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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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aus Sympathie für Preußen -- von welcher er sich völlig frei weiß --,
sondern weil ihm nur zu wohl bekannt war, wie wenig die Armee nach den
heroischen Ersparnissen seiner Verwaltung zum Losschlagen tüchtig ist.
An der Spitze des Ministeriums aber steht in der Person Giovanni Lanza's
ein Mann, dessen bloser Name eine Garantie dafür sein konnte, daß ein
Allianzvertrag mit Frankreich nicht geschlossen war und, so lang er im Amte
blieb, nicht geschlossen werden würde. Lanza ist ein rechter Piemontese, nüch¬
tern und beschränkt, eigensinnig oft bis zur Querköpfigkeit, aber pflichttreu
und genau, streng gegen Jedermann und strenger gegen sich selbst und von
einem sittlichen Ernst und einer tadellosen Rechtlichkeit, die ihm den Ehren¬
titel eines Aristides erworben hat. Die Linke, mit welcher er stets Fühlung
behalten, wußte, daß er nie seine Hand zu Durchstechereien bieten würde,
die das Land compromittirten. Natürlich war den Consorten der Minister¬
präsident um so unbequemer, und ihr ganzes Streben zunächst darauf gerichtet,
Lanza aus dem Ministerium zu entfernen. Minghetti sollte ihn ersetzen, der
talentvollste Staatsmann und Redner der Partei, aber ein glatter Intrigant
und durch Neigung und Interesse dem französischen Kaiser von den Tagen
der Jugend an verbunden, da noch Prinz Louis Bonaparte mit dem bolo-
gneser Journalisten gemeinsam in den Marken conspirirte. Der Sturm
gegen Lanza ward bereits durch giftige Artikel der "Nazione" und "Perse-
veranza" eingeleitet, doch gelang es der Nationalpartei, durch ein geschicktes
parlamentarisches Manöver die Gefahr abzulenken. Indem sie die Initiative
zum Angriff den Gegnern vorwegnahm und denselben von einem andern
Punkte aus gegen das ganze Kabinet richtete, zwang sie Sella, das Ministe¬
rium für solidarisch zu erklären; nachdem dann Lanza einige versteckte Aus¬
fälle Minghetti's mit Glück parirt hatte, blieb der Rechten, und Minghetti
voran, nichts übrig als dem Kabinet ein Vertrauensvotum zu ertheilen, zur
großen Satisfaction der opponirenden Linken. Diese Comödie hatte die
gute Wirkung, auch die Gefahr einer außerparlamentarischen Ministerkrisis
während der Dauer der Vertagung, dergleichen Italien in den letzten Jahren
mehrere erlebt hat, auszuschließen.

Bei der ausgesprochenen Absicht der Regierung die Linie der Neutrali¬
tät streng zu beobachten, kam ihr der Abzug des französischen Occu-
pationscorps aus Rom keineswegs willkommen, vielmehr recht ungelegen.
Denn während dieser Schritt Frankreichs den Verdacht eines vorhergegangenen
geheimen Einverständnisses mit der italienischen Regierung verstärkte, nöthigte
er zugleich die letztere aus der Reserve herauszutreten, welche sie in Betreff
der römischen Frage seit 1867 mit Erfolg beobachtet hatte. Durch die er¬
neute Occupation war die unselige September-Convention von 1864 thatsäch¬
lich auch Seitens Frankreichs für hinfällig erklärt. Die italienische Regierung


aus Sympathie für Preußen — von welcher er sich völlig frei weiß —,
sondern weil ihm nur zu wohl bekannt war, wie wenig die Armee nach den
heroischen Ersparnissen seiner Verwaltung zum Losschlagen tüchtig ist.
An der Spitze des Ministeriums aber steht in der Person Giovanni Lanza's
ein Mann, dessen bloser Name eine Garantie dafür sein konnte, daß ein
Allianzvertrag mit Frankreich nicht geschlossen war und, so lang er im Amte
blieb, nicht geschlossen werden würde. Lanza ist ein rechter Piemontese, nüch¬
tern und beschränkt, eigensinnig oft bis zur Querköpfigkeit, aber pflichttreu
und genau, streng gegen Jedermann und strenger gegen sich selbst und von
einem sittlichen Ernst und einer tadellosen Rechtlichkeit, die ihm den Ehren¬
titel eines Aristides erworben hat. Die Linke, mit welcher er stets Fühlung
behalten, wußte, daß er nie seine Hand zu Durchstechereien bieten würde,
die das Land compromittirten. Natürlich war den Consorten der Minister¬
präsident um so unbequemer, und ihr ganzes Streben zunächst darauf gerichtet,
Lanza aus dem Ministerium zu entfernen. Minghetti sollte ihn ersetzen, der
talentvollste Staatsmann und Redner der Partei, aber ein glatter Intrigant
und durch Neigung und Interesse dem französischen Kaiser von den Tagen
der Jugend an verbunden, da noch Prinz Louis Bonaparte mit dem bolo-
gneser Journalisten gemeinsam in den Marken conspirirte. Der Sturm
gegen Lanza ward bereits durch giftige Artikel der „Nazione" und „Perse-
veranza" eingeleitet, doch gelang es der Nationalpartei, durch ein geschicktes
parlamentarisches Manöver die Gefahr abzulenken. Indem sie die Initiative
zum Angriff den Gegnern vorwegnahm und denselben von einem andern
Punkte aus gegen das ganze Kabinet richtete, zwang sie Sella, das Ministe¬
rium für solidarisch zu erklären; nachdem dann Lanza einige versteckte Aus¬
fälle Minghetti's mit Glück parirt hatte, blieb der Rechten, und Minghetti
voran, nichts übrig als dem Kabinet ein Vertrauensvotum zu ertheilen, zur
großen Satisfaction der opponirenden Linken. Diese Comödie hatte die
gute Wirkung, auch die Gefahr einer außerparlamentarischen Ministerkrisis
während der Dauer der Vertagung, dergleichen Italien in den letzten Jahren
mehrere erlebt hat, auszuschließen.

Bei der ausgesprochenen Absicht der Regierung die Linie der Neutrali¬
tät streng zu beobachten, kam ihr der Abzug des französischen Occu-
pationscorps aus Rom keineswegs willkommen, vielmehr recht ungelegen.
Denn während dieser Schritt Frankreichs den Verdacht eines vorhergegangenen
geheimen Einverständnisses mit der italienischen Regierung verstärkte, nöthigte
er zugleich die letztere aus der Reserve herauszutreten, welche sie in Betreff
der römischen Frage seit 1867 mit Erfolg beobachtet hatte. Durch die er¬
neute Occupation war die unselige September-Convention von 1864 thatsäch¬
lich auch Seitens Frankreichs für hinfällig erklärt. Die italienische Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/457>, abgerufen am 29.06.2024.