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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Dem Großhandel und der Großindustrie gegenüber verhehlt er nicht die Be¬
sorgnis) einer schwierigen Uebergangszeit, doch sieht er in dem Gewinn eines
neuen nicht geringeren Absatzmarktes, in der Erlösungv on der ertödtenden
Centralisation, endlich vor allem in der Wiederherstellung des durch die Natur
angezeigten Volkswirthschaftsgebietes und der natürlichen Zollschranken am
Ende auch für diese Klassen mehr als Ersatz erblühen. Es sind das nur
Einzelheiten, die wir hieraus seinem trefflichen fünften Kapitel herausheben.

Was nun die Frage betrifft, wem Elsaß-Lothringen zugewiesen werden
solle, so zeigt sich Wagner allenthalben aus wohlerwogenen praktischen
Gründen einer preußischen Besitznahme zugeneigt, verzichtet aber doch schlie߬
lich auf ein entschiedenes Wort in diesem Sinne, indem er die Frage richtig
als eine innere deutsche, erst nach dem Frieden zu lösende bezeichnet. Aufs
Lebhafteste drückt er den Wunsch aus, daß diese Lösung einträchtig und ein-
müthig getroffen werde. Eben hierzu aber bedarf es unserer Ansicht nach
einer unverzüglichen Verständigung von vornherein; ein jeglicher trete hervor
mit dem Muthe seiner Meinung und dem Gewichte seiner Gründe. Von
einer plötzlichen Inspiration kann man doch nicht hernach die Entscheidung
in einer Angelegenheit erwarten, die, wie wir neulich bewiesen zu haben
glauben, eine Sache rein praktischer Bedeutung ohne jede Gefühlsseite ist.

Auch in einer anderen Beziehung noch müssen wir Wagner wohlwollend
entgegentreten. Da, wo er die thörichte Schöpfung eines neuen neutralen
Zwischenstaates, mit gebührender Strenge abweist, richtet er auch gegen die
schon vorhandenen selbständigen Grenzgebiete, besonders gegen Schweiz und
Holland, einige Pfeile des Angriffs. Er sieht in ihnen eigentlich nur die
am meisten entwickelten Gebilde des deutschen Particularismus. Nicht als
ob er ihre Existenz bedrohte, allein er bekräftigt doch, daß wir sie draußen
zu erhalten wenigstens kein Interesse haben. Bis hierin darf man ihm Recht
geben; auch wir glauben nicht an eine holländische Sondernationalität; durch
Annahme einer eigenen Orthographie kann sich kein Stamm, geschweige denn
der Bruchtheil eines solchen von der mütterlichen Nation ablösen. Wenn
aber Wagner weiter geht und einige Berichtigungen unserer allerdings lächer¬
lich unvernünftigen Grenzen wünscht -- den Rhein von Constanz bis Basel,
die Maas von Mastrik bis Mook --, wenn er dann weiter die Erwerbung
von Luxemburg und dem deutschredenden belgischen Arion befürwortet und
für das alles den kleinen Staaten französische Entschädigung geben möchte,
fo müssen wir das aus politischen Gründen für diesmal, so wünschenswert!) es
wäre, entschieden zurückweisen. Daß wir allein mit Frankreich im Kampfe
und in der Unterhandlung zu thun haben, darauf gründen sich unsere ganzen
Annexionshoffnungen. Sollen wir den europäischen Congreß zusammen¬
trommeln wegen dieser Kleinigkeiten, ausdaß er dann auch über Elsaß und


Dem Großhandel und der Großindustrie gegenüber verhehlt er nicht die Be¬
sorgnis) einer schwierigen Uebergangszeit, doch sieht er in dem Gewinn eines
neuen nicht geringeren Absatzmarktes, in der Erlösungv on der ertödtenden
Centralisation, endlich vor allem in der Wiederherstellung des durch die Natur
angezeigten Volkswirthschaftsgebietes und der natürlichen Zollschranken am
Ende auch für diese Klassen mehr als Ersatz erblühen. Es sind das nur
Einzelheiten, die wir hieraus seinem trefflichen fünften Kapitel herausheben.

Was nun die Frage betrifft, wem Elsaß-Lothringen zugewiesen werden
solle, so zeigt sich Wagner allenthalben aus wohlerwogenen praktischen
Gründen einer preußischen Besitznahme zugeneigt, verzichtet aber doch schlie߬
lich auf ein entschiedenes Wort in diesem Sinne, indem er die Frage richtig
als eine innere deutsche, erst nach dem Frieden zu lösende bezeichnet. Aufs
Lebhafteste drückt er den Wunsch aus, daß diese Lösung einträchtig und ein-
müthig getroffen werde. Eben hierzu aber bedarf es unserer Ansicht nach
einer unverzüglichen Verständigung von vornherein; ein jeglicher trete hervor
mit dem Muthe seiner Meinung und dem Gewichte seiner Gründe. Von
einer plötzlichen Inspiration kann man doch nicht hernach die Entscheidung
in einer Angelegenheit erwarten, die, wie wir neulich bewiesen zu haben
glauben, eine Sache rein praktischer Bedeutung ohne jede Gefühlsseite ist.

Auch in einer anderen Beziehung noch müssen wir Wagner wohlwollend
entgegentreten. Da, wo er die thörichte Schöpfung eines neuen neutralen
Zwischenstaates, mit gebührender Strenge abweist, richtet er auch gegen die
schon vorhandenen selbständigen Grenzgebiete, besonders gegen Schweiz und
Holland, einige Pfeile des Angriffs. Er sieht in ihnen eigentlich nur die
am meisten entwickelten Gebilde des deutschen Particularismus. Nicht als
ob er ihre Existenz bedrohte, allein er bekräftigt doch, daß wir sie draußen
zu erhalten wenigstens kein Interesse haben. Bis hierin darf man ihm Recht
geben; auch wir glauben nicht an eine holländische Sondernationalität; durch
Annahme einer eigenen Orthographie kann sich kein Stamm, geschweige denn
der Bruchtheil eines solchen von der mütterlichen Nation ablösen. Wenn
aber Wagner weiter geht und einige Berichtigungen unserer allerdings lächer¬
lich unvernünftigen Grenzen wünscht — den Rhein von Constanz bis Basel,
die Maas von Mastrik bis Mook —, wenn er dann weiter die Erwerbung
von Luxemburg und dem deutschredenden belgischen Arion befürwortet und
für das alles den kleinen Staaten französische Entschädigung geben möchte,
fo müssen wir das aus politischen Gründen für diesmal, so wünschenswert!) es
wäre, entschieden zurückweisen. Daß wir allein mit Frankreich im Kampfe
und in der Unterhandlung zu thun haben, darauf gründen sich unsere ganzen
Annexionshoffnungen. Sollen wir den europäischen Congreß zusammen¬
trommeln wegen dieser Kleinigkeiten, ausdaß er dann auch über Elsaß und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/507>, abgerufen am 29.06.2024.