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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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die politische Elsndigkeit der deutschen Nation in jenen Tagen, insonderheit
des Fürstenstandes in seiner großen Mehrheit, geistlich wie weltlich. Daß
Heinrich II. uns Metz nahm, ist betrübend, weit schmerzlicher aber ist doch,
daß es ihm Moritz von Sachsen in die Hände spielte. Daß Ludwig XIV.
Straßburg stahl, ist empörend, daß unsere Väter im Jammer ihrer Reichs¬
verfassung es ertragen konnten, ertragen mußten, das ist weitaus das bitterste
daran. Wie glücklich, daß das heut nur Leiden der Erinnerung für uns
sind! Die Schande nationaler Anarchie, ohnmächtiger Zersplitterung drückt
uns nun nicht mehr, an die Politik der völkerbeherrschenden und völkermi߬
achtenden Donaudynastie sind wir fürder nicht gefesselt. Es ist kein Spiel
des Zufalls gewesen, sondern der Gang der Natur: erst nach der inneren
Arbeit von 1866 ist die äußere von 1870 möglich geworden. Die beiden
Faktoren, Oestreich und die deutsche Schwäche, mußten erst aus dem häßlichen
Producte unserer westlichen Geschichte herausgezogen werden, ehe wir den
dritten Faktor für sich allein vor Augen haben konnten, um mit ihm zu
rechnen. Dieser dritte Faktor ist die Politik Frankreichs.

Wie könnte mir beikommen, diese Politik zu beschönigen. Nur die De¬
fensive gegen das erdrückende Uebergewicht spanisch-östreichischer Weltherr¬
schaft glaubte ich in Schutz nehmen zu müssen. Diese Defensive aber hat
längstens von Ludwig XI. bis auf Richelieu gedauert. Nachdem die Ent¬
würfe Ferdinand's II. und seiner Genossen gescheitert, hatte Frankreich nichts
mehr zu besorgen. Daß auch bis dahin die Art, wie es seine Sache ver¬
focht, oft das schärfste Urtheil herausfordert, bedarf nicht erst der Rede. Wie
gleißnerisch schon König Heinrich seinen Streich gegen die Bisthümer ver¬
theidigte, ist S. 269 dieser Blätter trefflich dargestellt worden. Endlich aber,
daß seit dem Eintritt Frankreichs in den dreißigjährigen Krieg die willkür¬
lichste Offensive gegen Deutschland selber an die Stelle wachsamer Abwehr
trat, daß insbesondere das Verfahren Ludwigs XIV. jedem Rechte wie jeder
Sittlichkeit Hohn sprach, daß er Gewalt und Trug in unerhörtem Maße zum
Bunde gegen uns vereinigte, die Bauernkinder selbst in der Pfalz wissen
davon zu sagen und die Straßburger Jugend, die es hat vergessen müssen,
wird's bald wieder in der Schule so leicht und sicher lernen wie das
deutsche Abc.

Wohlan denn! der Tag der Vergeltung steht vor der Thür; aber wie
er Vergeltung übt, darin zeigt sich die sittliche Größe wie die Weisheit des
Menschen. Ich denke, man darf unser Recht aus Vergeltung nur ganz sum¬
marisch dahin zusammenfassen: Frankreich hat an unserer Nation, so lange
sie schwach war, darin gesündigt, daß es weit über sein Bedürfniß hinaus
zu unserer noch heut andauernden Gefahr seine Grenzen gegen uns und zum
Theil auf Kosten unserer Nationalität vorgeschoben hat; somit dürfen und


die politische Elsndigkeit der deutschen Nation in jenen Tagen, insonderheit
des Fürstenstandes in seiner großen Mehrheit, geistlich wie weltlich. Daß
Heinrich II. uns Metz nahm, ist betrübend, weit schmerzlicher aber ist doch,
daß es ihm Moritz von Sachsen in die Hände spielte. Daß Ludwig XIV.
Straßburg stahl, ist empörend, daß unsere Väter im Jammer ihrer Reichs¬
verfassung es ertragen konnten, ertragen mußten, das ist weitaus das bitterste
daran. Wie glücklich, daß das heut nur Leiden der Erinnerung für uns
sind! Die Schande nationaler Anarchie, ohnmächtiger Zersplitterung drückt
uns nun nicht mehr, an die Politik der völkerbeherrschenden und völkermi߬
achtenden Donaudynastie sind wir fürder nicht gefesselt. Es ist kein Spiel
des Zufalls gewesen, sondern der Gang der Natur: erst nach der inneren
Arbeit von 1866 ist die äußere von 1870 möglich geworden. Die beiden
Faktoren, Oestreich und die deutsche Schwäche, mußten erst aus dem häßlichen
Producte unserer westlichen Geschichte herausgezogen werden, ehe wir den
dritten Faktor für sich allein vor Augen haben konnten, um mit ihm zu
rechnen. Dieser dritte Faktor ist die Politik Frankreichs.

Wie könnte mir beikommen, diese Politik zu beschönigen. Nur die De¬
fensive gegen das erdrückende Uebergewicht spanisch-östreichischer Weltherr¬
schaft glaubte ich in Schutz nehmen zu müssen. Diese Defensive aber hat
längstens von Ludwig XI. bis auf Richelieu gedauert. Nachdem die Ent¬
würfe Ferdinand's II. und seiner Genossen gescheitert, hatte Frankreich nichts
mehr zu besorgen. Daß auch bis dahin die Art, wie es seine Sache ver¬
focht, oft das schärfste Urtheil herausfordert, bedarf nicht erst der Rede. Wie
gleißnerisch schon König Heinrich seinen Streich gegen die Bisthümer ver¬
theidigte, ist S. 269 dieser Blätter trefflich dargestellt worden. Endlich aber,
daß seit dem Eintritt Frankreichs in den dreißigjährigen Krieg die willkür¬
lichste Offensive gegen Deutschland selber an die Stelle wachsamer Abwehr
trat, daß insbesondere das Verfahren Ludwigs XIV. jedem Rechte wie jeder
Sittlichkeit Hohn sprach, daß er Gewalt und Trug in unerhörtem Maße zum
Bunde gegen uns vereinigte, die Bauernkinder selbst in der Pfalz wissen
davon zu sagen und die Straßburger Jugend, die es hat vergessen müssen,
wird's bald wieder in der Schule so leicht und sicher lernen wie das
deutsche Abc.

Wohlan denn! der Tag der Vergeltung steht vor der Thür; aber wie
er Vergeltung übt, darin zeigt sich die sittliche Größe wie die Weisheit des
Menschen. Ich denke, man darf unser Recht aus Vergeltung nur ganz sum¬
marisch dahin zusammenfassen: Frankreich hat an unserer Nation, so lange
sie schwach war, darin gesündigt, daß es weit über sein Bedürfniß hinaus
zu unserer noch heut andauernden Gefahr seine Grenzen gegen uns und zum
Theil auf Kosten unserer Nationalität vorgeschoben hat; somit dürfen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/440>, abgerufen am 29.06.2024.