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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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war aber fast unglaublich. Es lag durchaus kein Grund zu der Vermuthung
vor, daß General Zaragoza nicht Herr über seine Truppen sei; Zaragoza's
Wort konnte daher für eine sichere Bürgschaft gelten. Auch wäre eine Ge¬
waltthat gegen die kranken Franzosen nicht nur ein Verbrechen, sondern eine
so unsinnige Handlung gewesen, wie man sie den Juaristen, die bisher den
Verbündeten gegenüber die äußerste Mäßigung und Besonnenheit zur Richt¬
schnur ihres Verfahrens gemacht hatten, durchaus nicht zutrauen konnte.
Eine Erbitterung, die um sich Lust zu machen, zu jedem Mittel gegriffen
hätte, herrschte damals noch nicht; sie trat erst ein -- und das gesteht auch
Kiratry zu. der im Widerspruch mit seiner oben angeführten Aeußerung an
einer andern Stelle es bedauert, daß man sich den Feinden gegenüber ins
Unrecht gesetzt habe -- als eine Folge des Wortbruchs. Das ganze Gerücht,
auf das hin der französische General handelte, ohne die Begründung desselben
einer Prüfung zu unterziehen, stand offenbar auf gleicher Stufe mit den
Redereien über die Gewaltthätigkeiten, denen die französischen Unterthanen
ausgesetzt sein sollten. Das eine Gerücht gab den Vorwand ab, von der
Convention von La Soledad zurückzutreten, das andere den Vorwand, das
gegebene Wort zu brechen und sich durch Wortbruch einen überaus wich¬
tigen militärischen Vortheil zu erschleichen, den man nicht ohne große Opfer
hätte erkämpfen können. Denn die Befestigungen, die in den von den
Küstenebnen auf das flache Land führenden Pässen angelegt waren, stellten
einem vordringenden Heere ein ernstes Hinderniß entgegen, und was von
besonderer Wichtigkeit war: die Franzosen wären im Falle eines vergeb¬
lichen Angriffs genöthigt gewesen, sich in die ungesunde Küstengegend zurück¬
zuziehen, um dort ihre Verstärkungen zu erwarten. War es da zu ver¬
wundern, wenn die Vermuthung auskommen konnte, daß die Franzosen die
Convention von La Soledad nur zu dem Zwecke unterzeichnet hätten, um
auf bequeme Manier ihrer Armee den Zugang ins Innere des Landes zu
eröffnen?

Mit einem schreienden Wortbruch leitete man das Werk der Wieder¬
geburt Mexico's ein. Kein Wunder, daß die öffentliche Meinung sich aufs
Tiefste gegen jede von Frankreich kommende Gabe empörte und den Haß
gegen Frankreich von vornherein auf dessen Schützling, den Erzherzog Maxi¬
milian übertrug, daß man sich zum Nationalkampf gegen die einheimischen
Verräther, gegen die französischen Truppen und den Herrscher, dem sie den
Weg bahnen sollten, mit Aufbietung aller Kräfte rüstete. Ein Unternehmen,
das man als segenspendende, versöhnende Friedensmission angekündigt, durfte
man -- das geboten schon die einfachsten Erwägungen der Klugheit -- nicht
mit einer Handlung beginnen, durch welche das Rechts- und Sittlichkeits¬
gefühl der zu beglückenden Nation verletzt wurde. Der Wortbruch der Fran-


war aber fast unglaublich. Es lag durchaus kein Grund zu der Vermuthung
vor, daß General Zaragoza nicht Herr über seine Truppen sei; Zaragoza's
Wort konnte daher für eine sichere Bürgschaft gelten. Auch wäre eine Ge¬
waltthat gegen die kranken Franzosen nicht nur ein Verbrechen, sondern eine
so unsinnige Handlung gewesen, wie man sie den Juaristen, die bisher den
Verbündeten gegenüber die äußerste Mäßigung und Besonnenheit zur Richt¬
schnur ihres Verfahrens gemacht hatten, durchaus nicht zutrauen konnte.
Eine Erbitterung, die um sich Lust zu machen, zu jedem Mittel gegriffen
hätte, herrschte damals noch nicht; sie trat erst ein — und das gesteht auch
Kiratry zu. der im Widerspruch mit seiner oben angeführten Aeußerung an
einer andern Stelle es bedauert, daß man sich den Feinden gegenüber ins
Unrecht gesetzt habe — als eine Folge des Wortbruchs. Das ganze Gerücht,
auf das hin der französische General handelte, ohne die Begründung desselben
einer Prüfung zu unterziehen, stand offenbar auf gleicher Stufe mit den
Redereien über die Gewaltthätigkeiten, denen die französischen Unterthanen
ausgesetzt sein sollten. Das eine Gerücht gab den Vorwand ab, von der
Convention von La Soledad zurückzutreten, das andere den Vorwand, das
gegebene Wort zu brechen und sich durch Wortbruch einen überaus wich¬
tigen militärischen Vortheil zu erschleichen, den man nicht ohne große Opfer
hätte erkämpfen können. Denn die Befestigungen, die in den von den
Küstenebnen auf das flache Land führenden Pässen angelegt waren, stellten
einem vordringenden Heere ein ernstes Hinderniß entgegen, und was von
besonderer Wichtigkeit war: die Franzosen wären im Falle eines vergeb¬
lichen Angriffs genöthigt gewesen, sich in die ungesunde Küstengegend zurück¬
zuziehen, um dort ihre Verstärkungen zu erwarten. War es da zu ver¬
wundern, wenn die Vermuthung auskommen konnte, daß die Franzosen die
Convention von La Soledad nur zu dem Zwecke unterzeichnet hätten, um
auf bequeme Manier ihrer Armee den Zugang ins Innere des Landes zu
eröffnen?

Mit einem schreienden Wortbruch leitete man das Werk der Wieder¬
geburt Mexico's ein. Kein Wunder, daß die öffentliche Meinung sich aufs
Tiefste gegen jede von Frankreich kommende Gabe empörte und den Haß
gegen Frankreich von vornherein auf dessen Schützling, den Erzherzog Maxi¬
milian übertrug, daß man sich zum Nationalkampf gegen die einheimischen
Verräther, gegen die französischen Truppen und den Herrscher, dem sie den
Weg bahnen sollten, mit Aufbietung aller Kräfte rüstete. Ein Unternehmen,
das man als segenspendende, versöhnende Friedensmission angekündigt, durfte
man — das geboten schon die einfachsten Erwägungen der Klugheit — nicht
mit einer Handlung beginnen, durch welche das Rechts- und Sittlichkeits¬
gefühl der zu beglückenden Nation verletzt wurde. Der Wortbruch der Fran-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/491>, abgerufen am 28.09.2024.