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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Verachtung und die Dynastie sank in den Staub der Verbannung; bei uns
blühten die alten Tage echter Größe wieder auf unter dem Anhauch frischer
Ehre, d"s Volk ruhte nicht, bis es die großen Fürsten und Helden unserer
Vorzeit zur Mitfeier seiner neuen Freude gezwungen. Der Anblick, den das
Friedrichsdenkmal gewährte, war über alle Beschreibung rührend und komisch
zugleich. Nachdem der erste Schusterjunge, der hinaufgeklettert war, um dem
alten Fritzen die Siegesdepesche in die Hand zu stecken, von der Königin
selbst für seinen prächtigen Einfall glänzend belohnt worden war, wimmelte
der ganze Bronzckoloß den Tag über von lebendigen Gestalten, sie stiegen
über die Schultern der Feldherrn empor, sie saßen mit Ziethen und Seydlitz
zu Pferde, sie setzten dem Könige selber Kränze auf Hut und Degen, um¬
wanden ihn und sein Roß mit Guirlanden und gaben ihm Fahnen unter
den Arm. Man konnte sich des Lachens nicht erwehren, ihn da neben den
preußischen und norddeutschen auch die schwarzrothgoldenen Farben führen
zu sehen; der alte böse Rebell gegen Kaiser und Reich ritt nun so fröhlich
mit dem Reichspanier daher -- und doch, wer hätte nicht dabei bewegt des
ernsten Sinnes gedacht, der unter diesem scheinbar gedankenlosen Spiel ver¬
borgen lag!

Daß neben dem großen Friedrich an jenem Tage auch die Helden der
Freiheitskriege reich geschmückt wurden, versteht sich von selbst; ja am Abend
kletterte auch zum großen Kurfürsten ein Knabe mit einem Licht in der
Hand hinauf, wohl ohne zu ahnen, daß der Mann, dessen eherne Züge er
beleuchtete, einst allen Zeitgenossen voran die Wacht am Rheine gegen den
Räuber Straßbourgs gehalten.

Von den Aeußerungen unserer Freude wende ich mich zu dem, was wir
eigentlich dabei gedacht haben. Da ist zunächst auffallend, aber natürlich,
daß diesmal von dem wundervollen Gange unserer militärischen Action fast
nirgends die Rede war, ganz anders wie nach der Schlacht bei Metz. Ein¬
mal aber waren unsere dem Ergebnisse von Sedan vorhergehenden Opera¬
tionen nur in den dürftigsten geographischen Umrissen aus den Berichten zu
entnehmen, dann ließ der diesmal unmittelbar und aufs greifbarste einge¬
tretene Erfolg alle Anstalten, deren es dazu bedurft hatte, vorläufig fast
vergessen. Was aber den Erfolg selbst betrifft, so war in seiner Schätzung
sogleich ein durchgreifender Unterschied zwischen der großen Menge und den
politisch Gebildeten bemerklich. Diese frohlockten, weil dem Feinde die letzte
schlagfertige Armee vernichtet worden war, die Gefangennahme des Kaisers
sahen sie vom ersten Augenblicke als nutzlos für uns an, vielleicht gar für
eine Verlegenheit; sie erkannten darin den schlauesten Rückzug, den der alte
Fuchs hatte nehmen können; an eine baldige Proclamirung der Republik
dachte, soviel man auch vor Wochen davon geredet, jetzt in Wahrheit kein


Verachtung und die Dynastie sank in den Staub der Verbannung; bei uns
blühten die alten Tage echter Größe wieder auf unter dem Anhauch frischer
Ehre, d«s Volk ruhte nicht, bis es die großen Fürsten und Helden unserer
Vorzeit zur Mitfeier seiner neuen Freude gezwungen. Der Anblick, den das
Friedrichsdenkmal gewährte, war über alle Beschreibung rührend und komisch
zugleich. Nachdem der erste Schusterjunge, der hinaufgeklettert war, um dem
alten Fritzen die Siegesdepesche in die Hand zu stecken, von der Königin
selbst für seinen prächtigen Einfall glänzend belohnt worden war, wimmelte
der ganze Bronzckoloß den Tag über von lebendigen Gestalten, sie stiegen
über die Schultern der Feldherrn empor, sie saßen mit Ziethen und Seydlitz
zu Pferde, sie setzten dem Könige selber Kränze auf Hut und Degen, um¬
wanden ihn und sein Roß mit Guirlanden und gaben ihm Fahnen unter
den Arm. Man konnte sich des Lachens nicht erwehren, ihn da neben den
preußischen und norddeutschen auch die schwarzrothgoldenen Farben führen
zu sehen; der alte böse Rebell gegen Kaiser und Reich ritt nun so fröhlich
mit dem Reichspanier daher — und doch, wer hätte nicht dabei bewegt des
ernsten Sinnes gedacht, der unter diesem scheinbar gedankenlosen Spiel ver¬
borgen lag!

Daß neben dem großen Friedrich an jenem Tage auch die Helden der
Freiheitskriege reich geschmückt wurden, versteht sich von selbst; ja am Abend
kletterte auch zum großen Kurfürsten ein Knabe mit einem Licht in der
Hand hinauf, wohl ohne zu ahnen, daß der Mann, dessen eherne Züge er
beleuchtete, einst allen Zeitgenossen voran die Wacht am Rheine gegen den
Räuber Straßbourgs gehalten.

Von den Aeußerungen unserer Freude wende ich mich zu dem, was wir
eigentlich dabei gedacht haben. Da ist zunächst auffallend, aber natürlich,
daß diesmal von dem wundervollen Gange unserer militärischen Action fast
nirgends die Rede war, ganz anders wie nach der Schlacht bei Metz. Ein¬
mal aber waren unsere dem Ergebnisse von Sedan vorhergehenden Opera¬
tionen nur in den dürftigsten geographischen Umrissen aus den Berichten zu
entnehmen, dann ließ der diesmal unmittelbar und aufs greifbarste einge¬
tretene Erfolg alle Anstalten, deren es dazu bedurft hatte, vorläufig fast
vergessen. Was aber den Erfolg selbst betrifft, so war in seiner Schätzung
sogleich ein durchgreifender Unterschied zwischen der großen Menge und den
politisch Gebildeten bemerklich. Diese frohlockten, weil dem Feinde die letzte
schlagfertige Armee vernichtet worden war, die Gefangennahme des Kaisers
sahen sie vom ersten Augenblicke als nutzlos für uns an, vielleicht gar für
eine Verlegenheit; sie erkannten darin den schlauesten Rückzug, den der alte
Fuchs hatte nehmen können; an eine baldige Proclamirung der Republik
dachte, soviel man auch vor Wochen davon geredet, jetzt in Wahrheit kein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/467>, abgerufen am 29.06.2024.