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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Behörden über die Zulässigkeit des Spieles überhaupt. Im Jahre 1762
hatte der geistliche Rath sein Gutachten dahin abgegeben: "daß das große
Geheimniß unserer heiligen Religion einmal nicht auf die Schaubühne ge¬
höre." Im Jahre 1763 gestattete eine kurfürstliche Verordnung zwar die
"Passionstragödien" dort, wo sie noch stattgefunden hatten, aber sie sollten
früh am Tage gehalten werden, damit das Volk wieder zeitig nach Hause
käme und Excessen vorgebeugt werden könne.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß auch heute noch an dem Interesse
der Landbevölkerung für das Passionsspiel Lust,am Schaugepränge, Faulenzerei,
Skandalsucht u. s. w. einigen Antheil hat, wie es ähnlich an manchen Orten
bei der bunten Masse von Wallfahrern an den großen Wallfahrtstagen der
Fall ist. Wie aber in Oberammergau trotzdem der ernste Sinn dominirend
ist, das würdigt man recht, wenn man alte Beschreibungen davon liest, wie
es in früherer Zeit bei diesen Spielen zuging. Im Jahre 1770 war denn
auch die Regierung wirklich genöthigt, ein allgemeines Verbot der Passions¬
tragödien zu erlassen. Doch wurde es da und dort gestattet, "andere geist¬
liche Historien" zur Ausführung zu bringen; und die Oberammergauer hatten
auch damals schon eine Erneuerung des Privilegiums für die Passion durch¬
gesetzt. Sehr bitter spricht sich der Erzbischof von Salzburg in einem Erlasse
aus dem Jahre 1779 über die ganze Sitte oder Unsitte aus: Ein seltsameres
Gemisch -- heißt es darin -- von Religion und Possenspiel könne nicht ge-
dacht werden. "Zu gleicher Zeit, als ein Theil der Schauspieler die betrüb¬
ten Auftritte des Leidens Christi auf das Beweglichste vorzustellen bemüht
ist, und bei aller ihrer Ernsthaftigkeit schon öfters aus Plumpheit und Un¬
verstand ins Lächerliche und Possierliche verfallen, erscheinen ganze Rotten in
Juden-, Teufels- und anderen Larven verkappter Possenreißer, die das zu¬
schauende Volk durch tausenderlei Muthwillen und ausgelassenste Gaukeleien
zu dem brausendsten Gelächter verleiten ..... Das zur Lustigkeit und
Gelächter vorbereitete Volk füllt die Wirths- und Zechhäuser von unten bis
oben an; die Saufgelage dauern bis in die späteste Nacht fort; die nach
Hause taumelnden Trunkenbolde erfüllen Straßen und Felder mit ihrem
Jauchzen und Schandgeschrei; auf das Neue kreuzigen sie den Sohn Gottes
und haben ihn zum Spott; beinahe buchstäblich machen sie den gekreuzigten
Christus den Juden zum Aergerniß und den Heiden zur Thorheit und geben
den Freigeistern und Religionsspöttern Anlaß, das katholische Christenthum
dem beißendsten Gespötts und Hohngelächter wie im Triumphe bloszustellen."

Wir können aus guten Gründen annehmen, daß die Schilderung, welche
der Erzbischof von dem früheren argen Unfug gab, nicht sehr übertrieben
war. und es ist sehr interessant, daraus zu ersehen, daß der Mischmasch von
religiöser Darstellung und von plumpen Hanswurstspäßen noch im vorigen


Behörden über die Zulässigkeit des Spieles überhaupt. Im Jahre 1762
hatte der geistliche Rath sein Gutachten dahin abgegeben: „daß das große
Geheimniß unserer heiligen Religion einmal nicht auf die Schaubühne ge¬
höre." Im Jahre 1763 gestattete eine kurfürstliche Verordnung zwar die
„Passionstragödien" dort, wo sie noch stattgefunden hatten, aber sie sollten
früh am Tage gehalten werden, damit das Volk wieder zeitig nach Hause
käme und Excessen vorgebeugt werden könne.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß auch heute noch an dem Interesse
der Landbevölkerung für das Passionsspiel Lust,am Schaugepränge, Faulenzerei,
Skandalsucht u. s. w. einigen Antheil hat, wie es ähnlich an manchen Orten
bei der bunten Masse von Wallfahrern an den großen Wallfahrtstagen der
Fall ist. Wie aber in Oberammergau trotzdem der ernste Sinn dominirend
ist, das würdigt man recht, wenn man alte Beschreibungen davon liest, wie
es in früherer Zeit bei diesen Spielen zuging. Im Jahre 1770 war denn
auch die Regierung wirklich genöthigt, ein allgemeines Verbot der Passions¬
tragödien zu erlassen. Doch wurde es da und dort gestattet, „andere geist¬
liche Historien" zur Ausführung zu bringen; und die Oberammergauer hatten
auch damals schon eine Erneuerung des Privilegiums für die Passion durch¬
gesetzt. Sehr bitter spricht sich der Erzbischof von Salzburg in einem Erlasse
aus dem Jahre 1779 über die ganze Sitte oder Unsitte aus: Ein seltsameres
Gemisch — heißt es darin — von Religion und Possenspiel könne nicht ge-
dacht werden. „Zu gleicher Zeit, als ein Theil der Schauspieler die betrüb¬
ten Auftritte des Leidens Christi auf das Beweglichste vorzustellen bemüht
ist, und bei aller ihrer Ernsthaftigkeit schon öfters aus Plumpheit und Un¬
verstand ins Lächerliche und Possierliche verfallen, erscheinen ganze Rotten in
Juden-, Teufels- und anderen Larven verkappter Possenreißer, die das zu¬
schauende Volk durch tausenderlei Muthwillen und ausgelassenste Gaukeleien
zu dem brausendsten Gelächter verleiten ..... Das zur Lustigkeit und
Gelächter vorbereitete Volk füllt die Wirths- und Zechhäuser von unten bis
oben an; die Saufgelage dauern bis in die späteste Nacht fort; die nach
Hause taumelnden Trunkenbolde erfüllen Straßen und Felder mit ihrem
Jauchzen und Schandgeschrei; auf das Neue kreuzigen sie den Sohn Gottes
und haben ihn zum Spott; beinahe buchstäblich machen sie den gekreuzigten
Christus den Juden zum Aergerniß und den Heiden zur Thorheit und geben
den Freigeistern und Religionsspöttern Anlaß, das katholische Christenthum
dem beißendsten Gespötts und Hohngelächter wie im Triumphe bloszustellen."

Wir können aus guten Gründen annehmen, daß die Schilderung, welche
der Erzbischof von dem früheren argen Unfug gab, nicht sehr übertrieben
war. und es ist sehr interessant, daraus zu ersehen, daß der Mischmasch von
religiöser Darstellung und von plumpen Hanswurstspäßen noch im vorigen


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[0050] Behörden über die Zulässigkeit des Spieles überhaupt. Im Jahre 1762 hatte der geistliche Rath sein Gutachten dahin abgegeben: „daß das große Geheimniß unserer heiligen Religion einmal nicht auf die Schaubühne ge¬ höre." Im Jahre 1763 gestattete eine kurfürstliche Verordnung zwar die „Passionstragödien" dort, wo sie noch stattgefunden hatten, aber sie sollten früh am Tage gehalten werden, damit das Volk wieder zeitig nach Hause käme und Excessen vorgebeugt werden könne. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß auch heute noch an dem Interesse der Landbevölkerung für das Passionsspiel Lust,am Schaugepränge, Faulenzerei, Skandalsucht u. s. w. einigen Antheil hat, wie es ähnlich an manchen Orten bei der bunten Masse von Wallfahrern an den großen Wallfahrtstagen der Fall ist. Wie aber in Oberammergau trotzdem der ernste Sinn dominirend ist, das würdigt man recht, wenn man alte Beschreibungen davon liest, wie es in früherer Zeit bei diesen Spielen zuging. Im Jahre 1770 war denn auch die Regierung wirklich genöthigt, ein allgemeines Verbot der Passions¬ tragödien zu erlassen. Doch wurde es da und dort gestattet, „andere geist¬ liche Historien" zur Ausführung zu bringen; und die Oberammergauer hatten auch damals schon eine Erneuerung des Privilegiums für die Passion durch¬ gesetzt. Sehr bitter spricht sich der Erzbischof von Salzburg in einem Erlasse aus dem Jahre 1779 über die ganze Sitte oder Unsitte aus: Ein seltsameres Gemisch — heißt es darin — von Religion und Possenspiel könne nicht ge- dacht werden. „Zu gleicher Zeit, als ein Theil der Schauspieler die betrüb¬ ten Auftritte des Leidens Christi auf das Beweglichste vorzustellen bemüht ist, und bei aller ihrer Ernsthaftigkeit schon öfters aus Plumpheit und Un¬ verstand ins Lächerliche und Possierliche verfallen, erscheinen ganze Rotten in Juden-, Teufels- und anderen Larven verkappter Possenreißer, die das zu¬ schauende Volk durch tausenderlei Muthwillen und ausgelassenste Gaukeleien zu dem brausendsten Gelächter verleiten ..... Das zur Lustigkeit und Gelächter vorbereitete Volk füllt die Wirths- und Zechhäuser von unten bis oben an; die Saufgelage dauern bis in die späteste Nacht fort; die nach Hause taumelnden Trunkenbolde erfüllen Straßen und Felder mit ihrem Jauchzen und Schandgeschrei; auf das Neue kreuzigen sie den Sohn Gottes und haben ihn zum Spott; beinahe buchstäblich machen sie den gekreuzigten Christus den Juden zum Aergerniß und den Heiden zur Thorheit und geben den Freigeistern und Religionsspöttern Anlaß, das katholische Christenthum dem beißendsten Gespötts und Hohngelächter wie im Triumphe bloszustellen." Wir können aus guten Gründen annehmen, daß die Schilderung, welche der Erzbischof von dem früheren argen Unfug gab, nicht sehr übertrieben war. und es ist sehr interessant, daraus zu ersehen, daß der Mischmasch von religiöser Darstellung und von plumpen Hanswurstspäßen noch im vorigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/50>, abgerufen am 26.06.2024.