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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Falkenberg. Bolchen (Boulay) und Thionville eben noch rechts in deutschem.
Blamont, Dieuze und das durch die Schlacht vom 14. August berühmte
Courcelles links in französischem Nationalgelnete. Nur unsere Strategen
können entscheiden, ob hier unsere Sichcrheitsgrenze sich näher am Thale der
französischen Nied oder an dem der sende halten kann, oder ob sie etwa gar
die Mosel bis zur Ecke bei Frouard und von da die Meurthe aufwärts zu
den Vogesen gehen müsse. Denn daß man selbst der westlichen Abschweifung
der Mosel nach Toul hinaus zu folgen nöthig habe, wird uns Niemand ein-
reden, von dem Lothringen an der Maas oder endlich dem schon zum Marne¬
gebiete gehörigen Westende der alten Zwitterprovinz ganz zu schweigen.
Welch' einen Ballast von französischer Bevölkerung würde uns schon die
Mosellinie zuführen! Die zu hoffende friedliche Germanisirung des erworbe¬
nen Grenzstrichs, die wir natürlich allein dem inneren Uebergewichte deutscher
Cultur, dem freiwilligen Vordringen unserer Sprache und Sitte anheim¬
stellen dürften, wird durch jedes weitere Tausend Franzosen, das wir über
Bedürfniß einverleiben, natürlich immer mehr erschwert werden. Nancy mag
eine schöne Stadt sein, aber wir haben schöne Städte genug, Nancy in deut¬
schen Händen wird Metz in deutschen Händen vielleicht auf ewig französisch
bleiben lassen. Von den Ufern der oberen Maas aber, auch noch aus Lo¬
thringen, aus Domremy "im Kirchsprengel von Toul", wie wir alle aus
Schiller wissen, ist in der Person der Jungfrau einst die edelste, wunder¬
vollste und nationalste französische Regung hervorgegangen, welche die Ge¬
schichte kennt. Wie könnte man jemals ernstlich daran denken, Frankreich
diesen Landstrich zu entreißen? Es hieße den Kampf, dessen Zeitalter wir
schließen wollen, recht eigentlich verjüngen. Eine starke Position in Nordost¬
lothringen mit Metz als Bastion, im übrigen aber möglichst der Sprachgrenze
angeschlossen, wird in Verbindung mit dem Elsaß zu halten sein und kann
vielleicht im Laufe der Jahrhunderte von Frankreich verschmerzt werden.
Denn darüber dürfen wir uns freilich keiner Täuschung hingeben, daß auch
die geringste Abtretung vorerst von unsern Nachbarn aufs bitterste empfun¬
den werden wird. Allein auch wenn wir falsches Zartgefühl genug besäßen,
ihnen gar nichts zu nehmen, würde die bloße Thatsache, daß sie nichts ge¬
wonnen, daß wir sie geschlagen haben, in ihnen den gleichen schamvollen Un¬
willen und die alte Rauflust eine Weile wach erhalten. Uebertriebene Nach¬
sicht von unsrer Seite wäre also leichtsinnige Selbstgefährdung, übertriebene
Forderung dagegen eine Gefährdung des Weltsriedens, den wir zu unserem
und zum allgemeinen Lebenselement zu machen wünschen. --

Nachdem wir versucht haben, die Frage, was und wieviel Deutschland
zu fordern habe, frei von empfindsamen und empfindlichen Erinnerungen an


Grenzboten III. 1870. 57

Falkenberg. Bolchen (Boulay) und Thionville eben noch rechts in deutschem.
Blamont, Dieuze und das durch die Schlacht vom 14. August berühmte
Courcelles links in französischem Nationalgelnete. Nur unsere Strategen
können entscheiden, ob hier unsere Sichcrheitsgrenze sich näher am Thale der
französischen Nied oder an dem der sende halten kann, oder ob sie etwa gar
die Mosel bis zur Ecke bei Frouard und von da die Meurthe aufwärts zu
den Vogesen gehen müsse. Denn daß man selbst der westlichen Abschweifung
der Mosel nach Toul hinaus zu folgen nöthig habe, wird uns Niemand ein-
reden, von dem Lothringen an der Maas oder endlich dem schon zum Marne¬
gebiete gehörigen Westende der alten Zwitterprovinz ganz zu schweigen.
Welch' einen Ballast von französischer Bevölkerung würde uns schon die
Mosellinie zuführen! Die zu hoffende friedliche Germanisirung des erworbe¬
nen Grenzstrichs, die wir natürlich allein dem inneren Uebergewichte deutscher
Cultur, dem freiwilligen Vordringen unserer Sprache und Sitte anheim¬
stellen dürften, wird durch jedes weitere Tausend Franzosen, das wir über
Bedürfniß einverleiben, natürlich immer mehr erschwert werden. Nancy mag
eine schöne Stadt sein, aber wir haben schöne Städte genug, Nancy in deut¬
schen Händen wird Metz in deutschen Händen vielleicht auf ewig französisch
bleiben lassen. Von den Ufern der oberen Maas aber, auch noch aus Lo¬
thringen, aus Domremy „im Kirchsprengel von Toul", wie wir alle aus
Schiller wissen, ist in der Person der Jungfrau einst die edelste, wunder¬
vollste und nationalste französische Regung hervorgegangen, welche die Ge¬
schichte kennt. Wie könnte man jemals ernstlich daran denken, Frankreich
diesen Landstrich zu entreißen? Es hieße den Kampf, dessen Zeitalter wir
schließen wollen, recht eigentlich verjüngen. Eine starke Position in Nordost¬
lothringen mit Metz als Bastion, im übrigen aber möglichst der Sprachgrenze
angeschlossen, wird in Verbindung mit dem Elsaß zu halten sein und kann
vielleicht im Laufe der Jahrhunderte von Frankreich verschmerzt werden.
Denn darüber dürfen wir uns freilich keiner Täuschung hingeben, daß auch
die geringste Abtretung vorerst von unsern Nachbarn aufs bitterste empfun¬
den werden wird. Allein auch wenn wir falsches Zartgefühl genug besäßen,
ihnen gar nichts zu nehmen, würde die bloße Thatsache, daß sie nichts ge¬
wonnen, daß wir sie geschlagen haben, in ihnen den gleichen schamvollen Un¬
willen und die alte Rauflust eine Weile wach erhalten. Uebertriebene Nach¬
sicht von unsrer Seite wäre also leichtsinnige Selbstgefährdung, übertriebene
Forderung dagegen eine Gefährdung des Weltsriedens, den wir zu unserem
und zum allgemeinen Lebenselement zu machen wünschen. —

Nachdem wir versucht haben, die Frage, was und wieviel Deutschland
zu fordern habe, frei von empfindsamen und empfindlichen Erinnerungen an


Grenzboten III. 1870. 57
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[0445] Falkenberg. Bolchen (Boulay) und Thionville eben noch rechts in deutschem. Blamont, Dieuze und das durch die Schlacht vom 14. August berühmte Courcelles links in französischem Nationalgelnete. Nur unsere Strategen können entscheiden, ob hier unsere Sichcrheitsgrenze sich näher am Thale der französischen Nied oder an dem der sende halten kann, oder ob sie etwa gar die Mosel bis zur Ecke bei Frouard und von da die Meurthe aufwärts zu den Vogesen gehen müsse. Denn daß man selbst der westlichen Abschweifung der Mosel nach Toul hinaus zu folgen nöthig habe, wird uns Niemand ein- reden, von dem Lothringen an der Maas oder endlich dem schon zum Marne¬ gebiete gehörigen Westende der alten Zwitterprovinz ganz zu schweigen. Welch' einen Ballast von französischer Bevölkerung würde uns schon die Mosellinie zuführen! Die zu hoffende friedliche Germanisirung des erworbe¬ nen Grenzstrichs, die wir natürlich allein dem inneren Uebergewichte deutscher Cultur, dem freiwilligen Vordringen unserer Sprache und Sitte anheim¬ stellen dürften, wird durch jedes weitere Tausend Franzosen, das wir über Bedürfniß einverleiben, natürlich immer mehr erschwert werden. Nancy mag eine schöne Stadt sein, aber wir haben schöne Städte genug, Nancy in deut¬ schen Händen wird Metz in deutschen Händen vielleicht auf ewig französisch bleiben lassen. Von den Ufern der oberen Maas aber, auch noch aus Lo¬ thringen, aus Domremy „im Kirchsprengel von Toul", wie wir alle aus Schiller wissen, ist in der Person der Jungfrau einst die edelste, wunder¬ vollste und nationalste französische Regung hervorgegangen, welche die Ge¬ schichte kennt. Wie könnte man jemals ernstlich daran denken, Frankreich diesen Landstrich zu entreißen? Es hieße den Kampf, dessen Zeitalter wir schließen wollen, recht eigentlich verjüngen. Eine starke Position in Nordost¬ lothringen mit Metz als Bastion, im übrigen aber möglichst der Sprachgrenze angeschlossen, wird in Verbindung mit dem Elsaß zu halten sein und kann vielleicht im Laufe der Jahrhunderte von Frankreich verschmerzt werden. Denn darüber dürfen wir uns freilich keiner Täuschung hingeben, daß auch die geringste Abtretung vorerst von unsern Nachbarn aufs bitterste empfun¬ den werden wird. Allein auch wenn wir falsches Zartgefühl genug besäßen, ihnen gar nichts zu nehmen, würde die bloße Thatsache, daß sie nichts ge¬ wonnen, daß wir sie geschlagen haben, in ihnen den gleichen schamvollen Un¬ willen und die alte Rauflust eine Weile wach erhalten. Uebertriebene Nach¬ sicht von unsrer Seite wäre also leichtsinnige Selbstgefährdung, übertriebene Forderung dagegen eine Gefährdung des Weltsriedens, den wir zu unserem und zum allgemeinen Lebenselement zu machen wünschen. — Nachdem wir versucht haben, die Frage, was und wieviel Deutschland zu fordern habe, frei von empfindsamen und empfindlichen Erinnerungen an Grenzboten III. 1870. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/445>, abgerufen am 29.06.2024.