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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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terie, erschüttert bereits durch frühere Niederlagen, Gewaltmärsche, schlechte
Verpflegung und die großen Verluste der Schlacht, in hellen Haufen aus der
Hauptstellung auf die Festung zu wich, rang die französische Kavallerie und
die Batterien mit Todesverachtung darum, dem Heere einen Durchweg zu
öffnen. Alles war vergeblich. Enger und enger zog sich der umschließende
Halbkreis, von beiden Seiten und aus dem Rücken donnerten unsere Ge¬
schütze, trieben unsere Bataillone den Feind zusammen. Nach 2 Uhr wurde
die Flucht der Franzosen unter den Schutz der Kanonen von Sedan allge¬
mein. Gegen 4 Uhr stand das französische Heer, das 25,000 Mann Ge¬
fangene, wenigstens ebensoviel Verwundete und Todte verloren hatte, und von
dem einzelne Splitter, im Ganzen über 10,000 Mann, nach Belgien oder nach
Paris zu entkommen suchten, hinter Sedan und in der Festung selbst zu¬
sammengedrängt, immer noch gegen 83,000 Mann stark, ein wildes unglaub¬
liches Gewühl und Gedränge von Rossen, Geschützen, Wagen, Menschen. Die
Festung hätte auch unter geordneten Verhältnissen keinen Widerstand leisten
können, jetzt in dem Chaos eines zerschlagenen Heeres brachte ein kurzes Be-
wersen derselben durch bayrische und würtenbergische Geschosse eine Ver¬
wirrung und Auflösung, welche keine andere Wahl ließ als Capitulation-

Man wußte im Hauptquartier unserer Armee nichts Sicheres über den
Aufenthalt des Kaisers. Nach der Versicherung von Landleuten war er am
30ten auf dem Felsplateau von Stonne neben Mac Mensor gesehen worden,
auch französische Aerzte hatten erzählt, daß er beim Heere sei. In der Schlacht
selbst hatte Mac Mahon den Oberbefehl schon am Morgen nach ernster Ver¬
wundung an General Wimpffen abgeben müssen, der erst zwei Tage vorher
aus Afrika gekommen war und keineswegs bei allen Generälen willigen Ge¬
horsam fand, als er die Dispositionen seines Vorgängers zu ändern ver¬
suchte. Der Kaiser selbst hatte von dem Beginn der kritischen Stunden, von
10 bis 2 Uhr, unter den Truppen im Granatfeuer gehalten, und es ist keine
Phrase, wenn er un König Wilhelm schrieb, daß er dort den Tod erwartet
habe. Nach 2 Uhr, als er die Schlacht verloren sah, war er langsam nach
Sedan zurückgeritten, dort traf er auf der Brücke mit dem Oberst stosset
zusammen, der beim commandirenden General als Adjutant fungirte. Wäh¬
rend der Kaiser mit dem Obersten sprach, zerriß eine Granate dicht neben
ihm einige Pferde und bespritzte sein Pferd mit dem Blut. Er hielt noch
einige Augenblicke still, wie um einen anderen Todesgruß zu erwarten
und lenkte dann im Schritt nach dem Marktplatz der Stadt, die er als
Gefangener verlassen sollte. Für Napoleon war das Spiel verloren. Nur
eine kleine Anzahl der Generäle bewahrte dem erwählten Kaiser des Volkes
persönliche Treue und ritterliche Hingabe. Die Mehrzahl der Soldaten, demo-
ralisirt und meuterisch, betrachtete ihn ohne Gruß und mit finsterem Blick.
Da faßte er einen recht klugen Entschluß, den einzigen, der ihm oder seiner
Dynastie noch Aussichten für irgend eine Zukunft übrig ließ. Er selbst durfte


terie, erschüttert bereits durch frühere Niederlagen, Gewaltmärsche, schlechte
Verpflegung und die großen Verluste der Schlacht, in hellen Haufen aus der
Hauptstellung auf die Festung zu wich, rang die französische Kavallerie und
die Batterien mit Todesverachtung darum, dem Heere einen Durchweg zu
öffnen. Alles war vergeblich. Enger und enger zog sich der umschließende
Halbkreis, von beiden Seiten und aus dem Rücken donnerten unsere Ge¬
schütze, trieben unsere Bataillone den Feind zusammen. Nach 2 Uhr wurde
die Flucht der Franzosen unter den Schutz der Kanonen von Sedan allge¬
mein. Gegen 4 Uhr stand das französische Heer, das 25,000 Mann Ge¬
fangene, wenigstens ebensoviel Verwundete und Todte verloren hatte, und von
dem einzelne Splitter, im Ganzen über 10,000 Mann, nach Belgien oder nach
Paris zu entkommen suchten, hinter Sedan und in der Festung selbst zu¬
sammengedrängt, immer noch gegen 83,000 Mann stark, ein wildes unglaub¬
liches Gewühl und Gedränge von Rossen, Geschützen, Wagen, Menschen. Die
Festung hätte auch unter geordneten Verhältnissen keinen Widerstand leisten
können, jetzt in dem Chaos eines zerschlagenen Heeres brachte ein kurzes Be-
wersen derselben durch bayrische und würtenbergische Geschosse eine Ver¬
wirrung und Auflösung, welche keine andere Wahl ließ als Capitulation-

Man wußte im Hauptquartier unserer Armee nichts Sicheres über den
Aufenthalt des Kaisers. Nach der Versicherung von Landleuten war er am
30ten auf dem Felsplateau von Stonne neben Mac Mensor gesehen worden,
auch französische Aerzte hatten erzählt, daß er beim Heere sei. In der Schlacht
selbst hatte Mac Mahon den Oberbefehl schon am Morgen nach ernster Ver¬
wundung an General Wimpffen abgeben müssen, der erst zwei Tage vorher
aus Afrika gekommen war und keineswegs bei allen Generälen willigen Ge¬
horsam fand, als er die Dispositionen seines Vorgängers zu ändern ver¬
suchte. Der Kaiser selbst hatte von dem Beginn der kritischen Stunden, von
10 bis 2 Uhr, unter den Truppen im Granatfeuer gehalten, und es ist keine
Phrase, wenn er un König Wilhelm schrieb, daß er dort den Tod erwartet
habe. Nach 2 Uhr, als er die Schlacht verloren sah, war er langsam nach
Sedan zurückgeritten, dort traf er auf der Brücke mit dem Oberst stosset
zusammen, der beim commandirenden General als Adjutant fungirte. Wäh¬
rend der Kaiser mit dem Obersten sprach, zerriß eine Granate dicht neben
ihm einige Pferde und bespritzte sein Pferd mit dem Blut. Er hielt noch
einige Augenblicke still, wie um einen anderen Todesgruß zu erwarten
und lenkte dann im Schritt nach dem Marktplatz der Stadt, die er als
Gefangener verlassen sollte. Für Napoleon war das Spiel verloren. Nur
eine kleine Anzahl der Generäle bewahrte dem erwählten Kaiser des Volkes
persönliche Treue und ritterliche Hingabe. Die Mehrzahl der Soldaten, demo-
ralisirt und meuterisch, betrachtete ihn ohne Gruß und mit finsterem Blick.
Da faßte er einen recht klugen Entschluß, den einzigen, der ihm oder seiner
Dynastie noch Aussichten für irgend eine Zukunft übrig ließ. Er selbst durfte


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[0514] terie, erschüttert bereits durch frühere Niederlagen, Gewaltmärsche, schlechte Verpflegung und die großen Verluste der Schlacht, in hellen Haufen aus der Hauptstellung auf die Festung zu wich, rang die französische Kavallerie und die Batterien mit Todesverachtung darum, dem Heere einen Durchweg zu öffnen. Alles war vergeblich. Enger und enger zog sich der umschließende Halbkreis, von beiden Seiten und aus dem Rücken donnerten unsere Ge¬ schütze, trieben unsere Bataillone den Feind zusammen. Nach 2 Uhr wurde die Flucht der Franzosen unter den Schutz der Kanonen von Sedan allge¬ mein. Gegen 4 Uhr stand das französische Heer, das 25,000 Mann Ge¬ fangene, wenigstens ebensoviel Verwundete und Todte verloren hatte, und von dem einzelne Splitter, im Ganzen über 10,000 Mann, nach Belgien oder nach Paris zu entkommen suchten, hinter Sedan und in der Festung selbst zu¬ sammengedrängt, immer noch gegen 83,000 Mann stark, ein wildes unglaub¬ liches Gewühl und Gedränge von Rossen, Geschützen, Wagen, Menschen. Die Festung hätte auch unter geordneten Verhältnissen keinen Widerstand leisten können, jetzt in dem Chaos eines zerschlagenen Heeres brachte ein kurzes Be- wersen derselben durch bayrische und würtenbergische Geschosse eine Ver¬ wirrung und Auflösung, welche keine andere Wahl ließ als Capitulation- Man wußte im Hauptquartier unserer Armee nichts Sicheres über den Aufenthalt des Kaisers. Nach der Versicherung von Landleuten war er am 30ten auf dem Felsplateau von Stonne neben Mac Mensor gesehen worden, auch französische Aerzte hatten erzählt, daß er beim Heere sei. In der Schlacht selbst hatte Mac Mahon den Oberbefehl schon am Morgen nach ernster Ver¬ wundung an General Wimpffen abgeben müssen, der erst zwei Tage vorher aus Afrika gekommen war und keineswegs bei allen Generälen willigen Ge¬ horsam fand, als er die Dispositionen seines Vorgängers zu ändern ver¬ suchte. Der Kaiser selbst hatte von dem Beginn der kritischen Stunden, von 10 bis 2 Uhr, unter den Truppen im Granatfeuer gehalten, und es ist keine Phrase, wenn er un König Wilhelm schrieb, daß er dort den Tod erwartet habe. Nach 2 Uhr, als er die Schlacht verloren sah, war er langsam nach Sedan zurückgeritten, dort traf er auf der Brücke mit dem Oberst stosset zusammen, der beim commandirenden General als Adjutant fungirte. Wäh¬ rend der Kaiser mit dem Obersten sprach, zerriß eine Granate dicht neben ihm einige Pferde und bespritzte sein Pferd mit dem Blut. Er hielt noch einige Augenblicke still, wie um einen anderen Todesgruß zu erwarten und lenkte dann im Schritt nach dem Marktplatz der Stadt, die er als Gefangener verlassen sollte. Für Napoleon war das Spiel verloren. Nur eine kleine Anzahl der Generäle bewahrte dem erwählten Kaiser des Volkes persönliche Treue und ritterliche Hingabe. Die Mehrzahl der Soldaten, demo- ralisirt und meuterisch, betrachtete ihn ohne Gruß und mit finsterem Blick. Da faßte er einen recht klugen Entschluß, den einzigen, der ihm oder seiner Dynastie noch Aussichten für irgend eine Zukunft übrig ließ. Er selbst durfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/514>, abgerufen am 29.06.2024.