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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dazu beitrug, die einzige Autorität zu verderben, mit der wir überhaupt Frieden
schließen konnten, und daß es außer dem Gegner, den wir von seiner Höhe Stufe
um Stufe hinabwarfen, keinerlei andere Autorität in Frankreich gab, mit der ein
Friedensschluß möglich war. Wer ist zurückgeblieben? Die Advocaten der Linken,
welche in den nächsten Tagen in Gefuhr schweben mögen, von ihren unzu¬
friedenen Pöbelhaufen an die Laterne gehangen zu werden, und die geist¬
vollen Journalisten, welche die öffentliche Meinung von Paris machen, der
alte Phraseur und Geschichtsfälscher Thiers, Emil Girardin, der den Schwarz-
Wald mit Petroleum zu verbrennen gedenkt, oder andere celtische Phantasten.
Es ist zur Zeit Niemand in Frankreich vorhanden, der die Autorität hat,
ein Friedensinstrument zu unterzeichnen, das nur 3 Tage unzerrissen bleibt.

Wir führen jetzt Krieg gegen ein politisch verdorbenes und verkommenes
Volk, nicht mehr gegen einen Staat. Wir können sie beherrschen, knechten,
als Sklaven behandeln, aber wir können ihnen nicht die Organe geben, deren
Verträge irgendwelche Garantie der Dauer haben. In den Provinzen überall
fleißige, rechtschaffene und patriotisch warmherzige Leute, aber Privatmen¬
schen, ohne Einfluß in ihrer eigenen Commune, und unbekannt, ohne jede
Bedeutung für den Staat. Diesem Lande von 38 Millionen fehlen gänzlich
die Politiker, die öffentlichen Charaktere, die Köpfe, welche ein Verständniß
großer Verhältnisse haben. Der Kaiser war in Wahrheit durch eine Reihe
von Jahren der einzige Kopf, der allgemeine Bankerot an Vernunft und Ver¬
ständniß der Welt hat zuletzt auch ihn heruntergebracht.

Aus der offiziösen Presse von Berlin war zu erkennen, wie rathlos auch
die feinste irdische Klugheit vor dem politischen Nichts stand, das wir in
Frankreich finden und offenbaren mußten. Die mannigfaltigsten Combina¬
tionen tauchten auf und jede leidet zur Zeit an unüberwindlichen Schwierig¬
keiten. Unsere nächste Aufgabe stand nach den Tagen von Sedan klar vor
Aller Augen. Mußten wir den Kaiser gefangen nehmen, so mußten wir
auch heilen Gebieter, das lüderliche frevelhafte Paris, einfangen Dem Ge¬
schlecht gegenüber, welches dort die öffentliche Meinung macht, hilft weder
Vernunft noch Edl>laues, nur der eiferne Zwang und die blasse Furcht.
Wenn die gewandte und scharfsinnige Kunst unseres auswärtigen Amtes
gerade jetzt die Hoffnung auf eine Vereinbarung mit den interimistischen
Führern der Pariser öffentlichen Meinung nicht aufgibt, so darf man über¬
zeugt sein, daß unsererseits jede Vorsicht angewendet werden wird, um die
militärischen Erfolge nicht durch zu schnelles Vertrauen auf die Redlichkeit
und den Verstand bedrängter Pariser auf das Spiel zu setzen. Wir fahren
fort zu marschiren, wenn wir auch hoffen, scharfes Fechten nicht mehr nöthig
? zu haben.^




dazu beitrug, die einzige Autorität zu verderben, mit der wir überhaupt Frieden
schließen konnten, und daß es außer dem Gegner, den wir von seiner Höhe Stufe
um Stufe hinabwarfen, keinerlei andere Autorität in Frankreich gab, mit der ein
Friedensschluß möglich war. Wer ist zurückgeblieben? Die Advocaten der Linken,
welche in den nächsten Tagen in Gefuhr schweben mögen, von ihren unzu¬
friedenen Pöbelhaufen an die Laterne gehangen zu werden, und die geist¬
vollen Journalisten, welche die öffentliche Meinung von Paris machen, der
alte Phraseur und Geschichtsfälscher Thiers, Emil Girardin, der den Schwarz-
Wald mit Petroleum zu verbrennen gedenkt, oder andere celtische Phantasten.
Es ist zur Zeit Niemand in Frankreich vorhanden, der die Autorität hat,
ein Friedensinstrument zu unterzeichnen, das nur 3 Tage unzerrissen bleibt.

Wir führen jetzt Krieg gegen ein politisch verdorbenes und verkommenes
Volk, nicht mehr gegen einen Staat. Wir können sie beherrschen, knechten,
als Sklaven behandeln, aber wir können ihnen nicht die Organe geben, deren
Verträge irgendwelche Garantie der Dauer haben. In den Provinzen überall
fleißige, rechtschaffene und patriotisch warmherzige Leute, aber Privatmen¬
schen, ohne Einfluß in ihrer eigenen Commune, und unbekannt, ohne jede
Bedeutung für den Staat. Diesem Lande von 38 Millionen fehlen gänzlich
die Politiker, die öffentlichen Charaktere, die Köpfe, welche ein Verständniß
großer Verhältnisse haben. Der Kaiser war in Wahrheit durch eine Reihe
von Jahren der einzige Kopf, der allgemeine Bankerot an Vernunft und Ver¬
ständniß der Welt hat zuletzt auch ihn heruntergebracht.

Aus der offiziösen Presse von Berlin war zu erkennen, wie rathlos auch
die feinste irdische Klugheit vor dem politischen Nichts stand, das wir in
Frankreich finden und offenbaren mußten. Die mannigfaltigsten Combina¬
tionen tauchten auf und jede leidet zur Zeit an unüberwindlichen Schwierig¬
keiten. Unsere nächste Aufgabe stand nach den Tagen von Sedan klar vor
Aller Augen. Mußten wir den Kaiser gefangen nehmen, so mußten wir
auch heilen Gebieter, das lüderliche frevelhafte Paris, einfangen Dem Ge¬
schlecht gegenüber, welches dort die öffentliche Meinung macht, hilft weder
Vernunft noch Edl>laues, nur der eiferne Zwang und die blasse Furcht.
Wenn die gewandte und scharfsinnige Kunst unseres auswärtigen Amtes
gerade jetzt die Hoffnung auf eine Vereinbarung mit den interimistischen
Führern der Pariser öffentlichen Meinung nicht aufgibt, so darf man über¬
zeugt sein, daß unsererseits jede Vorsicht angewendet werden wird, um die
militärischen Erfolge nicht durch zu schnelles Vertrauen auf die Redlichkeit
und den Verstand bedrängter Pariser auf das Spiel zu setzen. Wir fahren
fort zu marschiren, wenn wir auch hoffen, scharfes Fechten nicht mehr nöthig
? zu haben.^




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/518>, abgerufen am 29.06.2024.