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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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in der Armee stehenden Söhne aufforderten, nicht zu dulden, daß man sie
gegen Deutschland führe: ohnehin war auf Begeisterung der Truppen, auch der
Mehrzahl der Offiziere, für einen solchen Krieg nicht zu rechnen. Die Führer
der Opposition fanden Mittel, es bis zu den Ohren des Königs kommen zu
lassen, daß eine Kriegshilfe Italiens an Frankreich unfehlbar den Thron
gefährden würde. Nicht ohnmächtige Demonstrationen nach Art der jüngsten
Mailänder Affaire, welche die Radicalen selbst gemißbilligt haben, sondern
eine ernsthafte Revolution werde die Antwort sein, und, fügten sie kühl hin¬
zu, sie wüßten sich im Besitz aller Mittel, um den Ausgang zu sichern, wenn
doch das Heer außer Landes sei. Solche Vorstellungen blieben nicht ohne
Eindruck.

Die italienische Negierung hatte in jenen Entscheidungstagen keinen
leichten Stand inmitten der beiden Strömungen. Man würde dem Ministe¬
rium Unrecht thun, wenn man seine Tendenzen, wie geschehen ist, mit denen
der Consorteria einfach identificirte. Hervorgegangen aus einer durch Leute aller
Parteien gebildeten Opposition, einer "leM üöZli uomini onesti," gegen die
unwürdigen Finanzoperationen und Maßregelungen des Consorten-Cabinets
Menabrea-Digny, konnte das Ministerium Lanza-Sella seinen Ursprung selbst
dann nicht verleugnen, als es zur Sicherung der Finanzvorlage Sella's sich
aus die Rechte und die Consorteria ausschließlich zu stützen genöthigt war.
Sein Programm blieb unverändert: Consolidirung der Zustände im Innern
durch strenge Oekonomie der Verwaltung und Ordnung der Finanzen: Er¬
sparnisse bis zum Extrem an allen Theilen des Budgets, namentlich an der
Armee und Marine, um die Bilanz herzustellen und den Staatsbankerott
abzuwenden, und in Verbindung damit Verzicht aus jedes active Vorgehen
in der auswärtigen Politik. Das einzige Mitglied des Kabinets. welches
der Consorteria angehört, der Lombarde Visconti-Venosta, Minister der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, ist zugleich der Einzige unter allen auswärtigen
Ministern Italiens seit Cavours Tode, der in den Zeiten seiner Amtsthätig,
keit (er war schon zweimal im Amt, 1864 im Ministerium Minghetti und
1866 im Min. Ricasoli) es verstanden hat, das Vertrauen der Linken zu
gewinnen. Er hat dies seinem loyalen und freimüthigen Auftreten zu danken,
das ihn z. B. vermochte, in offener Kammersitzung seine Freundschaft und
Verehrung für Mazzini zu bekennen. Eine bequeme, ruhige, klar denkende
Natur, ist er schon von Gemüthsart ebensowenig zu ermüdenden Intriguen
wie zu einer entschlußkräftigen Initiative aufgelegt, a n allerwenigsten zu
gewagten Coups im Sinne seiner consorteristischen Collegen. Auch der
Kriegsminister Govone. bekannt als italienischer Unterhändler des Allianz¬
vertrags mit Preußen von 1866, zeigte sich, wiewohl eine Creatur La Mar-
moras, doch einem Offensivbündniß mit Frankreich abgeneigt, nicht etwa


in der Armee stehenden Söhne aufforderten, nicht zu dulden, daß man sie
gegen Deutschland führe: ohnehin war auf Begeisterung der Truppen, auch der
Mehrzahl der Offiziere, für einen solchen Krieg nicht zu rechnen. Die Führer
der Opposition fanden Mittel, es bis zu den Ohren des Königs kommen zu
lassen, daß eine Kriegshilfe Italiens an Frankreich unfehlbar den Thron
gefährden würde. Nicht ohnmächtige Demonstrationen nach Art der jüngsten
Mailänder Affaire, welche die Radicalen selbst gemißbilligt haben, sondern
eine ernsthafte Revolution werde die Antwort sein, und, fügten sie kühl hin¬
zu, sie wüßten sich im Besitz aller Mittel, um den Ausgang zu sichern, wenn
doch das Heer außer Landes sei. Solche Vorstellungen blieben nicht ohne
Eindruck.

Die italienische Negierung hatte in jenen Entscheidungstagen keinen
leichten Stand inmitten der beiden Strömungen. Man würde dem Ministe¬
rium Unrecht thun, wenn man seine Tendenzen, wie geschehen ist, mit denen
der Consorteria einfach identificirte. Hervorgegangen aus einer durch Leute aller
Parteien gebildeten Opposition, einer „leM üöZli uomini onesti," gegen die
unwürdigen Finanzoperationen und Maßregelungen des Consorten-Cabinets
Menabrea-Digny, konnte das Ministerium Lanza-Sella seinen Ursprung selbst
dann nicht verleugnen, als es zur Sicherung der Finanzvorlage Sella's sich
aus die Rechte und die Consorteria ausschließlich zu stützen genöthigt war.
Sein Programm blieb unverändert: Consolidirung der Zustände im Innern
durch strenge Oekonomie der Verwaltung und Ordnung der Finanzen: Er¬
sparnisse bis zum Extrem an allen Theilen des Budgets, namentlich an der
Armee und Marine, um die Bilanz herzustellen und den Staatsbankerott
abzuwenden, und in Verbindung damit Verzicht aus jedes active Vorgehen
in der auswärtigen Politik. Das einzige Mitglied des Kabinets. welches
der Consorteria angehört, der Lombarde Visconti-Venosta, Minister der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, ist zugleich der Einzige unter allen auswärtigen
Ministern Italiens seit Cavours Tode, der in den Zeiten seiner Amtsthätig,
keit (er war schon zweimal im Amt, 1864 im Ministerium Minghetti und
1866 im Min. Ricasoli) es verstanden hat, das Vertrauen der Linken zu
gewinnen. Er hat dies seinem loyalen und freimüthigen Auftreten zu danken,
das ihn z. B. vermochte, in offener Kammersitzung seine Freundschaft und
Verehrung für Mazzini zu bekennen. Eine bequeme, ruhige, klar denkende
Natur, ist er schon von Gemüthsart ebensowenig zu ermüdenden Intriguen
wie zu einer entschlußkräftigen Initiative aufgelegt, a n allerwenigsten zu
gewagten Coups im Sinne seiner consorteristischen Collegen. Auch der
Kriegsminister Govone. bekannt als italienischer Unterhändler des Allianz¬
vertrags mit Preußen von 1866, zeigte sich, wiewohl eine Creatur La Mar-
moras, doch einem Offensivbündniß mit Frankreich abgeneigt, nicht etwa


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/456>, abgerufen am 29.06.2024.