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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Nein ! es bleibt nichts anderes übrig, als, was das neue Reich aus dem
Schatze des alten zurückerobert, unmittelbar zu des Reiches Handen zu behalten:
Preußen muß Straßburg und Metz einrichten und vertheidigen, wie es Mainz ver¬
theidigt und einst Luxemburg vertheidigen durfte Preußen muß die verwahrlosten
und verwilderten Kinder der Nation im Elsaß und Lothringen in strenger Zucht
und Sitte wieder luferziehen, wie es aus den verweichlichten und vaterlandslosen
Unterthanen der weiland geistlichen Fürstenthümer gute Bürger und tapfere
Krieger für Deutschland herangebildet hat. Preußen endlich kann allein
ohne Gefahr, das nationale Gepräge seines ganzen Wesens zu schädigen, ein
paar tausend französisch redender Bürger in sich aufnehmen, wie es seine
Polen in sich zu dulden, zu schonen und zu befriedigen vermag, ohne sein
festes Gefüge zu lockern. Es wird mit der neuen, werthvollen Provinz selbst
eintreten in die Reihe der süddeutschen Staaten, denen es bisher in dem
Hohenzollerschen Ländchen nur von fern die Spitze des Fingers gereicht hat;
es wird fortan auch den specifisch süddeutschen Interessen, wo es solche gibt,
in Wirthschaft und Handel, um sein selbst willen volle Theilnahme zuwen¬
den; es wird, anders als das ohnmächtige Hessen, hinfort die sichtbare
Brücke vom Norden zum Süden, von den Dünen zu den Alpen bilden.
Es wird diese Aufgabe über sich nehmen, eben weil es uneigennützig ist, weil
es gewohnt ist, für Deutschland Schildwacht zu stehen und Schule zu halten.
Es wird damit noch entschiedener als seit 66 heraustreten aus seiner stolzen
und sichern Selbstgenügsamkeit, es wird noch weniger preußisch und noch
mehr deutsch werden, als bisher, selbst in den Augen der Süddeutschen.
An Entschädigungen für diese, innerer und äußerer Art, wird man es wahr¬
lich nicht fehlen lassen, nur werden sie natürlich nicht in Land und Leuten
bestehen dürfen, denn die barbarische Sitte des Gebietstausches ziemt sich ein
für allemal nicht mehr für unsere Zeiten.

Was endlich die Anschauungen unserer Feinde oder der Neutralen an¬
belangt, so sind sie es nicht, die über unsere eigenen deutschen Maßnahmen
zu befinden haben. Sie werden vielleicht zum Scheine über eine directe Er¬
weiterung Preußens mehr Lärm schlagen, als über eine indirecte; im Herzen
aber werden sie wissen, daß, wenn wir die Südstaaten mit dem elsässisch-
lothringischen Brautschatze ausstatteten, wir um so mehr durch andere Mittel
dafür sorgen müßten, unsere Verbindung unauflöslich fest und eng zu knüpfen.
Die Franzosen selbst würden sich übrigens -- wir wissen es aus ihrer
Presse -- über nichts mehr ärgern, als wenn ihre Verluste den Badensern
und Bayern zur Bereicherung dienten: ich denke aber, die Franzosen nur zu
ärgern, kann für uns alle kein politisches Motiv abgeben. --

Es könnte frevelhaft erscheinen, über alle diese Dinge zu sprechen, so
lange die Würfel noch rollen, solange noch mancher blutige Einsatz nicht


Nein ! es bleibt nichts anderes übrig, als, was das neue Reich aus dem
Schatze des alten zurückerobert, unmittelbar zu des Reiches Handen zu behalten:
Preußen muß Straßburg und Metz einrichten und vertheidigen, wie es Mainz ver¬
theidigt und einst Luxemburg vertheidigen durfte Preußen muß die verwahrlosten
und verwilderten Kinder der Nation im Elsaß und Lothringen in strenger Zucht
und Sitte wieder luferziehen, wie es aus den verweichlichten und vaterlandslosen
Unterthanen der weiland geistlichen Fürstenthümer gute Bürger und tapfere
Krieger für Deutschland herangebildet hat. Preußen endlich kann allein
ohne Gefahr, das nationale Gepräge seines ganzen Wesens zu schädigen, ein
paar tausend französisch redender Bürger in sich aufnehmen, wie es seine
Polen in sich zu dulden, zu schonen und zu befriedigen vermag, ohne sein
festes Gefüge zu lockern. Es wird mit der neuen, werthvollen Provinz selbst
eintreten in die Reihe der süddeutschen Staaten, denen es bisher in dem
Hohenzollerschen Ländchen nur von fern die Spitze des Fingers gereicht hat;
es wird fortan auch den specifisch süddeutschen Interessen, wo es solche gibt,
in Wirthschaft und Handel, um sein selbst willen volle Theilnahme zuwen¬
den; es wird, anders als das ohnmächtige Hessen, hinfort die sichtbare
Brücke vom Norden zum Süden, von den Dünen zu den Alpen bilden.
Es wird diese Aufgabe über sich nehmen, eben weil es uneigennützig ist, weil
es gewohnt ist, für Deutschland Schildwacht zu stehen und Schule zu halten.
Es wird damit noch entschiedener als seit 66 heraustreten aus seiner stolzen
und sichern Selbstgenügsamkeit, es wird noch weniger preußisch und noch
mehr deutsch werden, als bisher, selbst in den Augen der Süddeutschen.
An Entschädigungen für diese, innerer und äußerer Art, wird man es wahr¬
lich nicht fehlen lassen, nur werden sie natürlich nicht in Land und Leuten
bestehen dürfen, denn die barbarische Sitte des Gebietstausches ziemt sich ein
für allemal nicht mehr für unsere Zeiten.

Was endlich die Anschauungen unserer Feinde oder der Neutralen an¬
belangt, so sind sie es nicht, die über unsere eigenen deutschen Maßnahmen
zu befinden haben. Sie werden vielleicht zum Scheine über eine directe Er¬
weiterung Preußens mehr Lärm schlagen, als über eine indirecte; im Herzen
aber werden sie wissen, daß, wenn wir die Südstaaten mit dem elsässisch-
lothringischen Brautschatze ausstatteten, wir um so mehr durch andere Mittel
dafür sorgen müßten, unsere Verbindung unauflöslich fest und eng zu knüpfen.
Die Franzosen selbst würden sich übrigens — wir wissen es aus ihrer
Presse — über nichts mehr ärgern, als wenn ihre Verluste den Badensern
und Bayern zur Bereicherung dienten: ich denke aber, die Franzosen nur zu
ärgern, kann für uns alle kein politisches Motiv abgeben. —

Es könnte frevelhaft erscheinen, über alle diese Dinge zu sprechen, so
lange die Würfel noch rollen, solange noch mancher blutige Einsatz nicht


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[0449] Nein ! es bleibt nichts anderes übrig, als, was das neue Reich aus dem Schatze des alten zurückerobert, unmittelbar zu des Reiches Handen zu behalten: Preußen muß Straßburg und Metz einrichten und vertheidigen, wie es Mainz ver¬ theidigt und einst Luxemburg vertheidigen durfte Preußen muß die verwahrlosten und verwilderten Kinder der Nation im Elsaß und Lothringen in strenger Zucht und Sitte wieder luferziehen, wie es aus den verweichlichten und vaterlandslosen Unterthanen der weiland geistlichen Fürstenthümer gute Bürger und tapfere Krieger für Deutschland herangebildet hat. Preußen endlich kann allein ohne Gefahr, das nationale Gepräge seines ganzen Wesens zu schädigen, ein paar tausend französisch redender Bürger in sich aufnehmen, wie es seine Polen in sich zu dulden, zu schonen und zu befriedigen vermag, ohne sein festes Gefüge zu lockern. Es wird mit der neuen, werthvollen Provinz selbst eintreten in die Reihe der süddeutschen Staaten, denen es bisher in dem Hohenzollerschen Ländchen nur von fern die Spitze des Fingers gereicht hat; es wird fortan auch den specifisch süddeutschen Interessen, wo es solche gibt, in Wirthschaft und Handel, um sein selbst willen volle Theilnahme zuwen¬ den; es wird, anders als das ohnmächtige Hessen, hinfort die sichtbare Brücke vom Norden zum Süden, von den Dünen zu den Alpen bilden. Es wird diese Aufgabe über sich nehmen, eben weil es uneigennützig ist, weil es gewohnt ist, für Deutschland Schildwacht zu stehen und Schule zu halten. Es wird damit noch entschiedener als seit 66 heraustreten aus seiner stolzen und sichern Selbstgenügsamkeit, es wird noch weniger preußisch und noch mehr deutsch werden, als bisher, selbst in den Augen der Süddeutschen. An Entschädigungen für diese, innerer und äußerer Art, wird man es wahr¬ lich nicht fehlen lassen, nur werden sie natürlich nicht in Land und Leuten bestehen dürfen, denn die barbarische Sitte des Gebietstausches ziemt sich ein für allemal nicht mehr für unsere Zeiten. Was endlich die Anschauungen unserer Feinde oder der Neutralen an¬ belangt, so sind sie es nicht, die über unsere eigenen deutschen Maßnahmen zu befinden haben. Sie werden vielleicht zum Scheine über eine directe Er¬ weiterung Preußens mehr Lärm schlagen, als über eine indirecte; im Herzen aber werden sie wissen, daß, wenn wir die Südstaaten mit dem elsässisch- lothringischen Brautschatze ausstatteten, wir um so mehr durch andere Mittel dafür sorgen müßten, unsere Verbindung unauflöslich fest und eng zu knüpfen. Die Franzosen selbst würden sich übrigens — wir wissen es aus ihrer Presse — über nichts mehr ärgern, als wenn ihre Verluste den Badensern und Bayern zur Bereicherung dienten: ich denke aber, die Franzosen nur zu ärgern, kann für uns alle kein politisches Motiv abgeben. — Es könnte frevelhaft erscheinen, über alle diese Dinge zu sprechen, so lange die Würfel noch rollen, solange noch mancher blutige Einsatz nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/449>, abgerufen am 29.06.2024.