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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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die Souveränetät der mexikanischen Negierung zu achten. Die Beschuldigung,
daß gegen Franzosen Vexationen vorgekommen seien, sei unwahr; wäre sie
begründet, warum hätten denn die Commissäre nicht rechtzeitig Beschwerde
erhoben?

Daß die französischen Commissäre es ablehnten, sich auf diese "unwür¬
digen Gegsnbeschuldigun gen" einzulassen, war weise, denn es ließ sich Nichts
gegen Doblado's Anklage einwenden.

Das bisherige Verführer der Franzosen war im höchsten Grade unloyal
und zweizüngig; man hatte sich indessen bemüht, den offenen Wortbruch zu
vermeiden. Völlig gelungen war dies allerdings nicht; eine Kündigung des
Vertrages von La Soledad vor den in demselben stipulirten Conferenzen war
ein Bruch der übernommenen Verpflichtung. Indessen hatte man sich hier
doch mit einem Schein von Recht auf die neue Instruction aus Paris be¬
rufen können. Was aber jetzt erfolgte, war der unverhüllte Wortbruch, um
so schmachvoller, da er die Ehre der französischen Fahne besudelte, um so
verhängnißvoller, da er die Abneigung der Mexikaner gegen die "Civilisatoren"
zur höchsten Erbitterung steigerte.

Die französische Armee, statt hinter Chiguihuita zurückzugehen und dann
erst ihren Vormarsch zu beginnen, machte Kehrt, ehe sie die angewiesene
Linie erreicht hatte, und marschirte sofort auf Orizaba. Den Vorwand bot
das Gerücht, daß die Sicherheit der in Orizaba befindlichen französischen
Kranken durch die Juaristen bedroht sei. Auf die ausdrückliche Erklärung
des General Zaragoza, daß die Kranken unter dem Schutze des mexikani¬
schen Heeres sich befänden, erwiederte Jurien Nichts, als daß er auf Befehl
des Kaisers das Commando an Lorencez abgegeben habe.

Keratry in seinem wichtigen Werke "l'Lmxeröur N^ximilien, soll 616-
vation et ebnes, I^ixsjZ 1867" sucht das Verfahren der Franzosen nicht
zu rechtfertigen, aber doch zu beschönigen. Aus Besorgniß, daß die franzö¬
sischen Kranken ermordet werden möchten, habe der französische Commandant
mit Bedauern (woher weiß Graf Keratry das?) sein Wort verletzt und
den Marsch gegen Orizaba angetreten, bevor er über die Position von Chi¬
guihuita zurückgegangen.

Indessen auf Keratry's Urtheil in Allem, was die französische Armee
betrifft, ist nicht sehr viel zu geben. Er beurtheilt zwar die kaiserliche Poli¬
tik mit großer Schärfe, aber er verfolgt zugleich die Tendenz, die französi¬
schen Truppen und ihre Befehlshaber gegen die ihnen gemachten Vorwürfe
zu vertheidigen. Und so sucht er auch hier den Wortbruch zu entschuldigen;
aber er weiß als Entschuldigungsgrund eben Nichts weiter anzuführen, als
ein bloßes Gerücht. Dies Gerücht, von dessen Entstehung wir nirgends
etwas erfahren, das nur in französischen offiziellen Schriftstücken figurirt,


die Souveränetät der mexikanischen Negierung zu achten. Die Beschuldigung,
daß gegen Franzosen Vexationen vorgekommen seien, sei unwahr; wäre sie
begründet, warum hätten denn die Commissäre nicht rechtzeitig Beschwerde
erhoben?

Daß die französischen Commissäre es ablehnten, sich auf diese „unwür¬
digen Gegsnbeschuldigun gen" einzulassen, war weise, denn es ließ sich Nichts
gegen Doblado's Anklage einwenden.

Das bisherige Verführer der Franzosen war im höchsten Grade unloyal
und zweizüngig; man hatte sich indessen bemüht, den offenen Wortbruch zu
vermeiden. Völlig gelungen war dies allerdings nicht; eine Kündigung des
Vertrages von La Soledad vor den in demselben stipulirten Conferenzen war
ein Bruch der übernommenen Verpflichtung. Indessen hatte man sich hier
doch mit einem Schein von Recht auf die neue Instruction aus Paris be¬
rufen können. Was aber jetzt erfolgte, war der unverhüllte Wortbruch, um
so schmachvoller, da er die Ehre der französischen Fahne besudelte, um so
verhängnißvoller, da er die Abneigung der Mexikaner gegen die „Civilisatoren"
zur höchsten Erbitterung steigerte.

Die französische Armee, statt hinter Chiguihuita zurückzugehen und dann
erst ihren Vormarsch zu beginnen, machte Kehrt, ehe sie die angewiesene
Linie erreicht hatte, und marschirte sofort auf Orizaba. Den Vorwand bot
das Gerücht, daß die Sicherheit der in Orizaba befindlichen französischen
Kranken durch die Juaristen bedroht sei. Auf die ausdrückliche Erklärung
des General Zaragoza, daß die Kranken unter dem Schutze des mexikani¬
schen Heeres sich befänden, erwiederte Jurien Nichts, als daß er auf Befehl
des Kaisers das Commando an Lorencez abgegeben habe.

Keratry in seinem wichtigen Werke „l'Lmxeröur N^ximilien, soll 616-
vation et ebnes, I^ixsjZ 1867" sucht das Verfahren der Franzosen nicht
zu rechtfertigen, aber doch zu beschönigen. Aus Besorgniß, daß die franzö¬
sischen Kranken ermordet werden möchten, habe der französische Commandant
mit Bedauern (woher weiß Graf Keratry das?) sein Wort verletzt und
den Marsch gegen Orizaba angetreten, bevor er über die Position von Chi¬
guihuita zurückgegangen.

Indessen auf Keratry's Urtheil in Allem, was die französische Armee
betrifft, ist nicht sehr viel zu geben. Er beurtheilt zwar die kaiserliche Poli¬
tik mit großer Schärfe, aber er verfolgt zugleich die Tendenz, die französi¬
schen Truppen und ihre Befehlshaber gegen die ihnen gemachten Vorwürfe
zu vertheidigen. Und so sucht er auch hier den Wortbruch zu entschuldigen;
aber er weiß als Entschuldigungsgrund eben Nichts weiter anzuführen, als
ein bloßes Gerücht. Dies Gerücht, von dessen Entstehung wir nirgends
etwas erfahren, das nur in französischen offiziellen Schriftstücken figurirt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/490>, abgerufen am 28.09.2024.