vergeltende Fluch ist, den das Schicksal übermenschlicher Vermessenheit be¬
reitet hat.

In unserer Heimath ist jetzt vor Allem die Empfindung obenauf, daß
der Kaiser Schuld sei an diesem Kriege, an dem vergossenen Blut, an dem
Tode unserer Söhne und Brüder. Dies zornige Gefühl macht nicht geneigt,
bedächtig den Grad der Schuld, welche den Kaiser trifft, abzuwägen. In
Wahrheit war es nicht der Kaiser, der uns den Krieg angekündigt hat, son¬
dern das Franzosenthum, oder genauer gesagt, das Pariserthum. Hätte ein
Bourbon, ein Orleans, irgend ein Präsident oder General von dieser Stadt
aus Frankreich regiert, sie würden sämmtlich noch weit schlimmer, schnöder
und brutaler den gallischen Neid gegen uns kund gegeben haben; der Kaiser
hat sich Jahre lang gegen die Thorheit und die hohle Lüge von Paris ge¬
sträubt, bis sie endlich auch ihm das Hirn betäubte.

Es ist jetzt allerdings nicht Zeit, den gefangenen Mann anzuklagen oder
zu entschuldigen. Wenn aber unsere treuen Hessen es als eine Beleidigung
ihrer Heimath betrachten, daß der Geschenke grade unter sie gesetzt worden
ist, so möchten wir sie aus patriotischen Gründen bitten, in ihrem Eifer nicht
zu weit zu gehen. Wir haben uns dem Gefangenen gegenüber vor Allem
durch die Rücksicht auf Vortheil und Wohl des Vaterlandes leiten zu lassen,
und es ist keineswegs sicher, wie sich die französische Nation in naher oder
ferner Zukunft zu seinem Regiments stellt. Was jetzt in Frankreich ganz
unmöglich wäre, kann in einem Vierteljahre wieder Volksgeschret werden, und
für uns wäre eine Dynastie Napoleon, wenn sie möglich würde, immer
noch angenehmer als die der Orleans, eines Geschlechtes, dessen Kriecherei
vor Frankreichs Lastern so weit geht, daß Prinzen dieses Hauses öffentlich
den Krieg der Bauern und Bürger gegen das deutsche Heer zu predigen
wagen, d. h. Wiederbelebung der Zustände des dreißigjährigen Krieges und
Rückfall in die Barbarei des Mittelalters.

Wie ein schwarzer Schatten hing sich seit dem Tage von Weißenburg
an alle glorreichen Thaten unseres Heeres der Gedanke, daß jeder unserer Erfolge


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[0517] ihnen zu bringen suchte nach seinem und ihrem Verständniß, war seine selbst¬ verständliche Schuldigkeit, für das Unglück, was während seiner Herrschaft über sie kam, trägt er allein die Schuld. Uns Deutschen aber ziemt in dieser Zeit daran zu denken, daß der Kaiser durch lange Jahre seiner Regie¬ rung zwar nicht besser gewesen ist als seine sieben bis acht Millionen Wäh- ler, wohl aber viel klüger. Und daß das Unglück über ihn und Frankreich gekommen ist erst in der Zeit, wo er die innere Sicherheit und Selbständig¬ keit gegenüber den frevelhaften Gelüsten des französischen Volkes verloren hatte, und grade so sehr Franzose geworden war wie die Anderen auch. Wir wissen freilich auch, daß dieses allmählige Borniren seines Urtheils der vergeltende Fluch ist, den das Schicksal übermenschlicher Vermessenheit be¬ reitet hat. In unserer Heimath ist jetzt vor Allem die Empfindung obenauf, daß der Kaiser Schuld sei an diesem Kriege, an dem vergossenen Blut, an dem Tode unserer Söhne und Brüder. Dies zornige Gefühl macht nicht geneigt, bedächtig den Grad der Schuld, welche den Kaiser trifft, abzuwägen. In Wahrheit war es nicht der Kaiser, der uns den Krieg angekündigt hat, son¬ dern das Franzosenthum, oder genauer gesagt, das Pariserthum. Hätte ein Bourbon, ein Orleans, irgend ein Präsident oder General von dieser Stadt aus Frankreich regiert, sie würden sämmtlich noch weit schlimmer, schnöder und brutaler den gallischen Neid gegen uns kund gegeben haben; der Kaiser hat sich Jahre lang gegen die Thorheit und die hohle Lüge von Paris ge¬ sträubt, bis sie endlich auch ihm das Hirn betäubte. Es ist jetzt allerdings nicht Zeit, den gefangenen Mann anzuklagen oder zu entschuldigen. Wenn aber unsere treuen Hessen es als eine Beleidigung ihrer Heimath betrachten, daß der Geschenke grade unter sie gesetzt worden ist, so möchten wir sie aus patriotischen Gründen bitten, in ihrem Eifer nicht zu weit zu gehen. Wir haben uns dem Gefangenen gegenüber vor Allem durch die Rücksicht auf Vortheil und Wohl des Vaterlandes leiten zu lassen, und es ist keineswegs sicher, wie sich die französische Nation in naher oder ferner Zukunft zu seinem Regiments stellt. Was jetzt in Frankreich ganz unmöglich wäre, kann in einem Vierteljahre wieder Volksgeschret werden, und für uns wäre eine Dynastie Napoleon, wenn sie möglich würde, immer noch angenehmer als die der Orleans, eines Geschlechtes, dessen Kriecherei vor Frankreichs Lastern so weit geht, daß Prinzen dieses Hauses öffentlich den Krieg der Bauern und Bürger gegen das deutsche Heer zu predigen wagen, d. h. Wiederbelebung der Zustände des dreißigjährigen Krieges und Rückfall in die Barbarei des Mittelalters. Wie ein schwarzer Schatten hing sich seit dem Tage von Weißenburg an alle glorreichen Thaten unseres Heeres der Gedanke, daß jeder unserer Erfolge Grenzboten III. 1S70. 6g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/517>, abgerufen am 28.09.2024.