Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dunkel wieder zu erleuchten vermöchten; daß sie so schnell, so glänzend her¬
einbrechen würden, wer hätte das im kühnsten Traume zu hoffen gewagt?

Unser Trübsinn war mehr als gerechtfertigt. Man hatte gewußt, daß
unsere Siege bei Metz entsetzlich blutig gewesen seien, man hatte schon aus
den Zeitungen zitternd von einem und dem anderen Regiments gelesen, das
vorzugsweise gelitten habe. Nun aber kam erst mit den Verlustlisten für die
einzelnen Familien die ganze bittere Gewißheit, die Pein der Wartestunden
löste sich auf in die ungehemmten Thränen zweifelloser Wehmuth. Die Stra¬
ßen waren mit Trauernden erfüllt, ich habe niemanden gesprochen, der nicht
wenigstens einen guten Freund, einen lieben Bekannten verloren hätte. Man
gedachte des ganzen Werthes der Gefallenen, nachrühmende Liebe hob ihn
noch reiner, noch voller heraus, "ja, der Krieg verschlingt die Besten!" das
war in aller Herzen lebendig. Man hielt sich wieder im Hause in stillen Gesprä¬
chen zurück, man lief nicht mehr umher nach neuen Nachrichten begierig, die
vielleicht neue Trübsal bringen konnten; von energischen Männern konnte man
hören, sie würden sich über weitere Siege nicht mehr von ganzer Seele freuen
können. Traurig dumpf klangen durch die stürmischen Abende über die öden,
nassen Straßen her die Probeschüsse des schweren Geschützes, das man für
Straßburg hier versuchte.

Auch was nun doch von Neuigkeiten uns zukam, war nicht geeignet,
unsere Blicke zu erhellen. Vor allem eben Straßburg's Loos erfüllte uns
mit gesteigerter Erbitterung gegen die Ruchlosen, die all' das Elend verschul¬
det, mit doppeltem Jammer über eine so verblendete, so ziellose Tapferkeit
unserer halsstarrigen Feinde. Wenige vielleicht wußten, welche Schätze an
echt deutschen Werken, an einzigen Flugschriften aus der Reformations¬
zeit und dem dreißigjährigen Kriege mit der alten Bibliothek zu Grunde ge¬
gangen sind, aber die Gefahr des Münsters stand jedermann vor Augen;
selbst im Gesänge der Volkshaufen in den Straßen an den letzten Freuden¬
tagen ward die Wacht am Rhein bisweilen abgelöst durch das schwermüthige
Soldatenlied: "O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!" Aber
was sind Bücher, was wunderschöne Gebäude werth gegen Menschenleben!
"Das Münster können wir schon wieder aufbauen," hieß es oft, "wer aber
führt die Greuel, die den Lebendigen widerfahren?!" Es war vielen eine
Hauptfreude an der Capitulation von Sedan, daß sie nun hofften, wiewohl
bis jetzt leider irrig, die Noth von Metz und Straßburg, die wir zudem
dereinst die unseren nennen möchten, dadurch abgekürzt zu sehn.

Auch in die Zukunft blickte mancher bänglich. Der große Retterplan
Mac Mahon's, von dem die französischen Blätter mit so vielsagenden geheim¬
nißvollen Andeutungen sprachen, schien die theuer erkaufte Siegesfreude über,
Metz noch bedenklicher zu schmälern. Wie, wenn ihm der Entsatz gelang


Dunkel wieder zu erleuchten vermöchten; daß sie so schnell, so glänzend her¬
einbrechen würden, wer hätte das im kühnsten Traume zu hoffen gewagt?

Unser Trübsinn war mehr als gerechtfertigt. Man hatte gewußt, daß
unsere Siege bei Metz entsetzlich blutig gewesen seien, man hatte schon aus
den Zeitungen zitternd von einem und dem anderen Regiments gelesen, das
vorzugsweise gelitten habe. Nun aber kam erst mit den Verlustlisten für die
einzelnen Familien die ganze bittere Gewißheit, die Pein der Wartestunden
löste sich auf in die ungehemmten Thränen zweifelloser Wehmuth. Die Stra¬
ßen waren mit Trauernden erfüllt, ich habe niemanden gesprochen, der nicht
wenigstens einen guten Freund, einen lieben Bekannten verloren hätte. Man
gedachte des ganzen Werthes der Gefallenen, nachrühmende Liebe hob ihn
noch reiner, noch voller heraus, „ja, der Krieg verschlingt die Besten!" das
war in aller Herzen lebendig. Man hielt sich wieder im Hause in stillen Gesprä¬
chen zurück, man lief nicht mehr umher nach neuen Nachrichten begierig, die
vielleicht neue Trübsal bringen konnten; von energischen Männern konnte man
hören, sie würden sich über weitere Siege nicht mehr von ganzer Seele freuen
können. Traurig dumpf klangen durch die stürmischen Abende über die öden,
nassen Straßen her die Probeschüsse des schweren Geschützes, das man für
Straßburg hier versuchte.

Auch was nun doch von Neuigkeiten uns zukam, war nicht geeignet,
unsere Blicke zu erhellen. Vor allem eben Straßburg's Loos erfüllte uns
mit gesteigerter Erbitterung gegen die Ruchlosen, die all' das Elend verschul¬
det, mit doppeltem Jammer über eine so verblendete, so ziellose Tapferkeit
unserer halsstarrigen Feinde. Wenige vielleicht wußten, welche Schätze an
echt deutschen Werken, an einzigen Flugschriften aus der Reformations¬
zeit und dem dreißigjährigen Kriege mit der alten Bibliothek zu Grunde ge¬
gangen sind, aber die Gefahr des Münsters stand jedermann vor Augen;
selbst im Gesänge der Volkshaufen in den Straßen an den letzten Freuden¬
tagen ward die Wacht am Rhein bisweilen abgelöst durch das schwermüthige
Soldatenlied: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!" Aber
was sind Bücher, was wunderschöne Gebäude werth gegen Menschenleben!
„Das Münster können wir schon wieder aufbauen," hieß es oft, „wer aber
führt die Greuel, die den Lebendigen widerfahren?!" Es war vielen eine
Hauptfreude an der Capitulation von Sedan, daß sie nun hofften, wiewohl
bis jetzt leider irrig, die Noth von Metz und Straßburg, die wir zudem
dereinst die unseren nennen möchten, dadurch abgekürzt zu sehn.

Auch in die Zukunft blickte mancher bänglich. Der große Retterplan
Mac Mahon's, von dem die französischen Blätter mit so vielsagenden geheim¬
nißvollen Andeutungen sprachen, schien die theuer erkaufte Siegesfreude über,
Metz noch bedenklicher zu schmälern. Wie, wenn ihm der Entsatz gelang


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124614"/>
            <p xml:id="ID_1345" prev="#ID_1344"> Dunkel wieder zu erleuchten vermöchten; daß sie so schnell, so glänzend her¬<lb/>
einbrechen würden, wer hätte das im kühnsten Traume zu hoffen gewagt?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1346"> Unser Trübsinn war mehr als gerechtfertigt. Man hatte gewußt, daß<lb/>
unsere Siege bei Metz entsetzlich blutig gewesen seien, man hatte schon aus<lb/>
den Zeitungen zitternd von einem und dem anderen Regiments gelesen, das<lb/>
vorzugsweise gelitten habe. Nun aber kam erst mit den Verlustlisten für die<lb/>
einzelnen Familien die ganze bittere Gewißheit, die Pein der Wartestunden<lb/>
löste sich auf in die ungehemmten Thränen zweifelloser Wehmuth. Die Stra¬<lb/>
ßen waren mit Trauernden erfüllt, ich habe niemanden gesprochen, der nicht<lb/>
wenigstens einen guten Freund, einen lieben Bekannten verloren hätte. Man<lb/>
gedachte des ganzen Werthes der Gefallenen, nachrühmende Liebe hob ihn<lb/>
noch reiner, noch voller heraus, &#x201E;ja, der Krieg verschlingt die Besten!" das<lb/>
war in aller Herzen lebendig. Man hielt sich wieder im Hause in stillen Gesprä¬<lb/>
chen zurück, man lief nicht mehr umher nach neuen Nachrichten begierig, die<lb/>
vielleicht neue Trübsal bringen konnten; von energischen Männern konnte man<lb/>
hören, sie würden sich über weitere Siege nicht mehr von ganzer Seele freuen<lb/>
können. Traurig dumpf klangen durch die stürmischen Abende über die öden,<lb/>
nassen Straßen her die Probeschüsse des schweren Geschützes, das man für<lb/>
Straßburg hier versuchte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1347"> Auch was nun doch von Neuigkeiten uns zukam, war nicht geeignet,<lb/>
unsere Blicke zu erhellen. Vor allem eben Straßburg's Loos erfüllte uns<lb/>
mit gesteigerter Erbitterung gegen die Ruchlosen, die all' das Elend verschul¬<lb/>
det, mit doppeltem Jammer über eine so verblendete, so ziellose Tapferkeit<lb/>
unserer halsstarrigen Feinde. Wenige vielleicht wußten, welche Schätze an<lb/>
echt deutschen Werken, an einzigen Flugschriften aus der Reformations¬<lb/>
zeit und dem dreißigjährigen Kriege mit der alten Bibliothek zu Grunde ge¬<lb/>
gangen sind, aber die Gefahr des Münsters stand jedermann vor Augen;<lb/>
selbst im Gesänge der Volkshaufen in den Straßen an den letzten Freuden¬<lb/>
tagen ward die Wacht am Rhein bisweilen abgelöst durch das schwermüthige<lb/>
Soldatenlied: &#x201E;O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!" Aber<lb/>
was sind Bücher, was wunderschöne Gebäude werth gegen Menschenleben!<lb/>
&#x201E;Das Münster können wir schon wieder aufbauen," hieß es oft, &#x201E;wer aber<lb/>
führt die Greuel, die den Lebendigen widerfahren?!" Es war vielen eine<lb/>
Hauptfreude an der Capitulation von Sedan, daß sie nun hofften, wiewohl<lb/>
bis jetzt leider irrig, die Noth von Metz und Straßburg, die wir zudem<lb/>
dereinst die unseren nennen möchten, dadurch abgekürzt zu sehn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Auch in die Zukunft blickte mancher bänglich. Der große Retterplan<lb/>
Mac Mahon's, von dem die französischen Blätter mit so vielsagenden geheim¬<lb/>
nißvollen Andeutungen sprachen, schien die theuer erkaufte Siegesfreude über,<lb/>
Metz noch bedenklicher zu schmälern.  Wie, wenn ihm der Entsatz gelang</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0464] Dunkel wieder zu erleuchten vermöchten; daß sie so schnell, so glänzend her¬ einbrechen würden, wer hätte das im kühnsten Traume zu hoffen gewagt? Unser Trübsinn war mehr als gerechtfertigt. Man hatte gewußt, daß unsere Siege bei Metz entsetzlich blutig gewesen seien, man hatte schon aus den Zeitungen zitternd von einem und dem anderen Regiments gelesen, das vorzugsweise gelitten habe. Nun aber kam erst mit den Verlustlisten für die einzelnen Familien die ganze bittere Gewißheit, die Pein der Wartestunden löste sich auf in die ungehemmten Thränen zweifelloser Wehmuth. Die Stra¬ ßen waren mit Trauernden erfüllt, ich habe niemanden gesprochen, der nicht wenigstens einen guten Freund, einen lieben Bekannten verloren hätte. Man gedachte des ganzen Werthes der Gefallenen, nachrühmende Liebe hob ihn noch reiner, noch voller heraus, „ja, der Krieg verschlingt die Besten!" das war in aller Herzen lebendig. Man hielt sich wieder im Hause in stillen Gesprä¬ chen zurück, man lief nicht mehr umher nach neuen Nachrichten begierig, die vielleicht neue Trübsal bringen konnten; von energischen Männern konnte man hören, sie würden sich über weitere Siege nicht mehr von ganzer Seele freuen können. Traurig dumpf klangen durch die stürmischen Abende über die öden, nassen Straßen her die Probeschüsse des schweren Geschützes, das man für Straßburg hier versuchte. Auch was nun doch von Neuigkeiten uns zukam, war nicht geeignet, unsere Blicke zu erhellen. Vor allem eben Straßburg's Loos erfüllte uns mit gesteigerter Erbitterung gegen die Ruchlosen, die all' das Elend verschul¬ det, mit doppeltem Jammer über eine so verblendete, so ziellose Tapferkeit unserer halsstarrigen Feinde. Wenige vielleicht wußten, welche Schätze an echt deutschen Werken, an einzigen Flugschriften aus der Reformations¬ zeit und dem dreißigjährigen Kriege mit der alten Bibliothek zu Grunde ge¬ gangen sind, aber die Gefahr des Münsters stand jedermann vor Augen; selbst im Gesänge der Volkshaufen in den Straßen an den letzten Freuden¬ tagen ward die Wacht am Rhein bisweilen abgelöst durch das schwermüthige Soldatenlied: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!" Aber was sind Bücher, was wunderschöne Gebäude werth gegen Menschenleben! „Das Münster können wir schon wieder aufbauen," hieß es oft, „wer aber führt die Greuel, die den Lebendigen widerfahren?!" Es war vielen eine Hauptfreude an der Capitulation von Sedan, daß sie nun hofften, wiewohl bis jetzt leider irrig, die Noth von Metz und Straßburg, die wir zudem dereinst die unseren nennen möchten, dadurch abgekürzt zu sehn. Auch in die Zukunft blickte mancher bänglich. Der große Retterplan Mac Mahon's, von dem die französischen Blätter mit so vielsagenden geheim¬ nißvollen Andeutungen sprachen, schien die theuer erkaufte Siegesfreude über, Metz noch bedenklicher zu schmälern. Wie, wenn ihm der Entsatz gelang

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/464
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/464>, abgerufen am 29.06.2024.