Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Obercumnergauer Spiel und seine dramatische Wirkung.

Es war im Jahre 1634 als im bayrischen Hochlande eine ansteckende
Krankheit, erst "wildes Kopfweh", dann "Pest" genannt, die Gemeinde von
Oberammergau zu dem Gelöbniß veranlaßte, die Passionstragödie alle zehn
Jahre aufzuführen. Natürlich hörte die Pest damit auf, wie die Chronik be¬
stätigen kann.

Seit jenem Jahre hat sich das Passionsspiel daselbst bis zur Gegenwart
erhalten und wird -- abgesehen von den Unregelmäßigkeiten, die durch die
mehrfach eintretenden Verbote, namentlich Ende des vorigen und Anfang
dieses Jahrhunderts entstanden, -- alle zehn Jahre wiederholt. Verschiedene
Momente haben mitgewirkt, daß neben einigen in anderen Orten Alt¬
bayerns und Tirols noch bestehenden religiösen Spielen grade in Ober¬
ammergau das Passionsspiel sich so erhalten und an Umfang, an Großartig¬
keit und an künstlerischer Ausbildung zugenommen hat. Die Zähigkeit, mit
der die Gemeinde an ihrem Privilegium festhielt, veranlaßte die Regierung
immer wieder zu neuer Aufhebung des Verbots, womit auch gleichzeitig die
Bedingung eintrat, daß der alte Text mehr und mehr von mittelalterlichen
Unfug gereinigt werde. Eine durchgreifende Umgestaltung des Spiels fand
erst um 1730 durch einen Benedictiner-Pater aus Ettal, Namens Rosner,
statt. Schon aus dem Jahre 1748 befindet sich in einer Oberammergauer
Chronik die Notiz: "In diesem Jahre habe man daselbst die Kreuzschule Chnsti
in der Kirchen an jedem Sonntag einen Akt gespielt, welches eine große
Auferbauung unter dem Volke machte." Diese Notiz ist dahin zu erklären,
daß diese sogenannte "Kreuzschule" damals gewöhnlich alle zwei Jahre vor
dem Passtonsspiel aufgeführt wurde. Sie behandelte gleichfalls die Leidens¬
geschichte Christi, wurde aber, wie aus der Notiz zu ersehen ist, auf eine
Reihe von Sonntagen vertheilt. Später wurde diese "Kreuzschule" in die
Mitte jedes Decenniums verlegt, und die letzte derartige Darstellung hat
1825 stattgefunden. Dem- je mehr das große Passionsspiel selbst sich hob,
desto mehr schwand das Interesse für diese stückweisen Darstellungen. Aber
trotz jener ersten bedeutenden Umgestaltung des Passtonsspiels durch den Bene-
dictiner Rosner (Mitte des vorigen Jahrhunderts) entstanden unmittelbar
darauf die lebhaftesten Erörterungen in der Geistlichkeit wie bei den weltlichen


Grciizboteu III. 18?N. 6
Das Obercumnergauer Spiel und seine dramatische Wirkung.

Es war im Jahre 1634 als im bayrischen Hochlande eine ansteckende
Krankheit, erst „wildes Kopfweh", dann „Pest" genannt, die Gemeinde von
Oberammergau zu dem Gelöbniß veranlaßte, die Passionstragödie alle zehn
Jahre aufzuführen. Natürlich hörte die Pest damit auf, wie die Chronik be¬
stätigen kann.

Seit jenem Jahre hat sich das Passionsspiel daselbst bis zur Gegenwart
erhalten und wird — abgesehen von den Unregelmäßigkeiten, die durch die
mehrfach eintretenden Verbote, namentlich Ende des vorigen und Anfang
dieses Jahrhunderts entstanden, — alle zehn Jahre wiederholt. Verschiedene
Momente haben mitgewirkt, daß neben einigen in anderen Orten Alt¬
bayerns und Tirols noch bestehenden religiösen Spielen grade in Ober¬
ammergau das Passionsspiel sich so erhalten und an Umfang, an Großartig¬
keit und an künstlerischer Ausbildung zugenommen hat. Die Zähigkeit, mit
der die Gemeinde an ihrem Privilegium festhielt, veranlaßte die Regierung
immer wieder zu neuer Aufhebung des Verbots, womit auch gleichzeitig die
Bedingung eintrat, daß der alte Text mehr und mehr von mittelalterlichen
Unfug gereinigt werde. Eine durchgreifende Umgestaltung des Spiels fand
erst um 1730 durch einen Benedictiner-Pater aus Ettal, Namens Rosner,
statt. Schon aus dem Jahre 1748 befindet sich in einer Oberammergauer
Chronik die Notiz: „In diesem Jahre habe man daselbst die Kreuzschule Chnsti
in der Kirchen an jedem Sonntag einen Akt gespielt, welches eine große
Auferbauung unter dem Volke machte." Diese Notiz ist dahin zu erklären,
daß diese sogenannte „Kreuzschule" damals gewöhnlich alle zwei Jahre vor
dem Passtonsspiel aufgeführt wurde. Sie behandelte gleichfalls die Leidens¬
geschichte Christi, wurde aber, wie aus der Notiz zu ersehen ist, auf eine
Reihe von Sonntagen vertheilt. Später wurde diese „Kreuzschule" in die
Mitte jedes Decenniums verlegt, und die letzte derartige Darstellung hat
1825 stattgefunden. Dem- je mehr das große Passionsspiel selbst sich hob,
desto mehr schwand das Interesse für diese stückweisen Darstellungen. Aber
trotz jener ersten bedeutenden Umgestaltung des Passtonsspiels durch den Bene-
dictiner Rosner (Mitte des vorigen Jahrhunderts) entstanden unmittelbar
darauf die lebhaftesten Erörterungen in der Geistlichkeit wie bei den weltlichen


Grciizboteu III. 18?N. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124199"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Obercumnergauer Spiel und seine dramatische Wirkung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_123"> Es war im Jahre 1634 als im bayrischen Hochlande eine ansteckende<lb/>
Krankheit, erst &#x201E;wildes Kopfweh", dann &#x201E;Pest" genannt, die Gemeinde von<lb/>
Oberammergau zu dem Gelöbniß veranlaßte, die Passionstragödie alle zehn<lb/>
Jahre aufzuführen. Natürlich hörte die Pest damit auf, wie die Chronik be¬<lb/>
stätigen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_124" next="#ID_125"> Seit jenem Jahre hat sich das Passionsspiel daselbst bis zur Gegenwart<lb/>
erhalten und wird &#x2014; abgesehen von den Unregelmäßigkeiten, die durch die<lb/>
mehrfach eintretenden Verbote, namentlich Ende des vorigen und Anfang<lb/>
dieses Jahrhunderts entstanden, &#x2014; alle zehn Jahre wiederholt. Verschiedene<lb/>
Momente haben mitgewirkt, daß neben einigen in anderen Orten Alt¬<lb/>
bayerns und Tirols noch bestehenden religiösen Spielen grade in Ober¬<lb/>
ammergau das Passionsspiel sich so erhalten und an Umfang, an Großartig¬<lb/>
keit und an künstlerischer Ausbildung zugenommen hat. Die Zähigkeit, mit<lb/>
der die Gemeinde an ihrem Privilegium festhielt, veranlaßte die Regierung<lb/>
immer wieder zu neuer Aufhebung des Verbots, womit auch gleichzeitig die<lb/>
Bedingung eintrat, daß der alte Text mehr und mehr von mittelalterlichen<lb/>
Unfug gereinigt werde. Eine durchgreifende Umgestaltung des Spiels fand<lb/>
erst um 1730 durch einen Benedictiner-Pater aus Ettal, Namens Rosner,<lb/>
statt. Schon aus dem Jahre 1748 befindet sich in einer Oberammergauer<lb/>
Chronik die Notiz: &#x201E;In diesem Jahre habe man daselbst die Kreuzschule Chnsti<lb/>
in der Kirchen an jedem Sonntag einen Akt gespielt, welches eine große<lb/>
Auferbauung unter dem Volke machte." Diese Notiz ist dahin zu erklären,<lb/>
daß diese sogenannte &#x201E;Kreuzschule" damals gewöhnlich alle zwei Jahre vor<lb/>
dem Passtonsspiel aufgeführt wurde. Sie behandelte gleichfalls die Leidens¬<lb/>
geschichte Christi, wurde aber, wie aus der Notiz zu ersehen ist, auf eine<lb/>
Reihe von Sonntagen vertheilt. Später wurde diese &#x201E;Kreuzschule" in die<lb/>
Mitte jedes Decenniums verlegt, und die letzte derartige Darstellung hat<lb/>
1825 stattgefunden. Dem- je mehr das große Passionsspiel selbst sich hob,<lb/>
desto mehr schwand das Interesse für diese stückweisen Darstellungen. Aber<lb/>
trotz jener ersten bedeutenden Umgestaltung des Passtonsspiels durch den Bene-<lb/>
dictiner Rosner (Mitte des vorigen Jahrhunderts) entstanden unmittelbar<lb/>
darauf die lebhaftesten Erörterungen in der Geistlichkeit wie bei den weltlichen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grciizboteu III. 18?N. 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Das Obercumnergauer Spiel und seine dramatische Wirkung. Es war im Jahre 1634 als im bayrischen Hochlande eine ansteckende Krankheit, erst „wildes Kopfweh", dann „Pest" genannt, die Gemeinde von Oberammergau zu dem Gelöbniß veranlaßte, die Passionstragödie alle zehn Jahre aufzuführen. Natürlich hörte die Pest damit auf, wie die Chronik be¬ stätigen kann. Seit jenem Jahre hat sich das Passionsspiel daselbst bis zur Gegenwart erhalten und wird — abgesehen von den Unregelmäßigkeiten, die durch die mehrfach eintretenden Verbote, namentlich Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts entstanden, — alle zehn Jahre wiederholt. Verschiedene Momente haben mitgewirkt, daß neben einigen in anderen Orten Alt¬ bayerns und Tirols noch bestehenden religiösen Spielen grade in Ober¬ ammergau das Passionsspiel sich so erhalten und an Umfang, an Großartig¬ keit und an künstlerischer Ausbildung zugenommen hat. Die Zähigkeit, mit der die Gemeinde an ihrem Privilegium festhielt, veranlaßte die Regierung immer wieder zu neuer Aufhebung des Verbots, womit auch gleichzeitig die Bedingung eintrat, daß der alte Text mehr und mehr von mittelalterlichen Unfug gereinigt werde. Eine durchgreifende Umgestaltung des Spiels fand erst um 1730 durch einen Benedictiner-Pater aus Ettal, Namens Rosner, statt. Schon aus dem Jahre 1748 befindet sich in einer Oberammergauer Chronik die Notiz: „In diesem Jahre habe man daselbst die Kreuzschule Chnsti in der Kirchen an jedem Sonntag einen Akt gespielt, welches eine große Auferbauung unter dem Volke machte." Diese Notiz ist dahin zu erklären, daß diese sogenannte „Kreuzschule" damals gewöhnlich alle zwei Jahre vor dem Passtonsspiel aufgeführt wurde. Sie behandelte gleichfalls die Leidens¬ geschichte Christi, wurde aber, wie aus der Notiz zu ersehen ist, auf eine Reihe von Sonntagen vertheilt. Später wurde diese „Kreuzschule" in die Mitte jedes Decenniums verlegt, und die letzte derartige Darstellung hat 1825 stattgefunden. Dem- je mehr das große Passionsspiel selbst sich hob, desto mehr schwand das Interesse für diese stückweisen Darstellungen. Aber trotz jener ersten bedeutenden Umgestaltung des Passtonsspiels durch den Bene- dictiner Rosner (Mitte des vorigen Jahrhunderts) entstanden unmittelbar darauf die lebhaftesten Erörterungen in der Geistlichkeit wie bei den weltlichen Grciizboteu III. 18?N. 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/49>, abgerufen am 05.07.2024.