Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.bald allgemein ward, daß man die italienisch-französische Allianz bereits für Dennoch hielt die Parteigänger- und Kabinetspolitik diesmal dem Volks¬ 58*
bald allgemein ward, daß man die italienisch-französische Allianz bereits für Dennoch hielt die Parteigänger- und Kabinetspolitik diesmal dem Volks¬ 58*
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bald allgemein ward, daß man die italienisch-französische Allianz bereits für
geschlossen, ja für seit lange vorbereitet hielt. Zwar das Ministerium wußte
von Nichts und brauchte keinen Theil daran zu haben, aber in Florenz, dem
fruchtbaren Boden der „Diplomatie ooeult-z", war das nur ein geringer
Trost. Wer stand dafür, daß der französische Druck nicht morgen das Ka¬
binet stürzen und ein Ministerium La Marmora-Minghetti mit fertigen
Programm einsetzen würde? Schon am Tage nach der Kriegserklärung sprach
der Telegraph davon. Und wer wußte, was im Kabinet des Königs Victor
Emmanuel vorging? Eben tauchte wieder der „Sturmvogel", Graf Vimer-
cati auf, der als unbeschäftigter Legationsrath der italienischen Gesandtschaft
in Paris attachirt, in den letzten Jahren mehrfach als Träger der geheimen
Correspondenz der Souveräne benutzt worden war; er dinirte nach einander
im Palazzo Pitti, in Wien, Metz und in den Tuilerien. Die Schwelle des
auswärtigen Amtes in Florenz vermied er. Gleichzeitig sah man den piemontesi-
schen Grafen Arche, den alten Freund und seiner Zeit großmüthigen Gläubi¬
ger Kaiser Napoleons, in Wien, wo er schon einmal vor dem Krieg von 1866
als geheimer Agent thätig gewesen war. König Victor Emmanuel sprach
wieder einmal von der „xerüdis traäitionells no la maisov as Lavois": er
schien der Allianz gewonnen. Die Räumung Roms durch das französische
Occupationscorps. welche die Pariser Offiziellen mit Lobsprüchen auf die ver¬
trauenerweckende Haltung Italiens vorbereiteten und motivirten, gab vollends
dem Allianzgerüchte Credit.
Dennoch hielt die Parteigänger- und Kabinetspolitik diesmal dem Volks¬
willen und -Unwillen gegenüber nicht Stand. Das Gefühl, daß man einem
schweren Verhängniß zutreibe, bemächtigte sich der Massen. Jnstinctmäßig
begriffen sie, daß hier ein frevelhaftes Spiel mit heiligen Interessen und
Pflichten des Landes gespielt werde, daß die Pläne einiger Weniger Italien
in alle die unberechenbaren Peripetien des Kaiserreichs hineinzuziehen, im
günstigsten Falle ihm eine unwürdige Bedientenrolle anzuweisen drohe, die
auch mit der um einige Monate beschleunigten Annexion des Kirchenstaates
viel zu theuer bezahlt sein würde. Mit der Kraft gesunder Logik und^patrio¬
tischen Ernstes wurde der gegnerische Kriegseifer durch alle Organe der na¬
tionalen gebrandmarkt und die Politik aufrichtiger Neutralität bei einem
Kampf, der Italien nicht berühre, als schlechthin geboten verlangt. Der
Ruf: „us ü-aneesi xi'ussikmi, eng. italiam!" fand allgemeines Echo. Die
Linke drang im Parlament wiederholt auf feierliche Zusicherungen des Mini¬
steriums, die Neutralität zu beobachten und nach keiner Seite „wohlwollend"
werden zu lassen; und sie war für den Fall eines Bruchs der gegebenen Zu-
sicherungen zum Aeußersten entschlossen. Schon wurden von Livorno aus
Adressen mit zahlreichen Unterschriften in Umlauf gesetzt, in welchen Väter ihre
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