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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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man ein höchst einfaches Bild. Vom Donon. dem Hauptgipfel des nördlichen
Vogesenzuges. etwas südlich von dem Parallel von Straßburg, wendet sich
die Scheidelinie schräg nordwestlich in die lothringische Ebene hinein, das
ganze nördliche Drittel des Elsaß gehört demnach überhaupt nicht in die
Kategorie der Sprachgrenzprovinzen. Anders steht es mit den südlichen
Landestheilen. Im mittleren Drittel vom Donon bis genau zur Breite von
Breisach greift das Französische allerdings ein weniges nach Osten über den
Kamm des Gebirges herüber, die oberen Enden des Weißbach-, Leber-, Weiler¬
und Breuschthales gehören ihm an, doch bleibt die Grenze ein ganzes Stück
hinter Kaisersberg und Rappoldsweiler zurück, während sie Markirch und
Schirmeck durchschneidet. Diese vier Thalstückc bilden das ganze französische
Sprachgebiet diesseits der Vogesen und stehen mit 4^ Quadratmeilen, 20 Ge¬
meinden und 30000 Bewohnern dem deutschredenden Elsaß von 140 Q.-M..
876 Gemeinden und einer Million Einwohnern gegenüber. Denn südlich
vom Breisacher Parallel folgt die Sprachgrenze wieder streng der Gebirgs-
Höhe bis zum Elsasser Welchen, von wo aus sie sich durch das Flachland fast
genau auf der Wasserscheide zwischen Rhein und Rhone südwestlich zur Schweizer
Grenze hinabzieht, sodaß Maasmünster. Damerkirch und Pfirt der deut¬
schen Seite zufallen. Belfort und Delle dagegen schon zwei bis drei Meilen
im französischen Gebiet liegen.

Dies Ergebniß wird die strengen Theoretiker des Nationalitätsprincips
sehr beruhigen, die da des Glaubens leben, die Staatsgrenzen nach und
nach überall den Sprachscheiden anpassen zu können. Wer nun freilich die
Bevölkerungsverhältnisse Europas einigermaßen kennt und überhaupt prak¬
tisch zu denken gewohnt ist, wird sich mit solchen Sorgen nicht auf.
halten; für ihn wird das Nationalitätsprincip dahin lauten, daß jede große
und civilisirte Nation in einer bedeutenden staatlichen Organisation ihren
Politischen Ausdruck finde, wobei es gleichgiltig ist, ob Theile von ihr mit
anderen Völkern staatlich verbunden bleiben, oder ob sie selbst Angehörige fremder
Nationalität sich angeschlossen behält, wenn nur -- und das ist allerdings eine un¬
erläßliche Bedingung -- diesen Außernationalen ihre natürlichen Grundrechte ge¬
währleistet bleiben, die Böckh sehr richtig also aufzählt: die Pflege und Lehre der
Muttersprache in den Schulen, der gemeinsame Gottesdienst in der Mutter¬
sprache, die Gewährung der Möglichkeit, daß jeder Nationale beim Gebrauch
seiner Muttersprache in öffentlichen und persönlichen Angelegenheiten sein
Recht vertrete und sein Recht finde. Deutschland gerade ist dazu angethan,
hierin vorzugehen, und wer von uns würde nicht gern Hadersleben und
Apenrade unter diesen Bedingungen endlich an Dänemark ausliefern und
den bei uns zurückbleibenden Dänen in Sundewitt und Alsen die gleichen
menschlichen Freiheiten versichern? Wer freilich wie die Franzosen dem drü-


man ein höchst einfaches Bild. Vom Donon. dem Hauptgipfel des nördlichen
Vogesenzuges. etwas südlich von dem Parallel von Straßburg, wendet sich
die Scheidelinie schräg nordwestlich in die lothringische Ebene hinein, das
ganze nördliche Drittel des Elsaß gehört demnach überhaupt nicht in die
Kategorie der Sprachgrenzprovinzen. Anders steht es mit den südlichen
Landestheilen. Im mittleren Drittel vom Donon bis genau zur Breite von
Breisach greift das Französische allerdings ein weniges nach Osten über den
Kamm des Gebirges herüber, die oberen Enden des Weißbach-, Leber-, Weiler¬
und Breuschthales gehören ihm an, doch bleibt die Grenze ein ganzes Stück
hinter Kaisersberg und Rappoldsweiler zurück, während sie Markirch und
Schirmeck durchschneidet. Diese vier Thalstückc bilden das ganze französische
Sprachgebiet diesseits der Vogesen und stehen mit 4^ Quadratmeilen, 20 Ge¬
meinden und 30000 Bewohnern dem deutschredenden Elsaß von 140 Q.-M..
876 Gemeinden und einer Million Einwohnern gegenüber. Denn südlich
vom Breisacher Parallel folgt die Sprachgrenze wieder streng der Gebirgs-
Höhe bis zum Elsasser Welchen, von wo aus sie sich durch das Flachland fast
genau auf der Wasserscheide zwischen Rhein und Rhone südwestlich zur Schweizer
Grenze hinabzieht, sodaß Maasmünster. Damerkirch und Pfirt der deut¬
schen Seite zufallen. Belfort und Delle dagegen schon zwei bis drei Meilen
im französischen Gebiet liegen.

Dies Ergebniß wird die strengen Theoretiker des Nationalitätsprincips
sehr beruhigen, die da des Glaubens leben, die Staatsgrenzen nach und
nach überall den Sprachscheiden anpassen zu können. Wer nun freilich die
Bevölkerungsverhältnisse Europas einigermaßen kennt und überhaupt prak¬
tisch zu denken gewohnt ist, wird sich mit solchen Sorgen nicht auf.
halten; für ihn wird das Nationalitätsprincip dahin lauten, daß jede große
und civilisirte Nation in einer bedeutenden staatlichen Organisation ihren
Politischen Ausdruck finde, wobei es gleichgiltig ist, ob Theile von ihr mit
anderen Völkern staatlich verbunden bleiben, oder ob sie selbst Angehörige fremder
Nationalität sich angeschlossen behält, wenn nur — und das ist allerdings eine un¬
erläßliche Bedingung — diesen Außernationalen ihre natürlichen Grundrechte ge¬
währleistet bleiben, die Böckh sehr richtig also aufzählt: die Pflege und Lehre der
Muttersprache in den Schulen, der gemeinsame Gottesdienst in der Mutter¬
sprache, die Gewährung der Möglichkeit, daß jeder Nationale beim Gebrauch
seiner Muttersprache in öffentlichen und persönlichen Angelegenheiten sein
Recht vertrete und sein Recht finde. Deutschland gerade ist dazu angethan,
hierin vorzugehen, und wer von uns würde nicht gern Hadersleben und
Apenrade unter diesen Bedingungen endlich an Dänemark ausliefern und
den bei uns zurückbleibenden Dänen in Sundewitt und Alsen die gleichen
menschlichen Freiheiten versichern? Wer freilich wie die Franzosen dem drü-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/443>, abgerufen am 29.06.2024.