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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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zurückgewinnen, am schnellsten und besten deutsch werden und am sichersten
deutsch bleiben? Es gibt drei Möglichkeiten: entweder man beläßt die erwor¬
benen Gebiete für sich als ein eigenes deutsches Bundesglied, oder man vertheilt
sie an die drei Grenzstaaten Preußen, Bayern und Baden, oder endlich man
vereinigt sie insgesammt mit Preußen. Die erste Möglichkeit, einen neuen
Kleinstaat zu fabriciren, an der gefährlichsten Stelle, ohne eigene Lebenskraft,
aus lauter abholden Bürgern, die eines großen und weiten Staatsdaseins
gewohnt sind, mit einer künstlich aufgepfropften Dynastie -- in alledem liegt
eine solche Summe von Albernheiten, daß selbst alte Augustenburger Schwär¬
mer von Anno 64 dazu den Kopf schütteln würden. Allein auch der andere
Ausweg muß als unglücklich bezeichnet werden. Man kann nicht bezweifeln,
daß unsere neuen Mitbürger in Elsaß und Lothringen, wenn man sie selbst
befragte, im Falle unabwendlicher Annexion am liebsten insgesammt in den
preußichen Staat würden eingehen wollen. Es wäre schon harte Willkür
und unseren modernen Anschauungen fremd, sie auseinander zu reißen und
zu vertheilen an diesen und jenen Herrn. Sie bringen doch eine Menge
guter und gemeinsamer Bräuche und Einrichtungen mit, sind in Recht und
Verwaltung an ein sehr hohes Maß von Einheit gewöhnt. Wollte man
ihnen das trotz ihrer Zertrennung lassen oder doch ersetzen, was nicht blos
billig, sondern auch sehr nützlich wäre, so müßte unsere Bundesverfassung zu
ihrer Heeres- und Verkehrseinheit noch eine beträchtliche Summe von einheit¬
lichen Rechts- und Verwaltungsbestimmungen hinzu erhalten, was uns zwar
gewiß lieb wäre, den Süddeutschen aber bei ihrem Eintritts in den Bund
ihrem Verlangen nach Schonung ihrer mehr oder weniger berechtigten land¬
schaftlichen Eigenthümlichkeiten gegenüber sehr hart fallen dürfte. Es könnten
dadurch weit entschiedener Schritte in der Richtung zum Einheitsstaate nöthig
werden, als in einer weiteren Vergrößerung Preußens liegen. Vor allem
aber: Bayern und Baden sind nicht im Stande, die schwere Aufgabe der
Assimilation der neuen Staatsgenossen schnell und sicher genug zu vollziehen.
Man weiß, daß noch heut zwischen Altbayern und Rheinpfälzern tiefere
Gegensätze bestehen, als irgendwo in Preußen zwischen den so entlegenen
und heterogenen Bestandtheilen. Dus hat nun bei den Pfälzern keine Noth;
die Lothringer aber würden, je langsamer und mühvoller ihre Verschmelzung
mit dem deutschen Staatswesen vor sich ginge, um so mehr die natürliche
Lust, sie wieder herbeizubringen, in den Franzosen aufregen, der Friede würde
also gar bald und mit einem Schein von Naturrecht wieder bedroht werden.
Von Baden will ich gar nicht reden, das durch den Erwerb des Elsaßes
geradezu verdoppelt in eine Kette unbezwinglicher innerer Schwierigkeiten sich
verstricken und dabei seinen ganzen bisherigen Charakter, den wir eben an
ihm loben und lieben, einbüßen müßte.


zurückgewinnen, am schnellsten und besten deutsch werden und am sichersten
deutsch bleiben? Es gibt drei Möglichkeiten: entweder man beläßt die erwor¬
benen Gebiete für sich als ein eigenes deutsches Bundesglied, oder man vertheilt
sie an die drei Grenzstaaten Preußen, Bayern und Baden, oder endlich man
vereinigt sie insgesammt mit Preußen. Die erste Möglichkeit, einen neuen
Kleinstaat zu fabriciren, an der gefährlichsten Stelle, ohne eigene Lebenskraft,
aus lauter abholden Bürgern, die eines großen und weiten Staatsdaseins
gewohnt sind, mit einer künstlich aufgepfropften Dynastie — in alledem liegt
eine solche Summe von Albernheiten, daß selbst alte Augustenburger Schwär¬
mer von Anno 64 dazu den Kopf schütteln würden. Allein auch der andere
Ausweg muß als unglücklich bezeichnet werden. Man kann nicht bezweifeln,
daß unsere neuen Mitbürger in Elsaß und Lothringen, wenn man sie selbst
befragte, im Falle unabwendlicher Annexion am liebsten insgesammt in den
preußichen Staat würden eingehen wollen. Es wäre schon harte Willkür
und unseren modernen Anschauungen fremd, sie auseinander zu reißen und
zu vertheilen an diesen und jenen Herrn. Sie bringen doch eine Menge
guter und gemeinsamer Bräuche und Einrichtungen mit, sind in Recht und
Verwaltung an ein sehr hohes Maß von Einheit gewöhnt. Wollte man
ihnen das trotz ihrer Zertrennung lassen oder doch ersetzen, was nicht blos
billig, sondern auch sehr nützlich wäre, so müßte unsere Bundesverfassung zu
ihrer Heeres- und Verkehrseinheit noch eine beträchtliche Summe von einheit¬
lichen Rechts- und Verwaltungsbestimmungen hinzu erhalten, was uns zwar
gewiß lieb wäre, den Süddeutschen aber bei ihrem Eintritts in den Bund
ihrem Verlangen nach Schonung ihrer mehr oder weniger berechtigten land¬
schaftlichen Eigenthümlichkeiten gegenüber sehr hart fallen dürfte. Es könnten
dadurch weit entschiedener Schritte in der Richtung zum Einheitsstaate nöthig
werden, als in einer weiteren Vergrößerung Preußens liegen. Vor allem
aber: Bayern und Baden sind nicht im Stande, die schwere Aufgabe der
Assimilation der neuen Staatsgenossen schnell und sicher genug zu vollziehen.
Man weiß, daß noch heut zwischen Altbayern und Rheinpfälzern tiefere
Gegensätze bestehen, als irgendwo in Preußen zwischen den so entlegenen
und heterogenen Bestandtheilen. Dus hat nun bei den Pfälzern keine Noth;
die Lothringer aber würden, je langsamer und mühvoller ihre Verschmelzung
mit dem deutschen Staatswesen vor sich ginge, um so mehr die natürliche
Lust, sie wieder herbeizubringen, in den Franzosen aufregen, der Friede würde
also gar bald und mit einem Schein von Naturrecht wieder bedroht werden.
Von Baden will ich gar nicht reden, das durch den Erwerb des Elsaßes
geradezu verdoppelt in eine Kette unbezwinglicher innerer Schwierigkeiten sich
verstricken und dabei seinen ganzen bisherigen Charakter, den wir eben an
ihm loben und lieben, einbüßen müßte.


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[0448] zurückgewinnen, am schnellsten und besten deutsch werden und am sichersten deutsch bleiben? Es gibt drei Möglichkeiten: entweder man beläßt die erwor¬ benen Gebiete für sich als ein eigenes deutsches Bundesglied, oder man vertheilt sie an die drei Grenzstaaten Preußen, Bayern und Baden, oder endlich man vereinigt sie insgesammt mit Preußen. Die erste Möglichkeit, einen neuen Kleinstaat zu fabriciren, an der gefährlichsten Stelle, ohne eigene Lebenskraft, aus lauter abholden Bürgern, die eines großen und weiten Staatsdaseins gewohnt sind, mit einer künstlich aufgepfropften Dynastie — in alledem liegt eine solche Summe von Albernheiten, daß selbst alte Augustenburger Schwär¬ mer von Anno 64 dazu den Kopf schütteln würden. Allein auch der andere Ausweg muß als unglücklich bezeichnet werden. Man kann nicht bezweifeln, daß unsere neuen Mitbürger in Elsaß und Lothringen, wenn man sie selbst befragte, im Falle unabwendlicher Annexion am liebsten insgesammt in den preußichen Staat würden eingehen wollen. Es wäre schon harte Willkür und unseren modernen Anschauungen fremd, sie auseinander zu reißen und zu vertheilen an diesen und jenen Herrn. Sie bringen doch eine Menge guter und gemeinsamer Bräuche und Einrichtungen mit, sind in Recht und Verwaltung an ein sehr hohes Maß von Einheit gewöhnt. Wollte man ihnen das trotz ihrer Zertrennung lassen oder doch ersetzen, was nicht blos billig, sondern auch sehr nützlich wäre, so müßte unsere Bundesverfassung zu ihrer Heeres- und Verkehrseinheit noch eine beträchtliche Summe von einheit¬ lichen Rechts- und Verwaltungsbestimmungen hinzu erhalten, was uns zwar gewiß lieb wäre, den Süddeutschen aber bei ihrem Eintritts in den Bund ihrem Verlangen nach Schonung ihrer mehr oder weniger berechtigten land¬ schaftlichen Eigenthümlichkeiten gegenüber sehr hart fallen dürfte. Es könnten dadurch weit entschiedener Schritte in der Richtung zum Einheitsstaate nöthig werden, als in einer weiteren Vergrößerung Preußens liegen. Vor allem aber: Bayern und Baden sind nicht im Stande, die schwere Aufgabe der Assimilation der neuen Staatsgenossen schnell und sicher genug zu vollziehen. Man weiß, daß noch heut zwischen Altbayern und Rheinpfälzern tiefere Gegensätze bestehen, als irgendwo in Preußen zwischen den so entlegenen und heterogenen Bestandtheilen. Dus hat nun bei den Pfälzern keine Noth; die Lothringer aber würden, je langsamer und mühvoller ihre Verschmelzung mit dem deutschen Staatswesen vor sich ginge, um so mehr die natürliche Lust, sie wieder herbeizubringen, in den Franzosen aufregen, der Friede würde also gar bald und mit einem Schein von Naturrecht wieder bedroht werden. Von Baden will ich gar nicht reden, das durch den Erwerb des Elsaßes geradezu verdoppelt in eine Kette unbezwinglicher innerer Schwierigkeiten sich verstricken und dabei seinen ganzen bisherigen Charakter, den wir eben an ihm loben und lieben, einbüßen müßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/448>, abgerufen am 29.06.2024.