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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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unter Bedeckung, durch Graf Seckendorf bis über die belgische Grenze ge¬
führt. Er saß gefaßt in ruhiger Haltung in seinem Wagen, wer ihn
hier zuerst sah, den überraschte wahrscheinlich das blonde Haar und der
milde Ausdruck des feinen Gesichtes, dem man einige Abspannung an¬
sehen konnte, aber nichts von der Verzweiflung, welche ein erfindungsreicher
Berichterstatter im Stil eines Räuberromanes schildert. Allein dem Kaiser
blieb auf dem kurzen Weg nach Belgien ein herber Eindruck nicht erspart:
die Colonne seiner Wagen begegnete einem langen Transport franzö¬
sischer Gefangener; es war nicht möglich auszuweichen und der Kaiser
mußte vor den Trümmern seines Heeres Spießruthen sitzen. Die Mehrzahl
der Offiziere trat salutirend an den kaiserlichen Wagen, von den Soldaten
grüßten wenige, die meisten wandten sich mit düsterer Miene ab, andere mur¬
melten einen Fluch. Als man aber auf belgischen Boden ankam und die
Schwierigkeiten des dortigen unbehilflichen Grenzdienstes beseitigt hatte,
wurde der Kaiser in Bouillon von der dichten Bevölkerung mit lautem Vive
1'ömpereur! empfangen und der belgische Maire entschuldigte dies gegen die
Preußen damit, daß sehr viel flüchtige Franzosen in dem Haufen seien. Da
die Wallonen seit alter Zeit gewohnt sind, die abgelegten Moden der Pariser
zu bewundern, so darf solche Huldigung nicht befremden. Wir Deutsche aber
fühlen uns doch verpflichtet auszusprechen, daß der Kaiser die beispiellos
schnelle und beispiellos ruhmlose Verflüchtigung seines Kaiserthums persönlich
wenigstens nicht ohne Haltung und Festigkeit durchgelebt hat.

Er ist jetzt in Frankreich unmöglich. Die kalte Gleichgiltigkeit und
der plötzliche Haß. mit welchem ihn die Franzosen seit seinem Fall betrach¬
teten, gehört zu dem vielen Verächtlicher, welches einem Deutschen französisches
Wesen verleidet. Die ihn anklagen, sind nicht allein die elenden Schwätzer, welche
die Journale in Paris mit ihren Phrasen füllen, und nicht allein die Intriguan-
ten feindseliger Parteien, sondern Alles ist von ihm abgefallen, der Landmann,
dem er neue Ackermaschinen vor das Haus stellte, und durch Einführung neuer
Culturen, durch Bau vortrefflicher Landstraßen die Erträge verdoppelte, der
Händler, dem er Kanäle baute, einen unermeßlichen Waarenmarkt und die
Industrie der Welt in großartiger Weise zugänglich machte, der Rentier, dem
er die Geldspeculationen förderte, dem er in jeder größeren Provinzialstadt
stattliche Prospecte anlegte, das Hotel de Ville in eleganten Formen erbauen und
einrichten ließ, das Ortsmuseum mit Bildern beschenkte; der Fromme, dem
er überall die alten Kirchen restauriren und neue aufführen ließ in stattlicher
kaiserlicher Gothik. Nirgend findet der Fremde, und wenn er Hunderte
Franzosen fragt, einen Dank, Anerkennung, Theilnahme für den Kaiser. Er
ist der gesammten Nation wie einst den Jsraeliten der Sündenbock, er ist
in die Wüste gestoßen, das Volk ist gereinigt und beginnt mit leichtem Her¬
zen ein neues Sündenconto. Das ist eine furchtbare Lehre für persönliches
Regiment. Er hatte sich den Franzosen aufgedrängt, das Gute, was er


unter Bedeckung, durch Graf Seckendorf bis über die belgische Grenze ge¬
führt. Er saß gefaßt in ruhiger Haltung in seinem Wagen, wer ihn
hier zuerst sah, den überraschte wahrscheinlich das blonde Haar und der
milde Ausdruck des feinen Gesichtes, dem man einige Abspannung an¬
sehen konnte, aber nichts von der Verzweiflung, welche ein erfindungsreicher
Berichterstatter im Stil eines Räuberromanes schildert. Allein dem Kaiser
blieb auf dem kurzen Weg nach Belgien ein herber Eindruck nicht erspart:
die Colonne seiner Wagen begegnete einem langen Transport franzö¬
sischer Gefangener; es war nicht möglich auszuweichen und der Kaiser
mußte vor den Trümmern seines Heeres Spießruthen sitzen. Die Mehrzahl
der Offiziere trat salutirend an den kaiserlichen Wagen, von den Soldaten
grüßten wenige, die meisten wandten sich mit düsterer Miene ab, andere mur¬
melten einen Fluch. Als man aber auf belgischen Boden ankam und die
Schwierigkeiten des dortigen unbehilflichen Grenzdienstes beseitigt hatte,
wurde der Kaiser in Bouillon von der dichten Bevölkerung mit lautem Vive
1'ömpereur! empfangen und der belgische Maire entschuldigte dies gegen die
Preußen damit, daß sehr viel flüchtige Franzosen in dem Haufen seien. Da
die Wallonen seit alter Zeit gewohnt sind, die abgelegten Moden der Pariser
zu bewundern, so darf solche Huldigung nicht befremden. Wir Deutsche aber
fühlen uns doch verpflichtet auszusprechen, daß der Kaiser die beispiellos
schnelle und beispiellos ruhmlose Verflüchtigung seines Kaiserthums persönlich
wenigstens nicht ohne Haltung und Festigkeit durchgelebt hat.

Er ist jetzt in Frankreich unmöglich. Die kalte Gleichgiltigkeit und
der plötzliche Haß. mit welchem ihn die Franzosen seit seinem Fall betrach¬
teten, gehört zu dem vielen Verächtlicher, welches einem Deutschen französisches
Wesen verleidet. Die ihn anklagen, sind nicht allein die elenden Schwätzer, welche
die Journale in Paris mit ihren Phrasen füllen, und nicht allein die Intriguan-
ten feindseliger Parteien, sondern Alles ist von ihm abgefallen, der Landmann,
dem er neue Ackermaschinen vor das Haus stellte, und durch Einführung neuer
Culturen, durch Bau vortrefflicher Landstraßen die Erträge verdoppelte, der
Händler, dem er Kanäle baute, einen unermeßlichen Waarenmarkt und die
Industrie der Welt in großartiger Weise zugänglich machte, der Rentier, dem
er die Geldspeculationen förderte, dem er in jeder größeren Provinzialstadt
stattliche Prospecte anlegte, das Hotel de Ville in eleganten Formen erbauen und
einrichten ließ, das Ortsmuseum mit Bildern beschenkte; der Fromme, dem
er überall die alten Kirchen restauriren und neue aufführen ließ in stattlicher
kaiserlicher Gothik. Nirgend findet der Fremde, und wenn er Hunderte
Franzosen fragt, einen Dank, Anerkennung, Theilnahme für den Kaiser. Er
ist der gesammten Nation wie einst den Jsraeliten der Sündenbock, er ist
in die Wüste gestoßen, das Volk ist gereinigt und beginnt mit leichtem Her¬
zen ein neues Sündenconto. Das ist eine furchtbare Lehre für persönliches
Regiment. Er hatte sich den Franzosen aufgedrängt, das Gute, was er


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[0516] unter Bedeckung, durch Graf Seckendorf bis über die belgische Grenze ge¬ führt. Er saß gefaßt in ruhiger Haltung in seinem Wagen, wer ihn hier zuerst sah, den überraschte wahrscheinlich das blonde Haar und der milde Ausdruck des feinen Gesichtes, dem man einige Abspannung an¬ sehen konnte, aber nichts von der Verzweiflung, welche ein erfindungsreicher Berichterstatter im Stil eines Räuberromanes schildert. Allein dem Kaiser blieb auf dem kurzen Weg nach Belgien ein herber Eindruck nicht erspart: die Colonne seiner Wagen begegnete einem langen Transport franzö¬ sischer Gefangener; es war nicht möglich auszuweichen und der Kaiser mußte vor den Trümmern seines Heeres Spießruthen sitzen. Die Mehrzahl der Offiziere trat salutirend an den kaiserlichen Wagen, von den Soldaten grüßten wenige, die meisten wandten sich mit düsterer Miene ab, andere mur¬ melten einen Fluch. Als man aber auf belgischen Boden ankam und die Schwierigkeiten des dortigen unbehilflichen Grenzdienstes beseitigt hatte, wurde der Kaiser in Bouillon von der dichten Bevölkerung mit lautem Vive 1'ömpereur! empfangen und der belgische Maire entschuldigte dies gegen die Preußen damit, daß sehr viel flüchtige Franzosen in dem Haufen seien. Da die Wallonen seit alter Zeit gewohnt sind, die abgelegten Moden der Pariser zu bewundern, so darf solche Huldigung nicht befremden. Wir Deutsche aber fühlen uns doch verpflichtet auszusprechen, daß der Kaiser die beispiellos schnelle und beispiellos ruhmlose Verflüchtigung seines Kaiserthums persönlich wenigstens nicht ohne Haltung und Festigkeit durchgelebt hat. Er ist jetzt in Frankreich unmöglich. Die kalte Gleichgiltigkeit und der plötzliche Haß. mit welchem ihn die Franzosen seit seinem Fall betrach¬ teten, gehört zu dem vielen Verächtlicher, welches einem Deutschen französisches Wesen verleidet. Die ihn anklagen, sind nicht allein die elenden Schwätzer, welche die Journale in Paris mit ihren Phrasen füllen, und nicht allein die Intriguan- ten feindseliger Parteien, sondern Alles ist von ihm abgefallen, der Landmann, dem er neue Ackermaschinen vor das Haus stellte, und durch Einführung neuer Culturen, durch Bau vortrefflicher Landstraßen die Erträge verdoppelte, der Händler, dem er Kanäle baute, einen unermeßlichen Waarenmarkt und die Industrie der Welt in großartiger Weise zugänglich machte, der Rentier, dem er die Geldspeculationen förderte, dem er in jeder größeren Provinzialstadt stattliche Prospecte anlegte, das Hotel de Ville in eleganten Formen erbauen und einrichten ließ, das Ortsmuseum mit Bildern beschenkte; der Fromme, dem er überall die alten Kirchen restauriren und neue aufführen ließ in stattlicher kaiserlicher Gothik. Nirgend findet der Fremde, und wenn er Hunderte Franzosen fragt, einen Dank, Anerkennung, Theilnahme für den Kaiser. Er ist der gesammten Nation wie einst den Jsraeliten der Sündenbock, er ist in die Wüste gestoßen, das Volk ist gereinigt und beginnt mit leichtem Her¬ zen ein neues Sündenconto. Das ist eine furchtbare Lehre für persönliches Regiment. Er hatte sich den Franzosen aufgedrängt, das Gute, was er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/516>, abgerufen am 28.09.2024.