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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Als Napoleon in die Kriegstrompete stieß, sammelte sich auch in Italien
das Häuflein der Getreuen. Ihr Glaube an die Unfehlbarkeit ihres kaiser¬
lichen Schutzherrn, an die Unüberwindlichkeit der AremÄk arin6ö war felsen¬
fest. Jetzt kam es nur darauf an, auch Italien an dem französischen Siege
und seinen Früchten einen Antheil zu sichern. Durch treue Hilfe konnte
man sich Rom, vielleicht auch, wenn Oestreich gleichfalls eintrat, Wälschtyrol
verdienen. Die bezüglichen Winke von Paris blieben nicht aus. So setzten
denn die Consorten, denen trotz ihrer numerischen Schwäche bedeutende Macht¬
mittel in der Kammer und in der Presse, im Heer, in den Hofkreisen und
im höhern Beamtenstand zur Verfügung stehen, eine Agitation auf der gan¬
zen Linie in Scene, im Sinne activer Betheiligung an Frankreichs Seite.
Wieder war es die ungezügelte Ambition Preußens und Graf Bismarcks, die
den Krieg heraufbeschworen hatte und weiterhin auch Italien Gefahr drohe:
Beweis der Hohenzoller auf dem spanischen Throne! Die frivole Heraus¬
forderung Frankreichs ward dem überreizten Selbstgefühl der Nation leicht
verziehen: "warum hat auch," meinte Herr Ruggiero Bonghi in der Ant¬
wort auf einen Brief Theodor Mommsens, "Preußen sich immer geweigert
zu thun, was unser großer Staatsmann that, d. h. durch eine Grenzberich¬
tigung Frankreich und das Gleichgewicht zufrieden zu stellen?" Dem Scla¬
ven, der so stolz mit seiner Kette klirrt, wären freilich Mommsens Worte
vergeblich gesprochen: anderwärts haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt.
Derselbe Bonghi, die gewandteste, aber gewissenloseste Feder der Consorteria,
machte die Entdeckung, daß der Krieg ein Racenkrieg sei: die Existenz
der lateinischen Race, welcher die germanische Untergang geschworen habe,
stehe auf dem Spiel und müsse in gemeinsamer Abwehr behauptet werden.
"Eine lateinische Frage! Lateinisch ist an dem Kriege Nichts als die Art,
wie er erklärt wurde", entgegnete damals ein geachtetes Blatt der Linken.
Mit Spott, Zorn und Verdächtigung verfolgten die Consorten die "?russo-
M", welche stritte Neutralität verlangten: das heiße das Interesse des Lan¬
des und des Stammes preisgeben. Um so mehr bedrängten sie die Minister,
suchten, wiewohl vergeblich, kriegerische Demonstrationen der Armee hervor¬
zurufen und trieben Diplomatie auf eigene Hand. Menabrea erschien in
Paris, Minghetti in London in selbstgeschaffenen Missionen. LaMarmora,
den Helden von Custozza, litt es auch nicht mehr daheim; er erbat sich von
seinem kaiserlichen Gönner die Gnade, die Rheinarmee als Dilettant beglei¬
ten zu dürfen gern gönnen wir dem Braven diese Genugthuung.

Kein Wunder, daß bei solchen Symptomen die Beunruhigung im Volke


dritter Hand. Die Berichterstatter deutsch-östreichischer Blätter tappen völlig im Finstern; ans
besseren Quellen schöpft derjenige der "Augsburger Allg. Ztg.", bis zum Beginn deö Krieges
ein passiouirter Lobredner der Consorteria.

Als Napoleon in die Kriegstrompete stieß, sammelte sich auch in Italien
das Häuflein der Getreuen. Ihr Glaube an die Unfehlbarkeit ihres kaiser¬
lichen Schutzherrn, an die Unüberwindlichkeit der AremÄk arin6ö war felsen¬
fest. Jetzt kam es nur darauf an, auch Italien an dem französischen Siege
und seinen Früchten einen Antheil zu sichern. Durch treue Hilfe konnte
man sich Rom, vielleicht auch, wenn Oestreich gleichfalls eintrat, Wälschtyrol
verdienen. Die bezüglichen Winke von Paris blieben nicht aus. So setzten
denn die Consorten, denen trotz ihrer numerischen Schwäche bedeutende Macht¬
mittel in der Kammer und in der Presse, im Heer, in den Hofkreisen und
im höhern Beamtenstand zur Verfügung stehen, eine Agitation auf der gan¬
zen Linie in Scene, im Sinne activer Betheiligung an Frankreichs Seite.
Wieder war es die ungezügelte Ambition Preußens und Graf Bismarcks, die
den Krieg heraufbeschworen hatte und weiterhin auch Italien Gefahr drohe:
Beweis der Hohenzoller auf dem spanischen Throne! Die frivole Heraus¬
forderung Frankreichs ward dem überreizten Selbstgefühl der Nation leicht
verziehen: „warum hat auch," meinte Herr Ruggiero Bonghi in der Ant¬
wort auf einen Brief Theodor Mommsens, „Preußen sich immer geweigert
zu thun, was unser großer Staatsmann that, d. h. durch eine Grenzberich¬
tigung Frankreich und das Gleichgewicht zufrieden zu stellen?" Dem Scla¬
ven, der so stolz mit seiner Kette klirrt, wären freilich Mommsens Worte
vergeblich gesprochen: anderwärts haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt.
Derselbe Bonghi, die gewandteste, aber gewissenloseste Feder der Consorteria,
machte die Entdeckung, daß der Krieg ein Racenkrieg sei: die Existenz
der lateinischen Race, welcher die germanische Untergang geschworen habe,
stehe auf dem Spiel und müsse in gemeinsamer Abwehr behauptet werden.
„Eine lateinische Frage! Lateinisch ist an dem Kriege Nichts als die Art,
wie er erklärt wurde", entgegnete damals ein geachtetes Blatt der Linken.
Mit Spott, Zorn und Verdächtigung verfolgten die Consorten die „?russo-
M", welche stritte Neutralität verlangten: das heiße das Interesse des Lan¬
des und des Stammes preisgeben. Um so mehr bedrängten sie die Minister,
suchten, wiewohl vergeblich, kriegerische Demonstrationen der Armee hervor¬
zurufen und trieben Diplomatie auf eigene Hand. Menabrea erschien in
Paris, Minghetti in London in selbstgeschaffenen Missionen. LaMarmora,
den Helden von Custozza, litt es auch nicht mehr daheim; er erbat sich von
seinem kaiserlichen Gönner die Gnade, die Rheinarmee als Dilettant beglei¬
ten zu dürfen gern gönnen wir dem Braven diese Genugthuung.

Kein Wunder, daß bei solchen Symptomen die Beunruhigung im Volke


dritter Hand. Die Berichterstatter deutsch-östreichischer Blätter tappen völlig im Finstern; ans
besseren Quellen schöpft derjenige der „Augsburger Allg. Ztg.", bis zum Beginn deö Krieges
ein passiouirter Lobredner der Consorteria.
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[0454] Als Napoleon in die Kriegstrompete stieß, sammelte sich auch in Italien das Häuflein der Getreuen. Ihr Glaube an die Unfehlbarkeit ihres kaiser¬ lichen Schutzherrn, an die Unüberwindlichkeit der AremÄk arin6ö war felsen¬ fest. Jetzt kam es nur darauf an, auch Italien an dem französischen Siege und seinen Früchten einen Antheil zu sichern. Durch treue Hilfe konnte man sich Rom, vielleicht auch, wenn Oestreich gleichfalls eintrat, Wälschtyrol verdienen. Die bezüglichen Winke von Paris blieben nicht aus. So setzten denn die Consorten, denen trotz ihrer numerischen Schwäche bedeutende Macht¬ mittel in der Kammer und in der Presse, im Heer, in den Hofkreisen und im höhern Beamtenstand zur Verfügung stehen, eine Agitation auf der gan¬ zen Linie in Scene, im Sinne activer Betheiligung an Frankreichs Seite. Wieder war es die ungezügelte Ambition Preußens und Graf Bismarcks, die den Krieg heraufbeschworen hatte und weiterhin auch Italien Gefahr drohe: Beweis der Hohenzoller auf dem spanischen Throne! Die frivole Heraus¬ forderung Frankreichs ward dem überreizten Selbstgefühl der Nation leicht verziehen: „warum hat auch," meinte Herr Ruggiero Bonghi in der Ant¬ wort auf einen Brief Theodor Mommsens, „Preußen sich immer geweigert zu thun, was unser großer Staatsmann that, d. h. durch eine Grenzberich¬ tigung Frankreich und das Gleichgewicht zufrieden zu stellen?" Dem Scla¬ ven, der so stolz mit seiner Kette klirrt, wären freilich Mommsens Worte vergeblich gesprochen: anderwärts haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt. Derselbe Bonghi, die gewandteste, aber gewissenloseste Feder der Consorteria, machte die Entdeckung, daß der Krieg ein Racenkrieg sei: die Existenz der lateinischen Race, welcher die germanische Untergang geschworen habe, stehe auf dem Spiel und müsse in gemeinsamer Abwehr behauptet werden. „Eine lateinische Frage! Lateinisch ist an dem Kriege Nichts als die Art, wie er erklärt wurde", entgegnete damals ein geachtetes Blatt der Linken. Mit Spott, Zorn und Verdächtigung verfolgten die Consorten die „?russo- M", welche stritte Neutralität verlangten: das heiße das Interesse des Lan¬ des und des Stammes preisgeben. Um so mehr bedrängten sie die Minister, suchten, wiewohl vergeblich, kriegerische Demonstrationen der Armee hervor¬ zurufen und trieben Diplomatie auf eigene Hand. Menabrea erschien in Paris, Minghetti in London in selbstgeschaffenen Missionen. LaMarmora, den Helden von Custozza, litt es auch nicht mehr daheim; er erbat sich von seinem kaiserlichen Gönner die Gnade, die Rheinarmee als Dilettant beglei¬ ten zu dürfen gern gönnen wir dem Braven diese Genugthuung. Kein Wunder, daß bei solchen Symptomen die Beunruhigung im Volke dritter Hand. Die Berichterstatter deutsch-östreichischer Blätter tappen völlig im Finstern; ans besseren Quellen schöpft derjenige der „Augsburger Allg. Ztg.", bis zum Beginn deö Krieges ein passiouirter Lobredner der Consorteria.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/454>, abgerufen am 29.06.2024.