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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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als bei uns: z. B. Kleidung, Proviant, Lagereinrichtung. Der Kaiser hatte
in dem Chassepot ein Gewehr gegeben, welches, wie wir jetzt offen sagen
dürfen, unserem Zündnadelgewehr bei weitem überlegen ist, durch Schnellig¬
keit seines Feuers, durch die unglaublich weitreichende Percussionskrast, und
durch das Furchtbarste von Allem, den sehr flachen Bogen der Kugelbahn --
die sogenannte rasante Flughahn. -- Mit diesen Vorzügen glich es einiger¬
maßen die Mängel aus, welche der Schützenkunst des französischen Jnfanteristen
anhängen. Auch die Kavallerie war neu organisirt, mit guten Pferden
versehen und mit echtem Reitermuth beseelt. Nur in der Artillerie war es
dem Reformer nicht ebenso geglückt. Seine Lieblingserfindung, die Mitrailleuse,
ist kein bequemes Feldgeschütz, sie übt verheerende Wirkung nur auf kurze
Distanzen als Positionsgeschütz, und die französischen Granaten mit ihrem
tempirten Zünder geben einen Schuß, welcher langsam abgegeben wird, sich
schwer auf jede Entfernung einrichtet und in der Wirkung unsicher ist.
Jedenfalls war die deutsche Artillerie, die preußische Granatkanone, der fran¬
zösischen überlegen.

Aber der Kaiser hatte in seinen Verbesserungen mit dem argen Uebel¬
stand zu kämpfen, daß Frankreich durch länger als 80 Jahre keinen großen
Krieg geführt halte, denn weder der Krimmkrieg noch der kurze italienische
Feldzug verdienen diesen Namen. Es fehlte dem französischen Generalstab
die sichere Bildung und die französischen Generäle, welche in der Schule von
Algier groß gezogen waren, hatten dort im Kampf gegen Wilde nach einem
alten Ausspruch des Generals von Moltke den Krieg nur gerade gelernt, wie
man ihn nicht führen darf. Dazu kamen als untilgbare Schäden für die
französische Heeresleitung die alten nationalen Leiden: Leichtsinn und Ge¬
wissenlosigkeit und maßlose Selbstüberschätzung. Dicht neben der vortrefflich¬
sten Sorgfalt lag die größte Unordnung. Die französischen Offiziere hatten
z. B. zwar eine Anzahl Karten von Deutschland erhalten, aber sogar im
Generalstab von Mac Mahon fehlten Karten von Frankreich, und nach der
Kapitulation von Sedan frugen französische Offiziere bei deutschen nach den
Namen der Dörfer, bei denen sie geschlagen worden waren. Die Sorge um
die Bewegungen des Feindes war bei den Franzosen so übel geordnet, daß
sie in ihrem eigenen Lande in der ärgsten Unkenntniß von dem Stand unserer
Armeen waren. Als Mac Mahon am 29. und 30. August mit den Sachsen
zusammenstieß, meinte er die Armee des Prinzen Friedrich Karl vor sich zu
haben. Der Angriff des 3. und 11. Corps in der Schlacht bei Sedan kam
den Franzosen ganz unerwartet, und am 2. September sprach der Kaiser bei
der Zusammenkunft mit dem Kronprinzen von Preußen gegen diesen sein
Erstaunen aus, daß auch die 3. Armee so schnell zum Kampf herangekommen
sei, er und Mac Mahon hätten geglaubt nur gegen den Prinzen Friedrich
Karl zu fechten; seiner Begleitung erschien es einigermaßen tröstlich, nur der
Macht des gesammten deutschen Heeres unterlegen zu sein, und der Kaiser


als bei uns: z. B. Kleidung, Proviant, Lagereinrichtung. Der Kaiser hatte
in dem Chassepot ein Gewehr gegeben, welches, wie wir jetzt offen sagen
dürfen, unserem Zündnadelgewehr bei weitem überlegen ist, durch Schnellig¬
keit seines Feuers, durch die unglaublich weitreichende Percussionskrast, und
durch das Furchtbarste von Allem, den sehr flachen Bogen der Kugelbahn —
die sogenannte rasante Flughahn. — Mit diesen Vorzügen glich es einiger¬
maßen die Mängel aus, welche der Schützenkunst des französischen Jnfanteristen
anhängen. Auch die Kavallerie war neu organisirt, mit guten Pferden
versehen und mit echtem Reitermuth beseelt. Nur in der Artillerie war es
dem Reformer nicht ebenso geglückt. Seine Lieblingserfindung, die Mitrailleuse,
ist kein bequemes Feldgeschütz, sie übt verheerende Wirkung nur auf kurze
Distanzen als Positionsgeschütz, und die französischen Granaten mit ihrem
tempirten Zünder geben einen Schuß, welcher langsam abgegeben wird, sich
schwer auf jede Entfernung einrichtet und in der Wirkung unsicher ist.
Jedenfalls war die deutsche Artillerie, die preußische Granatkanone, der fran¬
zösischen überlegen.

Aber der Kaiser hatte in seinen Verbesserungen mit dem argen Uebel¬
stand zu kämpfen, daß Frankreich durch länger als 80 Jahre keinen großen
Krieg geführt halte, denn weder der Krimmkrieg noch der kurze italienische
Feldzug verdienen diesen Namen. Es fehlte dem französischen Generalstab
die sichere Bildung und die französischen Generäle, welche in der Schule von
Algier groß gezogen waren, hatten dort im Kampf gegen Wilde nach einem
alten Ausspruch des Generals von Moltke den Krieg nur gerade gelernt, wie
man ihn nicht führen darf. Dazu kamen als untilgbare Schäden für die
französische Heeresleitung die alten nationalen Leiden: Leichtsinn und Ge¬
wissenlosigkeit und maßlose Selbstüberschätzung. Dicht neben der vortrefflich¬
sten Sorgfalt lag die größte Unordnung. Die französischen Offiziere hatten
z. B. zwar eine Anzahl Karten von Deutschland erhalten, aber sogar im
Generalstab von Mac Mahon fehlten Karten von Frankreich, und nach der
Kapitulation von Sedan frugen französische Offiziere bei deutschen nach den
Namen der Dörfer, bei denen sie geschlagen worden waren. Die Sorge um
die Bewegungen des Feindes war bei den Franzosen so übel geordnet, daß
sie in ihrem eigenen Lande in der ärgsten Unkenntniß von dem Stand unserer
Armeen waren. Als Mac Mahon am 29. und 30. August mit den Sachsen
zusammenstieß, meinte er die Armee des Prinzen Friedrich Karl vor sich zu
haben. Der Angriff des 3. und 11. Corps in der Schlacht bei Sedan kam
den Franzosen ganz unerwartet, und am 2. September sprach der Kaiser bei
der Zusammenkunft mit dem Kronprinzen von Preußen gegen diesen sein
Erstaunen aus, daß auch die 3. Armee so schnell zum Kampf herangekommen
sei, er und Mac Mahon hätten geglaubt nur gegen den Prinzen Friedrich
Karl zu fechten; seiner Begleitung erschien es einigermaßen tröstlich, nur der
Macht des gesammten deutschen Heeres unterlegen zu sein, und der Kaiser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/510>, abgerufen am 29.06.2024.