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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Vatersprache seines Geistes und seiner Bildung, d. h. hochdeutsch, und rück¬
übersetzt dies nur in das volksthümliche Idiom. Die nördlichen Niederlande
aber mit ihrer eigenartigen, seit einem halben Jahrtausend von Deutschland
fast ganz abgelösten Geschichte, Politik, Staat und Gesellschaft müssen natür¬
lich noch auf lange hinaus sprachlich eine ganz andere Selbständigkeit be¬
haupten als der übrige niederdeutsche Norden unseres Vaterlandes. Schlie߬
lich jedoch bleibt ihnen nur die Wahl, entweder sich der großen deutschen
oder der großen französischen Masse anzuschließen und man sollte meinen, die
Entscheidung wäre durch die Natur der Dinge leicht gemacht.

Hören wir freilich das leidenschaftliche und bittere Geschrei des Augen¬
blicks, so geräth man mitunter in Versuchung, an dem Zustandekommen dieses
so natürlichen Ergebnisses zu verzweifeln. Wer Holland kennt, weiß, daß
dort eine ganz lächerliche Furcht vor dem Anschluß an Deutschland in der
Form eines wüsten Preußenhasses grassirt. Es ist genau dieselbe Geistes¬
krankheit, die wir in anderen Gauen Deutschlands so häufig zu beobachten
Gelegenheit fanden, und ein solcher holländischer Preußensresser unterscheidet
sich in nichts von einem Herrn Martin May, Herrn Frese, Herrn Sigl oder
auch Herrn Orr.o Klopp und Consorten, als daß er noch immer mit Vor¬
liebe aus einer weißen Thonpfeife raucht, während diese Herren unseres
Wissens dies altmodische Werkzeug längst bet Seite geworfen haben. Genau
so wie die genannten und ihre ungenannten Brüder in Se. Georg und
Se. Beust ließen auch bis vor Kurzem die holländischen "Patrioten" das Feld¬
geschrei "lieber französisch als preußisch" laut genug ertönen, und wenn es ihnen
auch keineswegs Ernst damit ist, weil sie eine annähernd richtige Vor¬
stellung davon haben, wieviel das Französischwerden für ihren Geldbeutel
und ihr velbödÄÄAen -- was rum in unserem Hochdeutsch Gemüthlich¬
keit nennt -- bedeutet, so könnte doch gelegentlich auf eine ihnen sehr un¬
liebsame Weise von gewisser Seite, wo man feine Ohren und die berühmte
Alluvionstheorie des Onkels nicht vergessen hat, Ernst damit gemacht werden.
Und da sich jeder Franzose selbstverständlich zu dieser Alluvionstheorie be¬
kennt, so würde man an der Seine sogar ein sehr populäres Geschäft mit
ihrer praktischen Ausbeutung machen.

Es steht damit im engsten Zusammenhange, daß bis zu dieser Stunde
die Holländer, wenn sie für ein größeres Publicum als das ihrer eigenen
kleinen Sprache schreien wollen, sich viel lieber und viel öfter des Französi¬
schen als des Hochdeutschen bedienen. Ein deutsches Buch im Haag gedruckt
und verlegt, wie Dr. Kern's Glossen in der I^sx sg-lies, (18L9) ist ein wahres
Phänomen; dagegen laufen "a ig, Ila^e" dutzendweise Bücher aus allen mög¬
lichen wissenschaftlichen Fächern, aber auch aus dem Bereiche der populären
und belletristischen Literatur von Stapel, zunächst nach Paris, um dort mit


Vatersprache seines Geistes und seiner Bildung, d. h. hochdeutsch, und rück¬
übersetzt dies nur in das volksthümliche Idiom. Die nördlichen Niederlande
aber mit ihrer eigenartigen, seit einem halben Jahrtausend von Deutschland
fast ganz abgelösten Geschichte, Politik, Staat und Gesellschaft müssen natür¬
lich noch auf lange hinaus sprachlich eine ganz andere Selbständigkeit be¬
haupten als der übrige niederdeutsche Norden unseres Vaterlandes. Schlie߬
lich jedoch bleibt ihnen nur die Wahl, entweder sich der großen deutschen
oder der großen französischen Masse anzuschließen und man sollte meinen, die
Entscheidung wäre durch die Natur der Dinge leicht gemacht.

Hören wir freilich das leidenschaftliche und bittere Geschrei des Augen¬
blicks, so geräth man mitunter in Versuchung, an dem Zustandekommen dieses
so natürlichen Ergebnisses zu verzweifeln. Wer Holland kennt, weiß, daß
dort eine ganz lächerliche Furcht vor dem Anschluß an Deutschland in der
Form eines wüsten Preußenhasses grassirt. Es ist genau dieselbe Geistes¬
krankheit, die wir in anderen Gauen Deutschlands so häufig zu beobachten
Gelegenheit fanden, und ein solcher holländischer Preußensresser unterscheidet
sich in nichts von einem Herrn Martin May, Herrn Frese, Herrn Sigl oder
auch Herrn Orr.o Klopp und Consorten, als daß er noch immer mit Vor¬
liebe aus einer weißen Thonpfeife raucht, während diese Herren unseres
Wissens dies altmodische Werkzeug längst bet Seite geworfen haben. Genau
so wie die genannten und ihre ungenannten Brüder in Se. Georg und
Se. Beust ließen auch bis vor Kurzem die holländischen „Patrioten" das Feld¬
geschrei „lieber französisch als preußisch" laut genug ertönen, und wenn es ihnen
auch keineswegs Ernst damit ist, weil sie eine annähernd richtige Vor¬
stellung davon haben, wieviel das Französischwerden für ihren Geldbeutel
und ihr velbödÄÄAen — was rum in unserem Hochdeutsch Gemüthlich¬
keit nennt — bedeutet, so könnte doch gelegentlich auf eine ihnen sehr un¬
liebsame Weise von gewisser Seite, wo man feine Ohren und die berühmte
Alluvionstheorie des Onkels nicht vergessen hat, Ernst damit gemacht werden.
Und da sich jeder Franzose selbstverständlich zu dieser Alluvionstheorie be¬
kennt, so würde man an der Seine sogar ein sehr populäres Geschäft mit
ihrer praktischen Ausbeutung machen.

Es steht damit im engsten Zusammenhange, daß bis zu dieser Stunde
die Holländer, wenn sie für ein größeres Publicum als das ihrer eigenen
kleinen Sprache schreien wollen, sich viel lieber und viel öfter des Französi¬
schen als des Hochdeutschen bedienen. Ein deutsches Buch im Haag gedruckt
und verlegt, wie Dr. Kern's Glossen in der I^sx sg-lies, (18L9) ist ein wahres
Phänomen; dagegen laufen „a ig, Ila^e" dutzendweise Bücher aus allen mög¬
lichen wissenschaftlichen Fächern, aber auch aus dem Bereiche der populären
und belletristischen Literatur von Stapel, zunächst nach Paris, um dort mit


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[0474] Vatersprache seines Geistes und seiner Bildung, d. h. hochdeutsch, und rück¬ übersetzt dies nur in das volksthümliche Idiom. Die nördlichen Niederlande aber mit ihrer eigenartigen, seit einem halben Jahrtausend von Deutschland fast ganz abgelösten Geschichte, Politik, Staat und Gesellschaft müssen natür¬ lich noch auf lange hinaus sprachlich eine ganz andere Selbständigkeit be¬ haupten als der übrige niederdeutsche Norden unseres Vaterlandes. Schlie߬ lich jedoch bleibt ihnen nur die Wahl, entweder sich der großen deutschen oder der großen französischen Masse anzuschließen und man sollte meinen, die Entscheidung wäre durch die Natur der Dinge leicht gemacht. Hören wir freilich das leidenschaftliche und bittere Geschrei des Augen¬ blicks, so geräth man mitunter in Versuchung, an dem Zustandekommen dieses so natürlichen Ergebnisses zu verzweifeln. Wer Holland kennt, weiß, daß dort eine ganz lächerliche Furcht vor dem Anschluß an Deutschland in der Form eines wüsten Preußenhasses grassirt. Es ist genau dieselbe Geistes¬ krankheit, die wir in anderen Gauen Deutschlands so häufig zu beobachten Gelegenheit fanden, und ein solcher holländischer Preußensresser unterscheidet sich in nichts von einem Herrn Martin May, Herrn Frese, Herrn Sigl oder auch Herrn Orr.o Klopp und Consorten, als daß er noch immer mit Vor¬ liebe aus einer weißen Thonpfeife raucht, während diese Herren unseres Wissens dies altmodische Werkzeug längst bet Seite geworfen haben. Genau so wie die genannten und ihre ungenannten Brüder in Se. Georg und Se. Beust ließen auch bis vor Kurzem die holländischen „Patrioten" das Feld¬ geschrei „lieber französisch als preußisch" laut genug ertönen, und wenn es ihnen auch keineswegs Ernst damit ist, weil sie eine annähernd richtige Vor¬ stellung davon haben, wieviel das Französischwerden für ihren Geldbeutel und ihr velbödÄÄAen — was rum in unserem Hochdeutsch Gemüthlich¬ keit nennt — bedeutet, so könnte doch gelegentlich auf eine ihnen sehr un¬ liebsame Weise von gewisser Seite, wo man feine Ohren und die berühmte Alluvionstheorie des Onkels nicht vergessen hat, Ernst damit gemacht werden. Und da sich jeder Franzose selbstverständlich zu dieser Alluvionstheorie be¬ kennt, so würde man an der Seine sogar ein sehr populäres Geschäft mit ihrer praktischen Ausbeutung machen. Es steht damit im engsten Zusammenhange, daß bis zu dieser Stunde die Holländer, wenn sie für ein größeres Publicum als das ihrer eigenen kleinen Sprache schreien wollen, sich viel lieber und viel öfter des Französi¬ schen als des Hochdeutschen bedienen. Ein deutsches Buch im Haag gedruckt und verlegt, wie Dr. Kern's Glossen in der I^sx sg-lies, (18L9) ist ein wahres Phänomen; dagegen laufen „a ig, Ila^e" dutzendweise Bücher aus allen mög¬ lichen wissenschaftlichen Fächern, aber auch aus dem Bereiche der populären und belletristischen Literatur von Stapel, zunächst nach Paris, um dort mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/474>, abgerufen am 29.06.2024.