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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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während unsere dritte Armee, wie man wähnte, sorglos weiter nach Paris
zog? Erst der Hinweis auf die bewährte Kunst unserer Führer, die das doch
alles besser wissen mußten, als wir. auf ihre nothwendige schon so oft segens¬
reiche Verschwiegenheit vor dem Handeln, diente einigermaßen, unser Publi-
cum zu beruhigen. Zwar gab es auch einige, die von unbedingtem Vertrauen
in unsere Führung nichts mehr wissen wollten. Der Name Moltke freilich
behielt durchaus seinen alten Zauber. Nicht so glimpflich kamen dagegen
die Einzelbefehlshaber fort; die Gerüchte, daß Steinmetz sein Commando ver¬
loren habe oder doch darin beschränkt worden sei, sind bekanntlich selbst in
die Presse gedrungen; sonst gut unterrichtete Leute versicherten, Moltke habe
die ganze Schlacht bei Metz am töten schlagen wollen, Steinmetz sei am
14ten zu früh nach alter Gewohnheit auf eigene Faust losgerückt und habe
so aus einem einzigen Schlachtage drei gemacht. Ich erwähne das nicht, um
mir irgend ein zustimmendes oder absprechendes Urtheil darüber anzumaßen,
-- wer vermöchte das jetzt und von hier aus? -- vielwehr nur als Symp¬
tom der Stimmung jener Tage; ^denn wir Menschen sind einmal gewohnt,
das Leid, das uns trifft, durch Nachgrübeln über seine möglichen Ursachen
ein wenig von unserem Haupte zu lüften. Und wer will am Ende die An¬
klage erheben wider den Schmerz eines Volkes, das den Blutverlust des
Kriegs an seinem edlen Leibe empfindet vom Haupte bis zum geringsten
Gliede herab? Aufs neue nur sind wir inne geworden, daß wir mit unserer
Wehrverfassung niemals einen leichtfertigen, willkürlichen Krieg führen könnten.
Nur um der heiligsten Pflicht willen können solche Opfer gebracht werden,
nur der Erwerb oder der Schutz der höchsten Güter ist sie werth, kann unser
Herz über sie tröstend hinwegsehen.

Kein Wunder daher, daß der Einzug einer Anzahl eroberter Geschütze,
der noch in die erste Woche siel, noch nicht im Stande war, den alten Jubel
wieder zu erwecken. Um solch äußere Zeichen des Erfolges allein kämpft
kein deutsches Heer, auf sie allein könnte kein deutsches Volk mit befriedigten
Stolze blicken. Die Geschütze wurden ziemlich still empfangen, wohl zumeist,
weil sie nicht von den siegreichen Streitern selbst, sondern von hiesigen Ersatz¬
truppen geleitet wurden. Natürlich drängten sich jedoch nach ihrer Aufstellung
im Lustgarten trotzdem Tausende neugierig plaudernd umher; besonders die
Mitrailleusen wurden mit geschäftigem Interesse betrachtet, besprochen und
betastet. Man wunderte sich, sie äußerlich den Kanonen so ähnlich zu finden.
An allen klebte noch ein gut Theil von der aufgeweichten Erde der Wahlstatt,
ja manche ernstberedte Blutspur war daran zu entdecken.

Inzwischen rüstete man sich bei den Ersatzbataillonen zum Ausmarsche,
es kam zu neuen Abschiedsscenen. Zugleich gab die Meldung von der Auf.
Stellung von Reservearmeen, sowie ein und das andere falsche Gerücht über


während unsere dritte Armee, wie man wähnte, sorglos weiter nach Paris
zog? Erst der Hinweis auf die bewährte Kunst unserer Führer, die das doch
alles besser wissen mußten, als wir. auf ihre nothwendige schon so oft segens¬
reiche Verschwiegenheit vor dem Handeln, diente einigermaßen, unser Publi-
cum zu beruhigen. Zwar gab es auch einige, die von unbedingtem Vertrauen
in unsere Führung nichts mehr wissen wollten. Der Name Moltke freilich
behielt durchaus seinen alten Zauber. Nicht so glimpflich kamen dagegen
die Einzelbefehlshaber fort; die Gerüchte, daß Steinmetz sein Commando ver¬
loren habe oder doch darin beschränkt worden sei, sind bekanntlich selbst in
die Presse gedrungen; sonst gut unterrichtete Leute versicherten, Moltke habe
die ganze Schlacht bei Metz am töten schlagen wollen, Steinmetz sei am
14ten zu früh nach alter Gewohnheit auf eigene Faust losgerückt und habe
so aus einem einzigen Schlachtage drei gemacht. Ich erwähne das nicht, um
mir irgend ein zustimmendes oder absprechendes Urtheil darüber anzumaßen,
— wer vermöchte das jetzt und von hier aus? — vielwehr nur als Symp¬
tom der Stimmung jener Tage; ^denn wir Menschen sind einmal gewohnt,
das Leid, das uns trifft, durch Nachgrübeln über seine möglichen Ursachen
ein wenig von unserem Haupte zu lüften. Und wer will am Ende die An¬
klage erheben wider den Schmerz eines Volkes, das den Blutverlust des
Kriegs an seinem edlen Leibe empfindet vom Haupte bis zum geringsten
Gliede herab? Aufs neue nur sind wir inne geworden, daß wir mit unserer
Wehrverfassung niemals einen leichtfertigen, willkürlichen Krieg führen könnten.
Nur um der heiligsten Pflicht willen können solche Opfer gebracht werden,
nur der Erwerb oder der Schutz der höchsten Güter ist sie werth, kann unser
Herz über sie tröstend hinwegsehen.

Kein Wunder daher, daß der Einzug einer Anzahl eroberter Geschütze,
der noch in die erste Woche siel, noch nicht im Stande war, den alten Jubel
wieder zu erwecken. Um solch äußere Zeichen des Erfolges allein kämpft
kein deutsches Heer, auf sie allein könnte kein deutsches Volk mit befriedigten
Stolze blicken. Die Geschütze wurden ziemlich still empfangen, wohl zumeist,
weil sie nicht von den siegreichen Streitern selbst, sondern von hiesigen Ersatz¬
truppen geleitet wurden. Natürlich drängten sich jedoch nach ihrer Aufstellung
im Lustgarten trotzdem Tausende neugierig plaudernd umher; besonders die
Mitrailleusen wurden mit geschäftigem Interesse betrachtet, besprochen und
betastet. Man wunderte sich, sie äußerlich den Kanonen so ähnlich zu finden.
An allen klebte noch ein gut Theil von der aufgeweichten Erde der Wahlstatt,
ja manche ernstberedte Blutspur war daran zu entdecken.

Inzwischen rüstete man sich bei den Ersatzbataillonen zum Ausmarsche,
es kam zu neuen Abschiedsscenen. Zugleich gab die Meldung von der Auf.
Stellung von Reservearmeen, sowie ein und das andere falsche Gerücht über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/465>, abgerufen am 29.06.2024.