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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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ungefähr in gleichem Sinne entscheiden dürsten. Die aus Bismarck's Antrag
vom Könige am 21. August verfügte Abtrennung der fünf nördlichen Arron-
dissements in den Mosel- und Meurthedepartements von Lothringen und
ihre Zutheilung zur provisorischen Verwaltung des Elsasses darf man wohl
als einen Fingerzeig betrachten, wie weit sich die Annexionsentwürfe erstre¬
cken. -- Werfen wir einen kurzen Blick auf die neue in Bezug auf die Sprach¬
gebiete nach Boeckh berichtigte Kiepert'sche Karte der Grenzlande, so sieht man,
daß mit den Arrondissements Thionville, Metz, Saargemünd, ClMeau-Salmo
und Sarrebourg in der That das ganze Deutschlothringen und außerdem
die erwünschte Position Mosel-senke mit Metz in der Front gewonnen wäre.
Wir sind freilich mit Wagner der Ansicht, daß genaues Einhalten bisheriger
untergeordneter politischer Grenzen, wie es bei Friedensschlüssen oft im Drange
der Zeit aus Bequemlichkeit beliebt wird, vom Uebel sei. Auch ist wohl
nicht die Meinung, später etwa dem wunderlichen Ausspringen des Metzer
Bezirks nach Westen bis weit über Gorze hinaus zu folgen. Man wird
hier und im Gebiet von CiMeau-Salms sehr wohl noch unsere Forderung
beschneiden können, umso mehr als bei Schirmeck im nordöstlichen Winkel
des Arrondissements Se. Die (Departement Vogesen) noch ein deutsches Eck¬
chen für den Elsaß zu retten i^t, was sich einfach druck) eine Verbindungs¬
linie zwischen den beiden Vogesenketten auf der Wasserscheide der Breusch
und der Meurlhezuflüsse bewerkstelligen ließe. Dies aber sind Kleinigkeiten,
die selbstverständlich geduldig auf die Zeit der Friedensverhandlungen verspart
werden müssen; im Ganzen wird nach jenem königlichen Hinweise sich schon
heut jeder besonnene Deutsche unserer Aussichten aufrichtig erfreuen. Auch
Wagner wird sich in den Heimfall der freilich ganz französischen Stadt Metz
finden, dem er übrigens an einer Stelle aus volkswirtschaftlichen Gründen
das Wort redet.

Eben hierin, in den v o ils w ir ess es a f du es e n Erwägungen, liegt be¬
greiflicher Weise die Hauptstärke seiner Schrift. Er läßt, um die Aussichten
auf die Wiederentwelschung "der neuerworbenen Lande" klarzustellen, die
Elemente der Bevölkerung nach ihrer socialen und wirthschaftlichen Stellung
einzeln an unserem Auge vorübergehen. Bei den Staatsbeamten, dem Ver¬
waltungspersonal der großen öffentlichen Unternehmungen wie auch bei den
Fabrikarbeitern von Mühlhausen hofft er auf einen Umsatz der Nationalitätsver¬
hältnisse durch Abzug französischer und Zuzug deutscher Individuen; er möchte
das Elsaß mit Recht geradezu als bequemen Zielpunkt deutscher (Kolonisation
empfehlen, besonders für die aus Frankreich vertriebenen Deutschen. Für
den halbfranzösirten Th^it der wohlhabenden Klassen rechnet er wohl mehr
auf geistige Umbildung durch deutsche Schule und freie Kirche; die Wieder¬
aufrichtung einer deutschen Hochschule zu Straßburg verlangt er dringend.


ungefähr in gleichem Sinne entscheiden dürsten. Die aus Bismarck's Antrag
vom Könige am 21. August verfügte Abtrennung der fünf nördlichen Arron-
dissements in den Mosel- und Meurthedepartements von Lothringen und
ihre Zutheilung zur provisorischen Verwaltung des Elsasses darf man wohl
als einen Fingerzeig betrachten, wie weit sich die Annexionsentwürfe erstre¬
cken. — Werfen wir einen kurzen Blick auf die neue in Bezug auf die Sprach¬
gebiete nach Boeckh berichtigte Kiepert'sche Karte der Grenzlande, so sieht man,
daß mit den Arrondissements Thionville, Metz, Saargemünd, ClMeau-Salmo
und Sarrebourg in der That das ganze Deutschlothringen und außerdem
die erwünschte Position Mosel-senke mit Metz in der Front gewonnen wäre.
Wir sind freilich mit Wagner der Ansicht, daß genaues Einhalten bisheriger
untergeordneter politischer Grenzen, wie es bei Friedensschlüssen oft im Drange
der Zeit aus Bequemlichkeit beliebt wird, vom Uebel sei. Auch ist wohl
nicht die Meinung, später etwa dem wunderlichen Ausspringen des Metzer
Bezirks nach Westen bis weit über Gorze hinaus zu folgen. Man wird
hier und im Gebiet von CiMeau-Salms sehr wohl noch unsere Forderung
beschneiden können, umso mehr als bei Schirmeck im nordöstlichen Winkel
des Arrondissements Se. Die (Departement Vogesen) noch ein deutsches Eck¬
chen für den Elsaß zu retten i^t, was sich einfach druck) eine Verbindungs¬
linie zwischen den beiden Vogesenketten auf der Wasserscheide der Breusch
und der Meurlhezuflüsse bewerkstelligen ließe. Dies aber sind Kleinigkeiten,
die selbstverständlich geduldig auf die Zeit der Friedensverhandlungen verspart
werden müssen; im Ganzen wird nach jenem königlichen Hinweise sich schon
heut jeder besonnene Deutsche unserer Aussichten aufrichtig erfreuen. Auch
Wagner wird sich in den Heimfall der freilich ganz französischen Stadt Metz
finden, dem er übrigens an einer Stelle aus volkswirtschaftlichen Gründen
das Wort redet.

Eben hierin, in den v o ils w ir ess es a f du es e n Erwägungen, liegt be¬
greiflicher Weise die Hauptstärke seiner Schrift. Er läßt, um die Aussichten
auf die Wiederentwelschung „der neuerworbenen Lande" klarzustellen, die
Elemente der Bevölkerung nach ihrer socialen und wirthschaftlichen Stellung
einzeln an unserem Auge vorübergehen. Bei den Staatsbeamten, dem Ver¬
waltungspersonal der großen öffentlichen Unternehmungen wie auch bei den
Fabrikarbeitern von Mühlhausen hofft er auf einen Umsatz der Nationalitätsver¬
hältnisse durch Abzug französischer und Zuzug deutscher Individuen; er möchte
das Elsaß mit Recht geradezu als bequemen Zielpunkt deutscher (Kolonisation
empfehlen, besonders für die aus Frankreich vertriebenen Deutschen. Für
den halbfranzösirten Th^it der wohlhabenden Klassen rechnet er wohl mehr
auf geistige Umbildung durch deutsche Schule und freie Kirche; die Wieder¬
aufrichtung einer deutschen Hochschule zu Straßburg verlangt er dringend.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/506>, abgerufen am 29.06.2024.