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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dem Widerstand abgesehen, dem er in Deutsch-Oestreich begegnete, dock auch
selbst das Bedürfniß empfand, nicht zuerst und allein das unausbleibliche
Odium zu tragen. Das bedeutete die Sendung seines Geistes- und Gesin¬
nungsgenossen, des Grafen Vitzthum, nach Florenz. Unter dem ostensibeln
Namen einer "Liga der Neutralen", um den Krieg zu localisiren und seiner
Zeit einzuhemmen, verbargen sich positive Vorschläge ganz anderer Art, welche
für gewisse Eventualitäten ein gemeinsames Eintreten der beiden Mächte in
die Action bezweckten. Während die "Presse" in offiziösen Artikeln von den
Anstrengungen des Reichskanzlers zu berichten wußte, die italienische Regierung
bei der stricten Neutralität festzuhalten, war ganz im Gegentheil der ita¬
lienische Minister in der Lage, den leise herausgestrcckten Fühlern und be¬
stimmteren Winken des Grafen Vitzthum auszuweichen. Auch hier verfuhr Vis¬
conti nicht ohne Geschick. Die Idee einer Liga der Neutralen ergriff er mit
vielem Eifer und zog sogleich die Vertreter von England und Rußland mit
in die Verhandlung (beide Regierungen verfolgten dieselbe damals, wie man
weiß, nicht weiter): allein für weitergehende bindende Verpflichtungen erwies
er sich zögernd, zurückhaltend, unzugänglich. Graf Vitzthum reiste nach Rom
weiter, ohne irgend eine Zusage erlangen zu können, ohne es auch nur zu
einer genauen Formulirung seiner Vorschläge gebracht zu haben.

Das Uebrige thaten die deutschen Siege. Wer am Tage der Schlacht
bei Wörth in Florenz war, wird die dort gehabten Eindrücke nicht vergessen.
Am Abend des 6. schon war die Stadt in Bewegung. Die Abendzeitungen
brachten Andeutungen von Gerüchten ernster Art, welche umgingen und nur
mit Mißtrauen aufzunehmen seien, keine genauere Angabe. Ein Consorten-
blatt, die "Gazetta d'Italia", verrieth, daß der französische Gesandte Baron
Malaret (der schon während der letzten Wochen das auswärtige Amt förm¬
lich belagerte) seit einigen Stunden eine Conserenz mit den Ministern Lanza,
Visconti, Sella und Govone im Palazzo Vecchio halte, die über wichtige
Dinge entscheiden werde. Niemand wußte Näheres, aber der deutsche Sieg
war auf allen Zungen; ja er wurde bereits von einer Gesellschaft Floren¬
tiner Gesellen und Arbeiter mit einem improvisirten Gelage gefeiert. -- Es
ist völlig erwiesen, daß die officielle Mittheilung des erfochtenen Sieges schon
am Abend in Florenz eingetroffen und -- auf Malarets Begehren -- ganze
vierzehn Stunden der Hauptstadt vorenthalten worden ist. Erst am Sonn¬
tag Morgen -- welch ein Sonntag! -- ward sie den Blättern zugeschickt
und am Vormittag in allen Straßen "la, seonütta asi lraneesi" ausgerufen.
Der Eindruck des lakonischer Telegramms des Kronprinzen war ungeheuer.
Ueberall auf den Plätzen und Straßen belebte Gruppen, frohe Gesichter,
eifrige Discussionen über die Folgen des Sieges: denn der "Gott Mars"
der Franzosen war ja geschlagen! Man begrüßte sich, man beglückwünschte


dem Widerstand abgesehen, dem er in Deutsch-Oestreich begegnete, dock auch
selbst das Bedürfniß empfand, nicht zuerst und allein das unausbleibliche
Odium zu tragen. Das bedeutete die Sendung seines Geistes- und Gesin¬
nungsgenossen, des Grafen Vitzthum, nach Florenz. Unter dem ostensibeln
Namen einer „Liga der Neutralen", um den Krieg zu localisiren und seiner
Zeit einzuhemmen, verbargen sich positive Vorschläge ganz anderer Art, welche
für gewisse Eventualitäten ein gemeinsames Eintreten der beiden Mächte in
die Action bezweckten. Während die „Presse" in offiziösen Artikeln von den
Anstrengungen des Reichskanzlers zu berichten wußte, die italienische Regierung
bei der stricten Neutralität festzuhalten, war ganz im Gegentheil der ita¬
lienische Minister in der Lage, den leise herausgestrcckten Fühlern und be¬
stimmteren Winken des Grafen Vitzthum auszuweichen. Auch hier verfuhr Vis¬
conti nicht ohne Geschick. Die Idee einer Liga der Neutralen ergriff er mit
vielem Eifer und zog sogleich die Vertreter von England und Rußland mit
in die Verhandlung (beide Regierungen verfolgten dieselbe damals, wie man
weiß, nicht weiter): allein für weitergehende bindende Verpflichtungen erwies
er sich zögernd, zurückhaltend, unzugänglich. Graf Vitzthum reiste nach Rom
weiter, ohne irgend eine Zusage erlangen zu können, ohne es auch nur zu
einer genauen Formulirung seiner Vorschläge gebracht zu haben.

Das Uebrige thaten die deutschen Siege. Wer am Tage der Schlacht
bei Wörth in Florenz war, wird die dort gehabten Eindrücke nicht vergessen.
Am Abend des 6. schon war die Stadt in Bewegung. Die Abendzeitungen
brachten Andeutungen von Gerüchten ernster Art, welche umgingen und nur
mit Mißtrauen aufzunehmen seien, keine genauere Angabe. Ein Consorten-
blatt, die „Gazetta d'Italia", verrieth, daß der französische Gesandte Baron
Malaret (der schon während der letzten Wochen das auswärtige Amt förm¬
lich belagerte) seit einigen Stunden eine Conserenz mit den Ministern Lanza,
Visconti, Sella und Govone im Palazzo Vecchio halte, die über wichtige
Dinge entscheiden werde. Niemand wußte Näheres, aber der deutsche Sieg
war auf allen Zungen; ja er wurde bereits von einer Gesellschaft Floren¬
tiner Gesellen und Arbeiter mit einem improvisirten Gelage gefeiert. — Es
ist völlig erwiesen, daß die officielle Mittheilung des erfochtenen Sieges schon
am Abend in Florenz eingetroffen und — auf Malarets Begehren — ganze
vierzehn Stunden der Hauptstadt vorenthalten worden ist. Erst am Sonn¬
tag Morgen — welch ein Sonntag! — ward sie den Blättern zugeschickt
und am Vormittag in allen Straßen „la, seonütta asi lraneesi" ausgerufen.
Der Eindruck des lakonischer Telegramms des Kronprinzen war ungeheuer.
Ueberall auf den Plätzen und Straßen belebte Gruppen, frohe Gesichter,
eifrige Discussionen über die Folgen des Sieges: denn der „Gott Mars"
der Franzosen war ja geschlagen! Man begrüßte sich, man beglückwünschte


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[0459] dem Widerstand abgesehen, dem er in Deutsch-Oestreich begegnete, dock auch selbst das Bedürfniß empfand, nicht zuerst und allein das unausbleibliche Odium zu tragen. Das bedeutete die Sendung seines Geistes- und Gesin¬ nungsgenossen, des Grafen Vitzthum, nach Florenz. Unter dem ostensibeln Namen einer „Liga der Neutralen", um den Krieg zu localisiren und seiner Zeit einzuhemmen, verbargen sich positive Vorschläge ganz anderer Art, welche für gewisse Eventualitäten ein gemeinsames Eintreten der beiden Mächte in die Action bezweckten. Während die „Presse" in offiziösen Artikeln von den Anstrengungen des Reichskanzlers zu berichten wußte, die italienische Regierung bei der stricten Neutralität festzuhalten, war ganz im Gegentheil der ita¬ lienische Minister in der Lage, den leise herausgestrcckten Fühlern und be¬ stimmteren Winken des Grafen Vitzthum auszuweichen. Auch hier verfuhr Vis¬ conti nicht ohne Geschick. Die Idee einer Liga der Neutralen ergriff er mit vielem Eifer und zog sogleich die Vertreter von England und Rußland mit in die Verhandlung (beide Regierungen verfolgten dieselbe damals, wie man weiß, nicht weiter): allein für weitergehende bindende Verpflichtungen erwies er sich zögernd, zurückhaltend, unzugänglich. Graf Vitzthum reiste nach Rom weiter, ohne irgend eine Zusage erlangen zu können, ohne es auch nur zu einer genauen Formulirung seiner Vorschläge gebracht zu haben. Das Uebrige thaten die deutschen Siege. Wer am Tage der Schlacht bei Wörth in Florenz war, wird die dort gehabten Eindrücke nicht vergessen. Am Abend des 6. schon war die Stadt in Bewegung. Die Abendzeitungen brachten Andeutungen von Gerüchten ernster Art, welche umgingen und nur mit Mißtrauen aufzunehmen seien, keine genauere Angabe. Ein Consorten- blatt, die „Gazetta d'Italia", verrieth, daß der französische Gesandte Baron Malaret (der schon während der letzten Wochen das auswärtige Amt förm¬ lich belagerte) seit einigen Stunden eine Conserenz mit den Ministern Lanza, Visconti, Sella und Govone im Palazzo Vecchio halte, die über wichtige Dinge entscheiden werde. Niemand wußte Näheres, aber der deutsche Sieg war auf allen Zungen; ja er wurde bereits von einer Gesellschaft Floren¬ tiner Gesellen und Arbeiter mit einem improvisirten Gelage gefeiert. — Es ist völlig erwiesen, daß die officielle Mittheilung des erfochtenen Sieges schon am Abend in Florenz eingetroffen und — auf Malarets Begehren — ganze vierzehn Stunden der Hauptstadt vorenthalten worden ist. Erst am Sonn¬ tag Morgen — welch ein Sonntag! — ward sie den Blättern zugeschickt und am Vormittag in allen Straßen „la, seonütta asi lraneesi" ausgerufen. Der Eindruck des lakonischer Telegramms des Kronprinzen war ungeheuer. Ueberall auf den Plätzen und Straßen belebte Gruppen, frohe Gesichter, eifrige Discussionen über die Folgen des Sieges: denn der „Gott Mars" der Franzosen war ja geschlagen! Man begrüßte sich, man beglückwünschte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/459>, abgerufen am 29.06.2024.