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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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von der Loire eine Armee zu bilden, die noch dazu ganz knegsungeübt sein
würde.

Unsere Politik kann die französische Revolution in Paris vorläufig nicht
beeinflussen, da bis jetzt Herr Favre denselben hochfahrenden Ton annimmt
wie der Bonapartismus, und wie der Orlecinismus es nach Ausweis des fast
kindischen Briefes des alten Guizot thut. So gehen wir ruhig vorwärts, und
wenn die gegenwärtige Regierung mit keinem Fußbreit französischen Bodens
den Frieden erkaufen will, so wird sich Frankreich gegenüber die Geschichte
der sybillinischen Bücher wiederholen und die Wasser der Invasion werden
steigen, bis eine Regierung da ist, die bereit ist, unsere Forderungen zu¬
zugestehen, und sähig, sie zu erfüllen.
10. Septbr. 1870.




Deutschland und die Niederlande in ihren ältesten literarischen
Beziehungen.

W. I. A. Ionckblo et' s Geschichte der niederländischen Literatur. Deutsch e ciutori-
sirte Ausgabe von Wilhelm Berg, mit einem Borwort von Dr. E. Martin, Pro¬
fessor in Freiburg. Leipzig. 1869.

Da unsere Brüder an der Mündung des Rheins, der Maas und der
Scheide sich bis jetzt hartnäckig gegen das sträuben, was ihnen Jacob Grimm
schon vor länger als zwanzig Jahren, in seiner Geschichte der deutschen
Sprache wohlwollend und prophetisch gerathen hat, nämlich sich wie alle an¬
deren Niederdeutschen der hochdeutschen Schriftsprache anzubequemen, unbe¬
schadet des literarischen Fortbestehens ihrer heimischen Mundart, so müssen
sie für das deutsche Publikum, das allenfalls das Plattdeutsche eines Fritz
Reuter, aber nicht die vielen und sonderbaren Eigenthümlichkeiten des Hol¬
ländischen und Vlaemischen zu bewältigen vermag, stets auf Dolmetscher be¬
dacht sein. Und doch würde es den meisten der eigentlich Gelehrten und
vielen belletristischen Schriftstellern in den nördlichen Niederlanden kaum
schwerer werden, sich geeigneten Falles hochdeutsch auszudrücken, als es etwa
einem gebornen Niedersachsen oder Westfalen oder ^ac einem Ostfriesen im
17. und 18. Jahrhundert wurde, zu einer Zeit, wo die Localmundarten im
Privatleben und im öffentlichen Verkehr noch eine so viel allgemeinere Herr¬
schaft als heute behaupteten. Denn heute denkt und schreibt selbstverständlich
auch z. B. ein Claus Groth oder ein Fritz Reuter bei aller Begeisterung
für die geliebte niederdeutsche "Muttersprache" doch zuerst in der wahren


von der Loire eine Armee zu bilden, die noch dazu ganz knegsungeübt sein
würde.

Unsere Politik kann die französische Revolution in Paris vorläufig nicht
beeinflussen, da bis jetzt Herr Favre denselben hochfahrenden Ton annimmt
wie der Bonapartismus, und wie der Orlecinismus es nach Ausweis des fast
kindischen Briefes des alten Guizot thut. So gehen wir ruhig vorwärts, und
wenn die gegenwärtige Regierung mit keinem Fußbreit französischen Bodens
den Frieden erkaufen will, so wird sich Frankreich gegenüber die Geschichte
der sybillinischen Bücher wiederholen und die Wasser der Invasion werden
steigen, bis eine Regierung da ist, die bereit ist, unsere Forderungen zu¬
zugestehen, und sähig, sie zu erfüllen.
10. Septbr. 1870.




Deutschland und die Niederlande in ihren ältesten literarischen
Beziehungen.

W. I. A. Ionckblo et' s Geschichte der niederländischen Literatur. Deutsch e ciutori-
sirte Ausgabe von Wilhelm Berg, mit einem Borwort von Dr. E. Martin, Pro¬
fessor in Freiburg. Leipzig. 1869.

Da unsere Brüder an der Mündung des Rheins, der Maas und der
Scheide sich bis jetzt hartnäckig gegen das sträuben, was ihnen Jacob Grimm
schon vor länger als zwanzig Jahren, in seiner Geschichte der deutschen
Sprache wohlwollend und prophetisch gerathen hat, nämlich sich wie alle an¬
deren Niederdeutschen der hochdeutschen Schriftsprache anzubequemen, unbe¬
schadet des literarischen Fortbestehens ihrer heimischen Mundart, so müssen
sie für das deutsche Publikum, das allenfalls das Plattdeutsche eines Fritz
Reuter, aber nicht die vielen und sonderbaren Eigenthümlichkeiten des Hol¬
ländischen und Vlaemischen zu bewältigen vermag, stets auf Dolmetscher be¬
dacht sein. Und doch würde es den meisten der eigentlich Gelehrten und
vielen belletristischen Schriftstellern in den nördlichen Niederlanden kaum
schwerer werden, sich geeigneten Falles hochdeutsch auszudrücken, als es etwa
einem gebornen Niedersachsen oder Westfalen oder ^ac einem Ostfriesen im
17. und 18. Jahrhundert wurde, zu einer Zeit, wo die Localmundarten im
Privatleben und im öffentlichen Verkehr noch eine so viel allgemeinere Herr¬
schaft als heute behaupteten. Denn heute denkt und schreibt selbstverständlich
auch z. B. ein Claus Groth oder ein Fritz Reuter bei aller Begeisterung
für die geliebte niederdeutsche „Muttersprache" doch zuerst in der wahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/473>, abgerufen am 29.06.2024.