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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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wird den Bankerott dieses Systems nicht aufhalten können. Bereits ist die
Linke sich bewußt, daß ihre Stunde kommt, und ruft der herrschenden Partei
das öde-toi, <ZM ^'e w'? wette zu. Dieselbe unerbittliche Cons^quenz der Er¬
eignisse, welche bereits in Paris nach dem Sturz Olliviers, trotz des schein¬
bar glücklichen Widerstandes der Palikao und Cassagnac, die Macht thatsäch¬
lich in die Hände der Opposition, der I. Favre, Gambetta, Keratry hinüber¬
spielt, wird in nicht langer Zeit in Italien mit der Niederlage der Consor-
teria den Triumph der Nationalpartei bestätigen.

Daß das noch unfertige Königreich, solange ihm Oestreich unversöhnt
und drohend gegenüberstand, sein Clientelverhältniß zum Franzosenkaiser auf¬
recht hielt, war völlig verständlich. Freilich ließ Napoleon's Verhalten bei
Besitznahme der Marken und Andricus und die Septemberconvention von
1864 das Protectorat keineswegs als ein sanftes Joch empfinden. Die zwei-
deutige und für Italien demüthigende Politik des Kaisers im Kriegsjahr 1866
machte vollends auch dem Blöden klar, wie dieser "edle und uninteresfirte
Freund Italiens" die Stellung seines Schützlings auffaßte und ausbeutete.
Damals war der Moment, wo ein nationaler Wille sich der französischen
Bevormundung entziehen konnte und mußte. Eine Nation, welche das
gleiche Streben zum gleichen Ziele der Einigung und Selbstbestimmung dem
östreichischen Hegemonie-Anspruch wie den französischen Juterventionsgelüsten
gegenüberstellte, war Italiens natürlicher Verbündeter. Die preußische
Allianz, -- eine schwere Geburt bei dem halben Willen der dem napoleoni¬
schen Interesse ergebenen italienischen Minister -- kam dennoch zu Stande und
erhielt ihr gewichtiges Pfand, als die preußische Macht dem zu Land und
Wasser unglücklichen Alliirten Venetien eroberte. Seitdem hat Deutschland
nicht aufgehört, von dem Ernst seiner Sympathien für die italienische Sache
Beweise zu geben: die Bundesregierung hat dem König Victor Emanuel
und seinen Ministern in den Krisen der letzten Jahre wiederholt in bestimm¬
tester Form Schutz und Rückhalt gegen eine Vergewaltigung durch Frank¬
reich verheißen.

Bei dem italienischen Volke fanden diese Sympathien volle Erwiede¬
rung. Die starke Partei der nationalen, deren Selbstgefühl durch die fran¬
zösischen Manöver bei der Cession Venedigs und die frische Wunde von Men-
dana tief verletzt ist, hat ein richtiges Verständniß dafür, daß Italien nur im
engen Zusammengehen mit Deutschland seine nationalen Ziele verwirklichen
wird, daß der Bildung eines großen einigen Deutschlands sich widersetzen
wollen, für Italien die Negation der eigenen Existenzberechtigung heißen
würde, daß das mächtige Deutschland keine Gefahr, sondern eine Friedens-
bürgschaft für Europa ist.

Anders die herrschende Partei der Consorten. Ihr galt die Allianz von


wird den Bankerott dieses Systems nicht aufhalten können. Bereits ist die
Linke sich bewußt, daß ihre Stunde kommt, und ruft der herrschenden Partei
das öde-toi, <ZM ^'e w'? wette zu. Dieselbe unerbittliche Cons^quenz der Er¬
eignisse, welche bereits in Paris nach dem Sturz Olliviers, trotz des schein¬
bar glücklichen Widerstandes der Palikao und Cassagnac, die Macht thatsäch¬
lich in die Hände der Opposition, der I. Favre, Gambetta, Keratry hinüber¬
spielt, wird in nicht langer Zeit in Italien mit der Niederlage der Consor-
teria den Triumph der Nationalpartei bestätigen.

Daß das noch unfertige Königreich, solange ihm Oestreich unversöhnt
und drohend gegenüberstand, sein Clientelverhältniß zum Franzosenkaiser auf¬
recht hielt, war völlig verständlich. Freilich ließ Napoleon's Verhalten bei
Besitznahme der Marken und Andricus und die Septemberconvention von
1864 das Protectorat keineswegs als ein sanftes Joch empfinden. Die zwei-
deutige und für Italien demüthigende Politik des Kaisers im Kriegsjahr 1866
machte vollends auch dem Blöden klar, wie dieser „edle und uninteresfirte
Freund Italiens" die Stellung seines Schützlings auffaßte und ausbeutete.
Damals war der Moment, wo ein nationaler Wille sich der französischen
Bevormundung entziehen konnte und mußte. Eine Nation, welche das
gleiche Streben zum gleichen Ziele der Einigung und Selbstbestimmung dem
östreichischen Hegemonie-Anspruch wie den französischen Juterventionsgelüsten
gegenüberstellte, war Italiens natürlicher Verbündeter. Die preußische
Allianz, — eine schwere Geburt bei dem halben Willen der dem napoleoni¬
schen Interesse ergebenen italienischen Minister — kam dennoch zu Stande und
erhielt ihr gewichtiges Pfand, als die preußische Macht dem zu Land und
Wasser unglücklichen Alliirten Venetien eroberte. Seitdem hat Deutschland
nicht aufgehört, von dem Ernst seiner Sympathien für die italienische Sache
Beweise zu geben: die Bundesregierung hat dem König Victor Emanuel
und seinen Ministern in den Krisen der letzten Jahre wiederholt in bestimm¬
tester Form Schutz und Rückhalt gegen eine Vergewaltigung durch Frank¬
reich verheißen.

Bei dem italienischen Volke fanden diese Sympathien volle Erwiede¬
rung. Die starke Partei der nationalen, deren Selbstgefühl durch die fran¬
zösischen Manöver bei der Cession Venedigs und die frische Wunde von Men-
dana tief verletzt ist, hat ein richtiges Verständniß dafür, daß Italien nur im
engen Zusammengehen mit Deutschland seine nationalen Ziele verwirklichen
wird, daß der Bildung eines großen einigen Deutschlands sich widersetzen
wollen, für Italien die Negation der eigenen Existenzberechtigung heißen
würde, daß das mächtige Deutschland keine Gefahr, sondern eine Friedens-
bürgschaft für Europa ist.

Anders die herrschende Partei der Consorten. Ihr galt die Allianz von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/451>, abgerufen am 28.09.2024.