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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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war im Grunde froh, diesen Beschwerdepunkt gegen Frankreich sich immer
offen zu halten, der ihr selbst zu einer gelegenerer Zeit die ganze Freiheit
des Handelns zurückgab. Sie hatte sich begnügt, einigemal bescheidene Vor¬
stellungen in Paris zu machen, nur um den Schein zu wahren: eilte es ihr
doch auch mit der Lösung der römischen Frage gar nicht. In diesem
Augenblick aber erschien das plötzliche Zurückziehen der Besatzung, wenngleich
durch das Kriegsbedürfniß motivirt, als eine wichtige Concession an Italien,
und in diesem Sinne wußte auch die kaiserliche Regierung die Maßregel zu
verwerthen. Sie stellte der italienischen -- wir berichten ein uns wohlver¬
bürgtes Factum -- die klugberechnete Alternative: Rückkehr zur September-
Convention oder Allianz gegen Preußen um den Preis des Kirchenstaates.

Das Ministerium entschloß sich zum Ersten. Es war kein leichter Schritt,
die verhaßte Convention wiederherzustellen, nachdem sie ein werthloses Stück
Papier geworden war; die unklaren und theilweise unerfüllbaren Verpflich¬
tungen mit Bewußtsein ciuss Neue übernehmen, in deren Verurthetlung jetzt
alle Parteien einig waren, hieß der öffentlichen Meinung ins Gesicht schlagen.
Wenn dennoch Visconti, dem französischen Druck so weit nachgebend diesen
Schritt that und sofort dem Parlament anzeigte, so lieferte er damit indirect
eine werthvolle Bürgschaft für den Ernst der Regierung, im Kriege neutral
zu bleiben. Durch die Erneuerung des Septembervertrags war der einzig
denkbare Preis einer Allianz mit Frankreich, mithin die Allianz selbst in
weite Ferne gerückt. Bei dieser Erkenntniß beruhigte denn auch die Natio¬
nalpartei sich schneller, als die Proteste einiger Exaltirter im Parlament er¬
warten ließen.

Aber war Italien auch stark genug, seine Neutralität nötigenfalls zu
vertheidigen? Die Frage, welche der Schweiz und Belgien so wenig Schwie¬
rigkeit gemacht hat, schien für Italien durchaus keine müssige, sie ist alles
Ernstes im Ministerium discutnt worden. Es gab einen Fall, in welchem
der neutralen Haltung Italiens ihre Basis genommen worden wäre: ein
Bündniß Oestreichs mit Frankreich. In diesem Falle war es für
Italien Pflicht der Selbsterhaltung, aus einer Neutralität herauszutreten,
welche die mächtigen Nachbarn als Verbündete nicht respectirt und für welche
sie sich nach dem voraussichtlichen Siege an Italien gerächt haben würden.
Italien war in diesem Falle willenlos; es mußte mit auf Deutschland drücken,
um nicht selbst erdrückt zu werden. Diesem Rcüsonnement der Angstpolitik,
dem eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist. begegnete man damals
oft an entscheidender Stelle.

An dem guten Willen -- nicht Oestreichs, aber einer starken Partei in
Oestreich und des Reichskanzlers selbst, mit Frankreich gemeinsam loszu¬
schlagen, brauchte man nicht zu zweifeln. Gut nur, daß G-af Beust. von


war im Grunde froh, diesen Beschwerdepunkt gegen Frankreich sich immer
offen zu halten, der ihr selbst zu einer gelegenerer Zeit die ganze Freiheit
des Handelns zurückgab. Sie hatte sich begnügt, einigemal bescheidene Vor¬
stellungen in Paris zu machen, nur um den Schein zu wahren: eilte es ihr
doch auch mit der Lösung der römischen Frage gar nicht. In diesem
Augenblick aber erschien das plötzliche Zurückziehen der Besatzung, wenngleich
durch das Kriegsbedürfniß motivirt, als eine wichtige Concession an Italien,
und in diesem Sinne wußte auch die kaiserliche Regierung die Maßregel zu
verwerthen. Sie stellte der italienischen — wir berichten ein uns wohlver¬
bürgtes Factum — die klugberechnete Alternative: Rückkehr zur September-
Convention oder Allianz gegen Preußen um den Preis des Kirchenstaates.

Das Ministerium entschloß sich zum Ersten. Es war kein leichter Schritt,
die verhaßte Convention wiederherzustellen, nachdem sie ein werthloses Stück
Papier geworden war; die unklaren und theilweise unerfüllbaren Verpflich¬
tungen mit Bewußtsein ciuss Neue übernehmen, in deren Verurthetlung jetzt
alle Parteien einig waren, hieß der öffentlichen Meinung ins Gesicht schlagen.
Wenn dennoch Visconti, dem französischen Druck so weit nachgebend diesen
Schritt that und sofort dem Parlament anzeigte, so lieferte er damit indirect
eine werthvolle Bürgschaft für den Ernst der Regierung, im Kriege neutral
zu bleiben. Durch die Erneuerung des Septembervertrags war der einzig
denkbare Preis einer Allianz mit Frankreich, mithin die Allianz selbst in
weite Ferne gerückt. Bei dieser Erkenntniß beruhigte denn auch die Natio¬
nalpartei sich schneller, als die Proteste einiger Exaltirter im Parlament er¬
warten ließen.

Aber war Italien auch stark genug, seine Neutralität nötigenfalls zu
vertheidigen? Die Frage, welche der Schweiz und Belgien so wenig Schwie¬
rigkeit gemacht hat, schien für Italien durchaus keine müssige, sie ist alles
Ernstes im Ministerium discutnt worden. Es gab einen Fall, in welchem
der neutralen Haltung Italiens ihre Basis genommen worden wäre: ein
Bündniß Oestreichs mit Frankreich. In diesem Falle war es für
Italien Pflicht der Selbsterhaltung, aus einer Neutralität herauszutreten,
welche die mächtigen Nachbarn als Verbündete nicht respectirt und für welche
sie sich nach dem voraussichtlichen Siege an Italien gerächt haben würden.
Italien war in diesem Falle willenlos; es mußte mit auf Deutschland drücken,
um nicht selbst erdrückt zu werden. Diesem Rcüsonnement der Angstpolitik,
dem eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist. begegnete man damals
oft an entscheidender Stelle.

An dem guten Willen — nicht Oestreichs, aber einer starken Partei in
Oestreich und des Reichskanzlers selbst, mit Frankreich gemeinsam loszu¬
schlagen, brauchte man nicht zu zweifeln. Gut nur, daß G-af Beust. von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/458>, abgerufen am 29.06.2024.