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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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1866 nur als eine unliebsame "Episode", deren Spuren so schnell wie mög¬
lich zu vertilgen wären, um dem traditionellen und naturgemäßeren Anschluß
an den französischen Nachbar nicht im Wege zu sein. Alles wurde geflissent¬
lich hervorgesucht und nach Kräften zugestutzt, um Preußens Undankbarkeit
recht grell zu illustriren: ein geflügeltes Wort Bismarcks, eine Stelle der
Generalstabsschrift, eine vor dem Krieg geschriebene geharnischte Note Gras
Usedom's. Die Parole war ausgeschrieben: Italien sollte sich um jeden
Preis von Preußen gekränkt, insultirt fühlen, und die consorteristischen Blät¬
ter ließen es denn auch an der nöthigen Entrüstung nicht fehlen. Wie
anders hatte doch Frankreich seine Freundschaft für das Regno bethätigt!
Herrn Malaret's "Corpora! mit fünf Mann am Mincio", die Chassepot-
wunder von Mendana und des kaiserlichen Ministers "Zamais" waren ja nur
verdiente väterliche Züchtigungen für die Sünden der unartigen Linken. Jetzt
ist der Kaiser wieder versöhnt, man leckte dem Wohlthäter die Hände und
ließ sich geduldig den Beißkorb anlegen. Man kokettirte mit dem regene-
rirten Oestreich des Grafen Beust und feierte bei Banketten die Allianz der
ehemals feindseligsten Nachbarn als Garantie des Völkersciedens, -- nicht ohne
einen schielenden Seitenblick aus das Trentino und Trieft. Die treffliche,
einer sechsten Großmacht würdige Argumentation: "die Hand ist mir näher
als der Arm; Oestreich und Frankreich kann uns viel schaden, Deutschland
kann uns nichts schaden, ergo halten wir uns an Frankreich und Oestreich" --
war ganz gemacht, Gevatter Schneider und Handschuhmacher einzuleuchten,
wie nicht minder der Hinweis auf die Abhängigkeit des italienischen Geld¬
marktes, der Handels- und Verkehrsverhältnisse von den französischen all den
furchtsamen Seelen der Besitzenden. Und doch war es den Herren mit der
Ungefährlichkeit Deutschlands nicht einmal Ernst. Sahen sie doch schon das
Gespenst der römischen Kaiser Wiederaufleben! Man denke, daß König Wil¬
helm seine Hand nach der eisernen Krone von Monza ausstrecken könnte, wo
jetzt der junge Kronveinz Humbert residirt; daß die alten Römerzuge sich
wiederholten! Und Herr von Radowitz, der noch im Jahre 1848 das
Festungsviereck für das Glacis Deutschlands erklärte! Es klingt unglaub¬
lich, aber diese patriotischen Beklemmungen -- würdige Seitenstücke zu dem
in Paris aufgetauchten Schreckbild einer neuen Monarchie Karl's V. --
waren und sind noch heute die furchtbaren Waffen der Consorten und Fran¬
zosenfreunde, mit denen auch kürzlich im italienischen Senat General Cial-
dini seinen improvisirten Uebergang in das Lager der Letzteren schützte.

Und nicht immer sind die Hetzereien gegen Preußen und Deutschland
so harmloser Natur. Die gelehrigen Schüler haben es in der Nachahmung
ihrer imperialistischen Vorbilder schon viel weiter gebracht. In der Presse
der Partei sind die Insinuationen und Lügen nicht gespart, die der Erfind-


1866 nur als eine unliebsame „Episode", deren Spuren so schnell wie mög¬
lich zu vertilgen wären, um dem traditionellen und naturgemäßeren Anschluß
an den französischen Nachbar nicht im Wege zu sein. Alles wurde geflissent¬
lich hervorgesucht und nach Kräften zugestutzt, um Preußens Undankbarkeit
recht grell zu illustriren: ein geflügeltes Wort Bismarcks, eine Stelle der
Generalstabsschrift, eine vor dem Krieg geschriebene geharnischte Note Gras
Usedom's. Die Parole war ausgeschrieben: Italien sollte sich um jeden
Preis von Preußen gekränkt, insultirt fühlen, und die consorteristischen Blät¬
ter ließen es denn auch an der nöthigen Entrüstung nicht fehlen. Wie
anders hatte doch Frankreich seine Freundschaft für das Regno bethätigt!
Herrn Malaret's „Corpora! mit fünf Mann am Mincio", die Chassepot-
wunder von Mendana und des kaiserlichen Ministers „Zamais" waren ja nur
verdiente väterliche Züchtigungen für die Sünden der unartigen Linken. Jetzt
ist der Kaiser wieder versöhnt, man leckte dem Wohlthäter die Hände und
ließ sich geduldig den Beißkorb anlegen. Man kokettirte mit dem regene-
rirten Oestreich des Grafen Beust und feierte bei Banketten die Allianz der
ehemals feindseligsten Nachbarn als Garantie des Völkersciedens, — nicht ohne
einen schielenden Seitenblick aus das Trentino und Trieft. Die treffliche,
einer sechsten Großmacht würdige Argumentation: „die Hand ist mir näher
als der Arm; Oestreich und Frankreich kann uns viel schaden, Deutschland
kann uns nichts schaden, ergo halten wir uns an Frankreich und Oestreich" —
war ganz gemacht, Gevatter Schneider und Handschuhmacher einzuleuchten,
wie nicht minder der Hinweis auf die Abhängigkeit des italienischen Geld¬
marktes, der Handels- und Verkehrsverhältnisse von den französischen all den
furchtsamen Seelen der Besitzenden. Und doch war es den Herren mit der
Ungefährlichkeit Deutschlands nicht einmal Ernst. Sahen sie doch schon das
Gespenst der römischen Kaiser Wiederaufleben! Man denke, daß König Wil¬
helm seine Hand nach der eisernen Krone von Monza ausstrecken könnte, wo
jetzt der junge Kronveinz Humbert residirt; daß die alten Römerzuge sich
wiederholten! Und Herr von Radowitz, der noch im Jahre 1848 das
Festungsviereck für das Glacis Deutschlands erklärte! Es klingt unglaub¬
lich, aber diese patriotischen Beklemmungen — würdige Seitenstücke zu dem
in Paris aufgetauchten Schreckbild einer neuen Monarchie Karl's V. —
waren und sind noch heute die furchtbaren Waffen der Consorten und Fran¬
zosenfreunde, mit denen auch kürzlich im italienischen Senat General Cial-
dini seinen improvisirten Uebergang in das Lager der Letzteren schützte.

Und nicht immer sind die Hetzereien gegen Preußen und Deutschland
so harmloser Natur. Die gelehrigen Schüler haben es in der Nachahmung
ihrer imperialistischen Vorbilder schon viel weiter gebracht. In der Presse
der Partei sind die Insinuationen und Lügen nicht gespart, die der Erfind-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/452>, abgerufen am 28.09.2024.