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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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fuhr betroffen zurück, als der Kronprinz ihm antwortete, Prinz Friedrich Kar¬
set mit seinem Heere weit von Sedan, er halte mit sieben Armeecorps den Mar¬
schall Bazaine in Metz eingeschlossen.

Diese Unbehilflichkeit in der höheren Führung wurde durch Uebelstände
der Organisation vermehrt, die ebenfalls tiefliegende Schäden des französischen
Heeres sind. Denn dies Heer krankt noch an den Leiden einer Söldner
armee. Ueberall kam der Mangel eingewöhnter Ordnung und sicheren Re¬
glements zu Tage, in Verpflegung, Disciplin, Commando.

Das waren Uebelstände und Schäden, aber es waren Unvollkommen-
heiten eines sehr tapfern und kriegstüchtigen Heeres. Nicht darum rühmen
wir das, weil es den Sieger ehrt, wenn der Besiegte gelobt wird, sondern
weil in unserem Heere selbst eine recht lebhafte, loyale, warme Anerkennung
der militärischen Tugenden des französischen Heeres zu finden ist. Es war
bei uns eine ächt deutsche Theilnahme an der tapferen Kürassierbrigade bei
Wörth, welche auf Befehl Mac Mahon's in den sicheren Tod ritt, und an
der Schimmelbrigade bei Sedan, welche viermal gegen Geschütze und In¬
fanterie auftürmte, bis Reiter und Rosse in langen Reihen am Boden lagen.

Die Franzosen sind jetzt in der Laune, ihr ganzes militärisches Unglück dem
Kaiser zuzuschreiben. In Wahrheit hat Napoleon das elende Frankreich so
waffenstark und widerstandsfähig gemacht, als es seit 1812 niemals gewesen
ist, und was dem französischen Heere uns gegenüber mangelt, das ist im
Grunde, was den Franzosen unserem Volksthum gegenüber überall abgeht:
sie sind bei aller schönen Virtuosität im Einzelnen die schwächere Race, welche
die uralten celtischen Unarten nicht loswerden kann.

Wir wissen nicht genau, wie sich dem Urtheil der deutschen Armeeleitung
die militärische Situation beim Beginn des Feldzugs darstellte, am 3. August,
wo die III. Armee des Kronprinzen die französische Grenze überschritt. Aber
wir wagen die Vermuthung, daß man schon an diesem Tage das französische
Heer als besiegt betrachtete und die Grundsätze des großen Feldzugs, die
Straßen unseres Vormarsches und die Schlachtfelder -- bis auf eines --
klar vor Augen sah. Denn zum Größten in den militärischen Gedanken
unserer Feldherren gehört, daß diese Gedanken durchaus einfach und ohne
feine Listen und Subtilitäten sind. Bei uns versteht man in ausgezeichneter
Weise die Kunst, die Massen so zu disponiren, daß sie in freier Bewegung,
im Unterhalt und Marsch einander nicht hindern, und doch am rechten Tage
und zur rechten Stunde auf dem Schlachtfeld sich zu gemeinsamer Arbeit
concentriren. Dafür ist freilich nöthig nächst dem Blick und der richtigen
Schätzung jeder Leistungsfähigkeit durch die Feldherren, auch die spartanische
Zucht und das unübertreffliche Pflichtgefühl unserer Truppen, welche sich auch
außerhalb der Schlacht tödtlich?r Anstrengung nie versagen.

Die Franzosen standen bei Beginn des Kriegs mit dem größten Theil
ihres Heeres eng massire gegenüber Saarbrücken, viel zu dicht gedrängt, um sich
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fuhr betroffen zurück, als der Kronprinz ihm antwortete, Prinz Friedrich Kar¬
set mit seinem Heere weit von Sedan, er halte mit sieben Armeecorps den Mar¬
schall Bazaine in Metz eingeschlossen.

Diese Unbehilflichkeit in der höheren Führung wurde durch Uebelstände
der Organisation vermehrt, die ebenfalls tiefliegende Schäden des französischen
Heeres sind. Denn dies Heer krankt noch an den Leiden einer Söldner
armee. Ueberall kam der Mangel eingewöhnter Ordnung und sicheren Re¬
glements zu Tage, in Verpflegung, Disciplin, Commando.

Das waren Uebelstände und Schäden, aber es waren Unvollkommen-
heiten eines sehr tapfern und kriegstüchtigen Heeres. Nicht darum rühmen
wir das, weil es den Sieger ehrt, wenn der Besiegte gelobt wird, sondern
weil in unserem Heere selbst eine recht lebhafte, loyale, warme Anerkennung
der militärischen Tugenden des französischen Heeres zu finden ist. Es war
bei uns eine ächt deutsche Theilnahme an der tapferen Kürassierbrigade bei
Wörth, welche auf Befehl Mac Mahon's in den sicheren Tod ritt, und an
der Schimmelbrigade bei Sedan, welche viermal gegen Geschütze und In¬
fanterie auftürmte, bis Reiter und Rosse in langen Reihen am Boden lagen.

Die Franzosen sind jetzt in der Laune, ihr ganzes militärisches Unglück dem
Kaiser zuzuschreiben. In Wahrheit hat Napoleon das elende Frankreich so
waffenstark und widerstandsfähig gemacht, als es seit 1812 niemals gewesen
ist, und was dem französischen Heere uns gegenüber mangelt, das ist im
Grunde, was den Franzosen unserem Volksthum gegenüber überall abgeht:
sie sind bei aller schönen Virtuosität im Einzelnen die schwächere Race, welche
die uralten celtischen Unarten nicht loswerden kann.

Wir wissen nicht genau, wie sich dem Urtheil der deutschen Armeeleitung
die militärische Situation beim Beginn des Feldzugs darstellte, am 3. August,
wo die III. Armee des Kronprinzen die französische Grenze überschritt. Aber
wir wagen die Vermuthung, daß man schon an diesem Tage das französische
Heer als besiegt betrachtete und die Grundsätze des großen Feldzugs, die
Straßen unseres Vormarsches und die Schlachtfelder — bis auf eines —
klar vor Augen sah. Denn zum Größten in den militärischen Gedanken
unserer Feldherren gehört, daß diese Gedanken durchaus einfach und ohne
feine Listen und Subtilitäten sind. Bei uns versteht man in ausgezeichneter
Weise die Kunst, die Massen so zu disponiren, daß sie in freier Bewegung,
im Unterhalt und Marsch einander nicht hindern, und doch am rechten Tage
und zur rechten Stunde auf dem Schlachtfeld sich zu gemeinsamer Arbeit
concentriren. Dafür ist freilich nöthig nächst dem Blick und der richtigen
Schätzung jeder Leistungsfähigkeit durch die Feldherren, auch die spartanische
Zucht und das unübertreffliche Pflichtgefühl unserer Truppen, welche sich auch
außerhalb der Schlacht tödtlich?r Anstrengung nie versagen.

Die Franzosen standen bei Beginn des Kriegs mit dem größten Theil
ihres Heeres eng massire gegenüber Saarbrücken, viel zu dicht gedrängt, um sich
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[0511] fuhr betroffen zurück, als der Kronprinz ihm antwortete, Prinz Friedrich Kar¬ set mit seinem Heere weit von Sedan, er halte mit sieben Armeecorps den Mar¬ schall Bazaine in Metz eingeschlossen. Diese Unbehilflichkeit in der höheren Führung wurde durch Uebelstände der Organisation vermehrt, die ebenfalls tiefliegende Schäden des französischen Heeres sind. Denn dies Heer krankt noch an den Leiden einer Söldner armee. Ueberall kam der Mangel eingewöhnter Ordnung und sicheren Re¬ glements zu Tage, in Verpflegung, Disciplin, Commando. Das waren Uebelstände und Schäden, aber es waren Unvollkommen- heiten eines sehr tapfern und kriegstüchtigen Heeres. Nicht darum rühmen wir das, weil es den Sieger ehrt, wenn der Besiegte gelobt wird, sondern weil in unserem Heere selbst eine recht lebhafte, loyale, warme Anerkennung der militärischen Tugenden des französischen Heeres zu finden ist. Es war bei uns eine ächt deutsche Theilnahme an der tapferen Kürassierbrigade bei Wörth, welche auf Befehl Mac Mahon's in den sicheren Tod ritt, und an der Schimmelbrigade bei Sedan, welche viermal gegen Geschütze und In¬ fanterie auftürmte, bis Reiter und Rosse in langen Reihen am Boden lagen. Die Franzosen sind jetzt in der Laune, ihr ganzes militärisches Unglück dem Kaiser zuzuschreiben. In Wahrheit hat Napoleon das elende Frankreich so waffenstark und widerstandsfähig gemacht, als es seit 1812 niemals gewesen ist, und was dem französischen Heere uns gegenüber mangelt, das ist im Grunde, was den Franzosen unserem Volksthum gegenüber überall abgeht: sie sind bei aller schönen Virtuosität im Einzelnen die schwächere Race, welche die uralten celtischen Unarten nicht loswerden kann. Wir wissen nicht genau, wie sich dem Urtheil der deutschen Armeeleitung die militärische Situation beim Beginn des Feldzugs darstellte, am 3. August, wo die III. Armee des Kronprinzen die französische Grenze überschritt. Aber wir wagen die Vermuthung, daß man schon an diesem Tage das französische Heer als besiegt betrachtete und die Grundsätze des großen Feldzugs, die Straßen unseres Vormarsches und die Schlachtfelder — bis auf eines — klar vor Augen sah. Denn zum Größten in den militärischen Gedanken unserer Feldherren gehört, daß diese Gedanken durchaus einfach und ohne feine Listen und Subtilitäten sind. Bei uns versteht man in ausgezeichneter Weise die Kunst, die Massen so zu disponiren, daß sie in freier Bewegung, im Unterhalt und Marsch einander nicht hindern, und doch am rechten Tage und zur rechten Stunde auf dem Schlachtfeld sich zu gemeinsamer Arbeit concentriren. Dafür ist freilich nöthig nächst dem Blick und der richtigen Schätzung jeder Leistungsfähigkeit durch die Feldherren, auch die spartanische Zucht und das unübertreffliche Pflichtgefühl unserer Truppen, welche sich auch außerhalb der Schlacht tödtlich?r Anstrengung nie versagen. Die Franzosen standen bei Beginn des Kriegs mit dem größten Theil ihres Heeres eng massire gegenüber Saarbrücken, viel zu dicht gedrängt, um sich *' 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/511>, abgerufen am 29.06.2024.