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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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vornehmer Gönnermiene als schuldiger Tribut für die an der Spitze der
Cultur marschirende Turcosprache registrirt und im Stillen als langweilig,
steif und von Idiotismen wimmelnd ausgelacht zu werden.

Etwas anders verhält es sich mit der Sprache der südlichen Niederlande,
dem sogenannten Vlaemischen. Bekanntlich unterscheidet es sich von dem
Holländischen im Wesentlichen nur durch eine alterthümlichere und zugleich ein¬
fachere Orthographie. Einer Wiedervereinigung der beiden Idiome steht
sprachlich nichts im Wege, sobald nur dies äußere Hinderniß beseitigt ist.
Denn daß das Holländische im Durchschnitt mehr lateinische und französische
"Bastardwörter", wie man sie in den Niederlanden gern nennt, in sich auf¬
genommen hat, als das Vlaemische der gebildeten Schriftsteller unserer Tage,
begründet doch keinen specifischen Unterschied. Es käme nur darauf an, daß
für die Zukunft die Schriftsteller des Nordens dem guten Beispiele ihrer
Collegen im Süden folgten, und auch so ist es nichts auffallendes, wenn ein
Autor oder eine Gruppe davon vor der andern durch einen feineren
Sinn für die Reinheit der Sprache sich auszeichnet.

Aber selbst wenn die literarische Wiedervereinigung beider niederdeutscher
Schriftsprachen glücken und die Einheit wieder hergestellt werden sollte, die
bis zum 17. Jahrhundert bestanden hatte, so wäre damit nicht viel gewon¬
nen. Denn das "Dietsche", d. h. im englischen Sinne des Wortes DuteK
das Gemeinniederländische würde auch vereinigt weder zu dem Hochdeutschen
noch zu dem Französischen eine andere Stellung einnehmen als vereinzelt.
Und vielleicht dürfte es dann noch schwerer halten, wenigstens die nordnieder¬
ländische Literatur dermaleinst rückhaltlos in die deutsche einmünden zu lassen,
wie es Natur und Geschichte zu fordern scheinen. Nicht als wenn im Süden,
auf vlaemischem Boden, lebhaftere Sympathie für das Französische und Fran-
zosenthum anzutreffen wäre als im Norden. Es gibt ja keinen Fleck Erde,
Wo das "walsche Wesen" bitterer gehaßt würde als in Flandern, und man
hat sich hier trotz aller unleugbarer Antipathien gegen Preußen und Sym¬
pathien für Oestreich niemals bis zu jener selbstmörderischen Albernheit fort¬
reißen lassen, mit den Franzosen zu liebäugeln, blos um Bismarck zu ärgern
und zu erschrecken. Was man hier heute noch wie zur Zeit der Artevelde
"Fransquillons" nennt, löst sich von selbst aus dem Zusammenhang mit der
übrigen Nation und macht nicht Anspruch, gut niederländisch zu sein, was
doch immer jene holländischen Patrioten, die nach einer französischen Allianz
schreien, von sich behaupten. Entweder sind es geborne Franzosen, Aben¬
teurer, die in Belgien ihr Glück machen wollten und es nicht gemacht haben,
oder auch Eingeborene, denen das wirkliche oder vermeintliche Interesse ihres
Geldbeutels Alles ist und die Nationalität und Freiheit nichts. Nüben-
zuckerfabrikanten, Kohlenminenbesitzer !c. haben ausgerechnet, daß sie bei einer


vornehmer Gönnermiene als schuldiger Tribut für die an der Spitze der
Cultur marschirende Turcosprache registrirt und im Stillen als langweilig,
steif und von Idiotismen wimmelnd ausgelacht zu werden.

Etwas anders verhält es sich mit der Sprache der südlichen Niederlande,
dem sogenannten Vlaemischen. Bekanntlich unterscheidet es sich von dem
Holländischen im Wesentlichen nur durch eine alterthümlichere und zugleich ein¬
fachere Orthographie. Einer Wiedervereinigung der beiden Idiome steht
sprachlich nichts im Wege, sobald nur dies äußere Hinderniß beseitigt ist.
Denn daß das Holländische im Durchschnitt mehr lateinische und französische
»Bastardwörter", wie man sie in den Niederlanden gern nennt, in sich auf¬
genommen hat, als das Vlaemische der gebildeten Schriftsteller unserer Tage,
begründet doch keinen specifischen Unterschied. Es käme nur darauf an, daß
für die Zukunft die Schriftsteller des Nordens dem guten Beispiele ihrer
Collegen im Süden folgten, und auch so ist es nichts auffallendes, wenn ein
Autor oder eine Gruppe davon vor der andern durch einen feineren
Sinn für die Reinheit der Sprache sich auszeichnet.

Aber selbst wenn die literarische Wiedervereinigung beider niederdeutscher
Schriftsprachen glücken und die Einheit wieder hergestellt werden sollte, die
bis zum 17. Jahrhundert bestanden hatte, so wäre damit nicht viel gewon¬
nen. Denn das „Dietsche", d. h. im englischen Sinne des Wortes DuteK
das Gemeinniederländische würde auch vereinigt weder zu dem Hochdeutschen
noch zu dem Französischen eine andere Stellung einnehmen als vereinzelt.
Und vielleicht dürfte es dann noch schwerer halten, wenigstens die nordnieder¬
ländische Literatur dermaleinst rückhaltlos in die deutsche einmünden zu lassen,
wie es Natur und Geschichte zu fordern scheinen. Nicht als wenn im Süden,
auf vlaemischem Boden, lebhaftere Sympathie für das Französische und Fran-
zosenthum anzutreffen wäre als im Norden. Es gibt ja keinen Fleck Erde,
Wo das „walsche Wesen" bitterer gehaßt würde als in Flandern, und man
hat sich hier trotz aller unleugbarer Antipathien gegen Preußen und Sym¬
pathien für Oestreich niemals bis zu jener selbstmörderischen Albernheit fort¬
reißen lassen, mit den Franzosen zu liebäugeln, blos um Bismarck zu ärgern
und zu erschrecken. Was man hier heute noch wie zur Zeit der Artevelde
„Fransquillons" nennt, löst sich von selbst aus dem Zusammenhang mit der
übrigen Nation und macht nicht Anspruch, gut niederländisch zu sein, was
doch immer jene holländischen Patrioten, die nach einer französischen Allianz
schreien, von sich behaupten. Entweder sind es geborne Franzosen, Aben¬
teurer, die in Belgien ihr Glück machen wollten und es nicht gemacht haben,
oder auch Eingeborene, denen das wirkliche oder vermeintliche Interesse ihres
Geldbeutels Alles ist und die Nationalität und Freiheit nichts. Nüben-
zuckerfabrikanten, Kohlenminenbesitzer !c. haben ausgerechnet, daß sie bei einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/475>, abgerufen am 29.06.2024.