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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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tasma des ganzen gallischen Stromufers vor die erhitzten Augen der Pariser
Chauvinisten zurück, deshalb muß dies Blendwerk in seinen letzten Spuren
von der Wand getilgt werden. Auf der Herausgabe des Elsasses also bis
zum Kamme der Vogesen, Nordgau wie Sundgau, müssen die deutschen Sie¬
ger bestehen. Von Interesse, aber nicht maßgebend sind dabei die heutigen
sprachlichen Verhältnisse der Landschaft, deren wir im Fluge gedenken wollen

Man weiß, daß Frankreich in seinen Westprovinzen die deutsche Sprache,
seit Jahren durch vollständige Zurücksetzung im öffentlichen Leben wie in der
Schule zu verdrängen bestrebt ist. Zugleich aber macht es aus dem Umfange
des Erfolgs in dieser Richtung geflissentlich ein Geheimniß. Dem englischen
Antrage auf dem internationolen statistischen Kongresse zu London, auch die
Rubrik "I>anAug.Ak spotten" in den Plan der allgemeinen Erhebungen auf¬
zunehmen, widersetzte sich der französische Delegirte M. Legoyt leidenschaftlich,
indem er hinzufügte: "Nous us supposons xas qu'on ne xmrlö pss ^ran^ais
en Trance". Man ignorirt also absichtlich das Vorhandensein einer Bevöl¬
kerung mit deutscher Muttersprache in Frankreich. Daß es in Folge dessen
ganz an amtlichen Feststellungen über die Ausdehnung dieser Bevölkerung
fehlt, gereicht offenbar den Franzosen bei den bevorstehenden Verhandlungen
zu entschiedenem Nachtheile. Wir sind in dieser Frage durchaus an das
treffliche Buch Richard Böckh's: "Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet
in den europäischen Staaten" vom Jahre 1869 gewiesen. Mit wissenschaft¬
licher Unparteilichkeit sind da aus den besten Quellen privater Natur, in Er¬
mangelung der amtlichen, statistische Resultate ermittelt worden, nach denen
die Lage im Elsaß die folgende ist. Daß in den Städten, wie Straßburg,
Colmar, Mühlhausen eine mehr oder minder große Anzahl von Geschäfts¬
leuten und Arbeitern wirklich französischer Nationalität ist, darauf
kommt es nicht an. Die deutschen Kaufleute und Industriellen von
Warschau, Trieft, Venedig, Paris verkümmern diesen Städten sicherlich
nicht um ein Haarbreit ihren polnischen, italienischen, französischen
Charakter. Bei der Ermittelung der wirklichen Sprachgrenze kommt es ferner
durchaus nicht auf die Fähigkeit zum Gebrauche dieser oder jener Sprache
an -- wir können nur zufrieden sein, wenn wir deutsche Bauern gewinnen,
die sich auf französisch leidlich auszudrücken verstehen -- vielmehr auf die
Muttersprache, die, nach Böckh's überzeugender principieller Ausführung in
den Einleitungskapiteln, überall für jedes Individuum nur eine sein kann.
Selbst Ortschaften wirklich gleichmäßig gemischter Bevölkerung sind, wie Böckh
zeigt, allenthalben eine Seltenheit, um so mehr, je sorgfältiger man bei der
Untersuchung auf die kleinsten Einheiten des Zusammenlebens, auf Dorfge¬
meinden, Weiler und Gehöfte zurückgreift. Zeichnet man sich nun die von
ihm gefundene Sprachgrenze in eine hinlänglich große Karte ein, so erhält


tasma des ganzen gallischen Stromufers vor die erhitzten Augen der Pariser
Chauvinisten zurück, deshalb muß dies Blendwerk in seinen letzten Spuren
von der Wand getilgt werden. Auf der Herausgabe des Elsasses also bis
zum Kamme der Vogesen, Nordgau wie Sundgau, müssen die deutschen Sie¬
ger bestehen. Von Interesse, aber nicht maßgebend sind dabei die heutigen
sprachlichen Verhältnisse der Landschaft, deren wir im Fluge gedenken wollen

Man weiß, daß Frankreich in seinen Westprovinzen die deutsche Sprache,
seit Jahren durch vollständige Zurücksetzung im öffentlichen Leben wie in der
Schule zu verdrängen bestrebt ist. Zugleich aber macht es aus dem Umfange
des Erfolgs in dieser Richtung geflissentlich ein Geheimniß. Dem englischen
Antrage auf dem internationolen statistischen Kongresse zu London, auch die
Rubrik „I>anAug.Ak spotten" in den Plan der allgemeinen Erhebungen auf¬
zunehmen, widersetzte sich der französische Delegirte M. Legoyt leidenschaftlich,
indem er hinzufügte: „Nous us supposons xas qu'on ne xmrlö pss ^ran^ais
en Trance". Man ignorirt also absichtlich das Vorhandensein einer Bevöl¬
kerung mit deutscher Muttersprache in Frankreich. Daß es in Folge dessen
ganz an amtlichen Feststellungen über die Ausdehnung dieser Bevölkerung
fehlt, gereicht offenbar den Franzosen bei den bevorstehenden Verhandlungen
zu entschiedenem Nachtheile. Wir sind in dieser Frage durchaus an das
treffliche Buch Richard Böckh's: „Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet
in den europäischen Staaten" vom Jahre 1869 gewiesen. Mit wissenschaft¬
licher Unparteilichkeit sind da aus den besten Quellen privater Natur, in Er¬
mangelung der amtlichen, statistische Resultate ermittelt worden, nach denen
die Lage im Elsaß die folgende ist. Daß in den Städten, wie Straßburg,
Colmar, Mühlhausen eine mehr oder minder große Anzahl von Geschäfts¬
leuten und Arbeitern wirklich französischer Nationalität ist, darauf
kommt es nicht an. Die deutschen Kaufleute und Industriellen von
Warschau, Trieft, Venedig, Paris verkümmern diesen Städten sicherlich
nicht um ein Haarbreit ihren polnischen, italienischen, französischen
Charakter. Bei der Ermittelung der wirklichen Sprachgrenze kommt es ferner
durchaus nicht auf die Fähigkeit zum Gebrauche dieser oder jener Sprache
an — wir können nur zufrieden sein, wenn wir deutsche Bauern gewinnen,
die sich auf französisch leidlich auszudrücken verstehen — vielmehr auf die
Muttersprache, die, nach Böckh's überzeugender principieller Ausführung in
den Einleitungskapiteln, überall für jedes Individuum nur eine sein kann.
Selbst Ortschaften wirklich gleichmäßig gemischter Bevölkerung sind, wie Böckh
zeigt, allenthalben eine Seltenheit, um so mehr, je sorgfältiger man bei der
Untersuchung auf die kleinsten Einheiten des Zusammenlebens, auf Dorfge¬
meinden, Weiler und Gehöfte zurückgreift. Zeichnet man sich nun die von
ihm gefundene Sprachgrenze in eine hinlänglich große Karte ein, so erhält


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/442>, abgerufen am 29.06.2024.