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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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vergangene Tage mit ihren Freuden und Leiden einzig aus dem Gesichts¬
punkte gegenwärtigen und zukünftigen Heiles zu beantworten, bleibt noch
kurz zu erwägen übrig, für wen der "erhoffte Gewinn erworben werden
solle. Die Entscheidung kann zunächst geradehin nur lauten: für Deutsch¬
land selber. Es war von vornherein eine falsche Fragestellung, wenn man
alsbald von verschiedenen Seiten laut werden hörte: "wem unter den käm¬
pfenden Bundesgenossen soll der Siegeslohn Elsaß-Lothringen zufallen oder
wie soll man ihn gerechter Weise unter sie vertheilen?" Man darf so fragen,
wo es sich um einen Wettlauf um Einzelpreise handelt, nicht aber, wo es
das gemeinsame Unternehmen einer großen nationalen Gesammtheit auf
gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Segen galt. Man muß daher den
gefühlvollen Gedankengang, den seither die meisten Gespräche über diesen
Punkt gerade in Norddeutschland nahmen, eben weil er zu gefühlvoll ist,
von der Hand weisen. "Preußen hat Eroberungen genug gemacht, Preußen
ist groß genug" -- so ließen sich gerade preußische Stimmen in Menge ver¬
nehmen, ja selbst die norddeutsche Allgemeine Zeitung deutete ähnliche Ge¬
sinnung an -- "nun ist es an der Zeit, die wackern süddeutschen Brüder
zu belohnen, besonders das gute, immer so treunationale Baden". Man
freute sich zu sehen, wie die Badenser sich nun selbst ihre fortan königliche
Hauptstadt Straßburg eroberten, man dachte auch dem tapfern Bayern,
dessen kriegerische Beihilfe unsere Waffen unberechenbar gestärkt, eine hübsche
Vergrößerung gegenüber Pirmasens und Zweibrücken zu, man bedauerte
herzlich, daß für Würtemberg, Sachsen und die andern nicht angrenzenden
Kampfgenossen ein passender Preis sich nicht finden lasse. Sonderbarerweise
erhoben sich gerade süddeutsche Stimmen, z. B. in der Kölnischen Zeitung,
gegen eine Vertheilung der annektirten Gebiete an süddeutsche Staaten; sie
verlangten, daß Preußen die ganze Arbeit zufalle. Denn so liegt die Sache
ja in Wahrheit: um Arbeit und Pflicht allein handelt es sich, nicht um
Lohn und Gewinn, eine Last, keine Lust wird es auf manches Jahr hinaus
sein, in Mühlhausen, Straßburg und Metz zu herrschen und zu leiten, zu
pflegen und zu erziehen. Danach aber kann es keinem Zweifel unterliegen,
daß unser größter, mächtigster deutscher Staat dieser schwierigen Aufgabe
einzig und allein gewachsen ist. Noch einmal wird, wie nach 1813 und nach
1866, das königliche Wort zur That werden, daß Deutschland gewonnen,
was Preußen erworben hat.

Gehen wir den Motiven derer unter unseren preußischen und nord¬
deutschen Mitbürgern, die eine andere Entscheidung begehren, noch tiefer
auf den Grund. Sie wissen, wie wir alle, daß die Zeit des norddeutschen
Bundes vorüber, daß die des deutschen gekommen ist. Sie wissen zugleich,
daß wenigstens bis kurz vor dem Kriege noch bei der großen Mehrzahl der


vergangene Tage mit ihren Freuden und Leiden einzig aus dem Gesichts¬
punkte gegenwärtigen und zukünftigen Heiles zu beantworten, bleibt noch
kurz zu erwägen übrig, für wen der «erhoffte Gewinn erworben werden
solle. Die Entscheidung kann zunächst geradehin nur lauten: für Deutsch¬
land selber. Es war von vornherein eine falsche Fragestellung, wenn man
alsbald von verschiedenen Seiten laut werden hörte: „wem unter den käm¬
pfenden Bundesgenossen soll der Siegeslohn Elsaß-Lothringen zufallen oder
wie soll man ihn gerechter Weise unter sie vertheilen?" Man darf so fragen,
wo es sich um einen Wettlauf um Einzelpreise handelt, nicht aber, wo es
das gemeinsame Unternehmen einer großen nationalen Gesammtheit auf
gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Segen galt. Man muß daher den
gefühlvollen Gedankengang, den seither die meisten Gespräche über diesen
Punkt gerade in Norddeutschland nahmen, eben weil er zu gefühlvoll ist,
von der Hand weisen. „Preußen hat Eroberungen genug gemacht, Preußen
ist groß genug" — so ließen sich gerade preußische Stimmen in Menge ver¬
nehmen, ja selbst die norddeutsche Allgemeine Zeitung deutete ähnliche Ge¬
sinnung an — „nun ist es an der Zeit, die wackern süddeutschen Brüder
zu belohnen, besonders das gute, immer so treunationale Baden". Man
freute sich zu sehen, wie die Badenser sich nun selbst ihre fortan königliche
Hauptstadt Straßburg eroberten, man dachte auch dem tapfern Bayern,
dessen kriegerische Beihilfe unsere Waffen unberechenbar gestärkt, eine hübsche
Vergrößerung gegenüber Pirmasens und Zweibrücken zu, man bedauerte
herzlich, daß für Würtemberg, Sachsen und die andern nicht angrenzenden
Kampfgenossen ein passender Preis sich nicht finden lasse. Sonderbarerweise
erhoben sich gerade süddeutsche Stimmen, z. B. in der Kölnischen Zeitung,
gegen eine Vertheilung der annektirten Gebiete an süddeutsche Staaten; sie
verlangten, daß Preußen die ganze Arbeit zufalle. Denn so liegt die Sache
ja in Wahrheit: um Arbeit und Pflicht allein handelt es sich, nicht um
Lohn und Gewinn, eine Last, keine Lust wird es auf manches Jahr hinaus
sein, in Mühlhausen, Straßburg und Metz zu herrschen und zu leiten, zu
pflegen und zu erziehen. Danach aber kann es keinem Zweifel unterliegen,
daß unser größter, mächtigster deutscher Staat dieser schwierigen Aufgabe
einzig und allein gewachsen ist. Noch einmal wird, wie nach 1813 und nach
1866, das königliche Wort zur That werden, daß Deutschland gewonnen,
was Preußen erworben hat.

Gehen wir den Motiven derer unter unseren preußischen und nord¬
deutschen Mitbürgern, die eine andere Entscheidung begehren, noch tiefer
auf den Grund. Sie wissen, wie wir alle, daß die Zeit des norddeutschen
Bundes vorüber, daß die des deutschen gekommen ist. Sie wissen zugleich,
daß wenigstens bis kurz vor dem Kriege noch bei der großen Mehrzahl der


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[0446] vergangene Tage mit ihren Freuden und Leiden einzig aus dem Gesichts¬ punkte gegenwärtigen und zukünftigen Heiles zu beantworten, bleibt noch kurz zu erwägen übrig, für wen der «erhoffte Gewinn erworben werden solle. Die Entscheidung kann zunächst geradehin nur lauten: für Deutsch¬ land selber. Es war von vornherein eine falsche Fragestellung, wenn man alsbald von verschiedenen Seiten laut werden hörte: „wem unter den käm¬ pfenden Bundesgenossen soll der Siegeslohn Elsaß-Lothringen zufallen oder wie soll man ihn gerechter Weise unter sie vertheilen?" Man darf so fragen, wo es sich um einen Wettlauf um Einzelpreise handelt, nicht aber, wo es das gemeinsame Unternehmen einer großen nationalen Gesammtheit auf gemeinsame Gefahr zu gemeinsamem Segen galt. Man muß daher den gefühlvollen Gedankengang, den seither die meisten Gespräche über diesen Punkt gerade in Norddeutschland nahmen, eben weil er zu gefühlvoll ist, von der Hand weisen. „Preußen hat Eroberungen genug gemacht, Preußen ist groß genug" — so ließen sich gerade preußische Stimmen in Menge ver¬ nehmen, ja selbst die norddeutsche Allgemeine Zeitung deutete ähnliche Ge¬ sinnung an — „nun ist es an der Zeit, die wackern süddeutschen Brüder zu belohnen, besonders das gute, immer so treunationale Baden". Man freute sich zu sehen, wie die Badenser sich nun selbst ihre fortan königliche Hauptstadt Straßburg eroberten, man dachte auch dem tapfern Bayern, dessen kriegerische Beihilfe unsere Waffen unberechenbar gestärkt, eine hübsche Vergrößerung gegenüber Pirmasens und Zweibrücken zu, man bedauerte herzlich, daß für Würtemberg, Sachsen und die andern nicht angrenzenden Kampfgenossen ein passender Preis sich nicht finden lasse. Sonderbarerweise erhoben sich gerade süddeutsche Stimmen, z. B. in der Kölnischen Zeitung, gegen eine Vertheilung der annektirten Gebiete an süddeutsche Staaten; sie verlangten, daß Preußen die ganze Arbeit zufalle. Denn so liegt die Sache ja in Wahrheit: um Arbeit und Pflicht allein handelt es sich, nicht um Lohn und Gewinn, eine Last, keine Lust wird es auf manches Jahr hinaus sein, in Mühlhausen, Straßburg und Metz zu herrschen und zu leiten, zu pflegen und zu erziehen. Danach aber kann es keinem Zweifel unterliegen, daß unser größter, mächtigster deutscher Staat dieser schwierigen Aufgabe einzig und allein gewachsen ist. Noch einmal wird, wie nach 1813 und nach 1866, das königliche Wort zur That werden, daß Deutschland gewonnen, was Preußen erworben hat. Gehen wir den Motiven derer unter unseren preußischen und nord¬ deutschen Mitbürgern, die eine andere Entscheidung begehren, noch tiefer auf den Grund. Sie wissen, wie wir alle, daß die Zeit des norddeutschen Bundes vorüber, daß die des deutschen gekommen ist. Sie wissen zugleich, daß wenigstens bis kurz vor dem Kriege noch bei der großen Mehrzahl der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/446>, abgerufen am 29.06.2024.