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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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die Festung und sein Heer nicht dem Feinde überantworten, er legte also
Sorge und Verantwortung für diese That auf die Seele des commandiren-
den Generals und schrieb j?nen Brief an König Wilhelm, worin er ihm sei¬
nen Degen zu Füßen legte, ohne die Capitulation von Heer und Festung zu
erwähnen.

Es war ein merkwürdiger Augenblick, als auf der Berghöhe vor Donchery
General Rente ansprengte, dann zu Fuß, mit entblößtem Haupt, über das Acker¬
feld auf den König zukam, der auf seinen Säbel gestützt im Halbkreise seiner
Generäle und Adjutanten den Franzosen erwartete. Erst da erhielt man
reale Sicherheit, daß man den Kaiser gegenüber habe -- als er sich zum Ge¬
fangenen anbot. In Wahrheit forderte der Brief die Vorsicht! gste Behandlung.
Der Kaiser ohne sein Heer war ein nicht anzunehmendes Geschenk, zu seinem
Heere war er noch ein Schlachtgewinn, der dem Kriege eine unabsehbare
Menge neuer Schwierigkeiten schuf. Als der General Rente auf die Frage,
ob der Kaiser noch Herr seines Heeres sei, mit französischer Gewandtheit sagte,
"ebenso wie des Königs Majestät Herr des deutschen Heeres ist", da sprach er
nicht die Wahrheit. Die Antwort des Königs, im Augenblick mit seiner
nächsten Umgebung berathen, betonte deshalb, daß die Capitulation der
Festung und der französischen Armee selbstverständliche Folge der kaiserlichen
Ergebung sein müsse. In dieser Ansicht ließ man auch den Kaiser bei Sedan
unter den französischen Truppen und traf Vorsichtsmaßregeln, um einem Aus¬
bruch in der Nacht entgegenzutreten.

Als nun am andern frühen Morgen Graf Bismarck aus seinem Quartier in
Donchery durch die Nachricht geweckt wurde, daß der Kaiser außerhalb der
Festung auf der Landstraße weile, um König Wilhelm selbst zu sprechen, da
war die Ueberraschung bei dem Grafen sicher keine angenehme. Er selbst
hat ausführlich über seine Begegnung mit dem Kaiser berichtet. Auch die
folgenden Momente, die Zusammenkunft des Kaisers mit König Wilhelm und
dem Kronprinzen sind durch die Zeitungen bekannt. Der König konnte den
Kaiser erst sprechen, als derselbe noch einmal seinen Einfluß angewandt hatte,
um die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche von den Generälen der Capitu¬
lation entgegengestellt wurden. Auch der König war bewegt, als er nach
viertelstündiger Unterredung von Napoleon schied, welcher das Taschentuch
vor die thränengefülltem Augen hielt. Der König hatte zuletzt gefragt, ob
der Kaiser für den Ort seines künftigen Aufenthalt" einen bestimmten Wunsch
habe, und als dieser antwortete, daß ihm jeder Ort recht sei, hatte der König
Wilhelmshöhe genannt. Nach den Erfahrungen der letzten Nacht zu Sedan,
in welcher die Soldaten vor den Fenstern des Kaisers grobe Schimpfworte
gerufen hatten, sprach dieser den Wunsch aus, so schnell als möglich seinem
Bestimmungsort zugeführt zu werden und nicht mehr unter französischem
Dach zu übernachten; er wurde deshalb am 3. früh mit seiner Generalität,
dem Gefolge und Marstall, geleitet von dem preußischen General Boyen


die Festung und sein Heer nicht dem Feinde überantworten, er legte also
Sorge und Verantwortung für diese That auf die Seele des commandiren-
den Generals und schrieb j?nen Brief an König Wilhelm, worin er ihm sei¬
nen Degen zu Füßen legte, ohne die Capitulation von Heer und Festung zu
erwähnen.

Es war ein merkwürdiger Augenblick, als auf der Berghöhe vor Donchery
General Rente ansprengte, dann zu Fuß, mit entblößtem Haupt, über das Acker¬
feld auf den König zukam, der auf seinen Säbel gestützt im Halbkreise seiner
Generäle und Adjutanten den Franzosen erwartete. Erst da erhielt man
reale Sicherheit, daß man den Kaiser gegenüber habe — als er sich zum Ge¬
fangenen anbot. In Wahrheit forderte der Brief die Vorsicht! gste Behandlung.
Der Kaiser ohne sein Heer war ein nicht anzunehmendes Geschenk, zu seinem
Heere war er noch ein Schlachtgewinn, der dem Kriege eine unabsehbare
Menge neuer Schwierigkeiten schuf. Als der General Rente auf die Frage,
ob der Kaiser noch Herr seines Heeres sei, mit französischer Gewandtheit sagte,
„ebenso wie des Königs Majestät Herr des deutschen Heeres ist", da sprach er
nicht die Wahrheit. Die Antwort des Königs, im Augenblick mit seiner
nächsten Umgebung berathen, betonte deshalb, daß die Capitulation der
Festung und der französischen Armee selbstverständliche Folge der kaiserlichen
Ergebung sein müsse. In dieser Ansicht ließ man auch den Kaiser bei Sedan
unter den französischen Truppen und traf Vorsichtsmaßregeln, um einem Aus¬
bruch in der Nacht entgegenzutreten.

Als nun am andern frühen Morgen Graf Bismarck aus seinem Quartier in
Donchery durch die Nachricht geweckt wurde, daß der Kaiser außerhalb der
Festung auf der Landstraße weile, um König Wilhelm selbst zu sprechen, da
war die Ueberraschung bei dem Grafen sicher keine angenehme. Er selbst
hat ausführlich über seine Begegnung mit dem Kaiser berichtet. Auch die
folgenden Momente, die Zusammenkunft des Kaisers mit König Wilhelm und
dem Kronprinzen sind durch die Zeitungen bekannt. Der König konnte den
Kaiser erst sprechen, als derselbe noch einmal seinen Einfluß angewandt hatte,
um die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche von den Generälen der Capitu¬
lation entgegengestellt wurden. Auch der König war bewegt, als er nach
viertelstündiger Unterredung von Napoleon schied, welcher das Taschentuch
vor die thränengefülltem Augen hielt. Der König hatte zuletzt gefragt, ob
der Kaiser für den Ort seines künftigen Aufenthalt« einen bestimmten Wunsch
habe, und als dieser antwortete, daß ihm jeder Ort recht sei, hatte der König
Wilhelmshöhe genannt. Nach den Erfahrungen der letzten Nacht zu Sedan,
in welcher die Soldaten vor den Fenstern des Kaisers grobe Schimpfworte
gerufen hatten, sprach dieser den Wunsch aus, so schnell als möglich seinem
Bestimmungsort zugeführt zu werden und nicht mehr unter französischem
Dach zu übernachten; er wurde deshalb am 3. früh mit seiner Generalität,
dem Gefolge und Marstall, geleitet von dem preußischen General Boyen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/515>, abgerufen am 29.06.2024.