Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die beiden Nationen durch das Dazwischentreten einer dritten Macht von
einander ganz geschieden werden. Ein Mischreich, dem alten Lotharingien
im weitesten Sinne vergleichbar, von den Alpen bis zur Scheide und den
Rheinmündungen hinunter, dazu die reichsten, blühendsten Städte der dama¬
ligen Welt umfassend, war unter den Händen Karls des Kühnen nahezu
vollendet. Es hätte die ganze Sprachgrenze bedeckt, auch uns Deutschen
wäre gewaltiger Abbruch geschehen; schon hatten die Verpfändungen eines
Habsburgischen Erzherzogs dem Burgunder gestattet, im Elsaß Fuß zu fassen,
Lothringen war ihm erlegen. Aber noch war Unabhänzigkeitssinn und
Kraft zur Selbsthilfe diesen Gegenden nicht abhanden gekommen, Lothringen
hielt treu zu seinem Fürstenhause, mit den Schweizern waren es Elsässer,
die den kühnen Reichsgründer vor Ranzig zu Falle brachten. Man muß
durchaus auf diese Ereignisse zurückgehen, wenn man die vielberüchtigten
Kämpfe der späteren Jahrhunderte verstehen will. Denn daß die Erbschaft
Karls des Kühnen nun in die Hände des Hauses Habsburg gerieth, war in
der That für die Franzosen unerträglich. Seien wir gerecht! Der Streit
Wider die Monarchie Karls V., wie sie wirklich war, diese rein dynastische
Combination spanischer, burgundischer und östreichischer Macht im Dienste
katholischer Glaubenseinheit, war für Frankreich ein Gebot der Selbsterhal¬
tung, zugleich aber entschieden eine Wohlthat für Europa. Das schwere
Verhänzniß für uns Deutsche war eben, daß wir an diese dynastische Politik
der Habsburger unauflöslich gekettet waren. Ich bin weit entfernt, den
aÄvoeg.w8 äiadoli für die Thaten und Unthaten der französischen Herrscher
spielen zu wollen. Aber wer kann es leugnen, daß den herbsten Verlust, den
wir in unserem Westen erlitten, Karl V. selbst uns zufügte, als er im bur¬
gundischen Vertrage vom 26. Juni 1S47 all' die herrlichen Niederlande aus
dem Reichsverband löste? Nimmt man noch hinzu, daß er auch die Frei¬
grafschaft am Doubs seinem spanischen Sohne zuwarf, einen für Spanien
ganz unhaltbaren Besitz, so war schon dadurch Lothringen, ja selbst das El¬
saß in der Flanke ernstlich bedroht. Und diese beiden Landschaften wurden
nun geradehin zu Versicherungskassen gemacht, aus denen man Frankreich
für seine Opfer in den bourbonisch-habsburgischen Verwicklungen schadlos
erhielt. Noch der letzte Schacher, der Tausch Lothringens gegen Toskana
war eine solche östreichische Zahlung an Frankreich, in deutscher Reichsmünze
geleistet.

Ich will jedoch auch nicht meinerseits einseitig die Anklage gegen das
Haus Habsburg allein schleudern; es wäre nicht minder falsch, als wenn
man für unsere überrheinische Einbuße als einzigen Grund den bösen Willen
der Franzosen anführt. Vielmehr setzt sich die Schuld aus drei Faktoren
zusammen. Zunächst steht neben der undeutschen Politik der Habsburger


56*

die beiden Nationen durch das Dazwischentreten einer dritten Macht von
einander ganz geschieden werden. Ein Mischreich, dem alten Lotharingien
im weitesten Sinne vergleichbar, von den Alpen bis zur Scheide und den
Rheinmündungen hinunter, dazu die reichsten, blühendsten Städte der dama¬
ligen Welt umfassend, war unter den Händen Karls des Kühnen nahezu
vollendet. Es hätte die ganze Sprachgrenze bedeckt, auch uns Deutschen
wäre gewaltiger Abbruch geschehen; schon hatten die Verpfändungen eines
Habsburgischen Erzherzogs dem Burgunder gestattet, im Elsaß Fuß zu fassen,
Lothringen war ihm erlegen. Aber noch war Unabhänzigkeitssinn und
Kraft zur Selbsthilfe diesen Gegenden nicht abhanden gekommen, Lothringen
hielt treu zu seinem Fürstenhause, mit den Schweizern waren es Elsässer,
die den kühnen Reichsgründer vor Ranzig zu Falle brachten. Man muß
durchaus auf diese Ereignisse zurückgehen, wenn man die vielberüchtigten
Kämpfe der späteren Jahrhunderte verstehen will. Denn daß die Erbschaft
Karls des Kühnen nun in die Hände des Hauses Habsburg gerieth, war in
der That für die Franzosen unerträglich. Seien wir gerecht! Der Streit
Wider die Monarchie Karls V., wie sie wirklich war, diese rein dynastische
Combination spanischer, burgundischer und östreichischer Macht im Dienste
katholischer Glaubenseinheit, war für Frankreich ein Gebot der Selbsterhal¬
tung, zugleich aber entschieden eine Wohlthat für Europa. Das schwere
Verhänzniß für uns Deutsche war eben, daß wir an diese dynastische Politik
der Habsburger unauflöslich gekettet waren. Ich bin weit entfernt, den
aÄvoeg.w8 äiadoli für die Thaten und Unthaten der französischen Herrscher
spielen zu wollen. Aber wer kann es leugnen, daß den herbsten Verlust, den
wir in unserem Westen erlitten, Karl V. selbst uns zufügte, als er im bur¬
gundischen Vertrage vom 26. Juni 1S47 all' die herrlichen Niederlande aus
dem Reichsverband löste? Nimmt man noch hinzu, daß er auch die Frei¬
grafschaft am Doubs seinem spanischen Sohne zuwarf, einen für Spanien
ganz unhaltbaren Besitz, so war schon dadurch Lothringen, ja selbst das El¬
saß in der Flanke ernstlich bedroht. Und diese beiden Landschaften wurden
nun geradehin zu Versicherungskassen gemacht, aus denen man Frankreich
für seine Opfer in den bourbonisch-habsburgischen Verwicklungen schadlos
erhielt. Noch der letzte Schacher, der Tausch Lothringens gegen Toskana
war eine solche östreichische Zahlung an Frankreich, in deutscher Reichsmünze
geleistet.

Ich will jedoch auch nicht meinerseits einseitig die Anklage gegen das
Haus Habsburg allein schleudern; es wäre nicht minder falsch, als wenn
man für unsere überrheinische Einbuße als einzigen Grund den bösen Willen
der Franzosen anführt. Vielmehr setzt sich die Schuld aus drei Faktoren
zusammen. Zunächst steht neben der undeutschen Politik der Habsburger


56*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124589"/>
            <p xml:id="ID_1283" prev="#ID_1282"> die beiden Nationen durch das Dazwischentreten einer dritten Macht von<lb/>
einander ganz geschieden werden.  Ein Mischreich, dem alten Lotharingien<lb/>
im weitesten Sinne vergleichbar, von den Alpen bis zur Scheide und den<lb/>
Rheinmündungen hinunter, dazu die reichsten, blühendsten Städte der dama¬<lb/>
ligen Welt umfassend, war unter den Händen Karls des Kühnen nahezu<lb/>
vollendet.  Es hätte die ganze Sprachgrenze bedeckt, auch uns Deutschen<lb/>
wäre gewaltiger Abbruch geschehen; schon hatten die Verpfändungen eines<lb/>
Habsburgischen Erzherzogs dem Burgunder gestattet, im Elsaß Fuß zu fassen,<lb/>
Lothringen war ihm erlegen.  Aber noch war Unabhänzigkeitssinn und<lb/>
Kraft zur Selbsthilfe diesen Gegenden nicht abhanden gekommen, Lothringen<lb/>
hielt treu zu seinem Fürstenhause, mit den Schweizern waren es Elsässer,<lb/>
die den kühnen Reichsgründer vor Ranzig zu Falle brachten. Man muß<lb/>
durchaus auf diese Ereignisse zurückgehen, wenn man die vielberüchtigten<lb/>
Kämpfe der späteren Jahrhunderte verstehen will. Denn daß die Erbschaft<lb/>
Karls des Kühnen nun in die Hände des Hauses Habsburg gerieth, war in<lb/>
der That für die Franzosen unerträglich. Seien wir gerecht! Der Streit<lb/>
Wider die Monarchie Karls V., wie sie wirklich war, diese rein dynastische<lb/>
Combination spanischer, burgundischer und östreichischer Macht im Dienste<lb/>
katholischer Glaubenseinheit, war für Frankreich ein Gebot der Selbsterhal¬<lb/>
tung, zugleich aber entschieden eine Wohlthat für Europa. Das schwere<lb/>
Verhänzniß für uns Deutsche war eben, daß wir an diese dynastische Politik<lb/>
der Habsburger unauflöslich gekettet waren.  Ich bin weit entfernt, den<lb/>
aÄvoeg.w8 äiadoli für die Thaten und Unthaten der französischen Herrscher<lb/>
spielen zu wollen.  Aber wer kann es leugnen, daß den herbsten Verlust, den<lb/>
wir in unserem Westen erlitten, Karl V. selbst uns zufügte, als er im bur¬<lb/>
gundischen Vertrage vom 26. Juni 1S47 all' die herrlichen Niederlande aus<lb/>
dem Reichsverband löste? Nimmt man noch hinzu, daß er auch die Frei¬<lb/>
grafschaft am Doubs seinem spanischen Sohne zuwarf, einen für Spanien<lb/>
ganz unhaltbaren Besitz, so war schon dadurch Lothringen, ja selbst das El¬<lb/>
saß in der Flanke ernstlich bedroht.  Und diese beiden Landschaften wurden<lb/>
nun geradehin zu Versicherungskassen gemacht, aus denen man Frankreich<lb/>
für seine Opfer in den bourbonisch-habsburgischen Verwicklungen schadlos<lb/>
erhielt.  Noch der letzte Schacher, der Tausch Lothringens gegen Toskana<lb/>
war eine solche östreichische Zahlung an Frankreich, in deutscher Reichsmünze<lb/>
geleistet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1284" next="#ID_1285"> Ich will jedoch auch nicht meinerseits einseitig die Anklage gegen das<lb/>
Haus Habsburg allein schleudern; es wäre nicht minder falsch, als wenn<lb/>
man für unsere überrheinische Einbuße als einzigen Grund den bösen Willen<lb/>
der Franzosen anführt. Vielmehr setzt sich die Schuld aus drei Faktoren<lb/>
zusammen.  Zunächst steht neben der undeutschen Politik der Habsburger</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 56*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] die beiden Nationen durch das Dazwischentreten einer dritten Macht von einander ganz geschieden werden. Ein Mischreich, dem alten Lotharingien im weitesten Sinne vergleichbar, von den Alpen bis zur Scheide und den Rheinmündungen hinunter, dazu die reichsten, blühendsten Städte der dama¬ ligen Welt umfassend, war unter den Händen Karls des Kühnen nahezu vollendet. Es hätte die ganze Sprachgrenze bedeckt, auch uns Deutschen wäre gewaltiger Abbruch geschehen; schon hatten die Verpfändungen eines Habsburgischen Erzherzogs dem Burgunder gestattet, im Elsaß Fuß zu fassen, Lothringen war ihm erlegen. Aber noch war Unabhänzigkeitssinn und Kraft zur Selbsthilfe diesen Gegenden nicht abhanden gekommen, Lothringen hielt treu zu seinem Fürstenhause, mit den Schweizern waren es Elsässer, die den kühnen Reichsgründer vor Ranzig zu Falle brachten. Man muß durchaus auf diese Ereignisse zurückgehen, wenn man die vielberüchtigten Kämpfe der späteren Jahrhunderte verstehen will. Denn daß die Erbschaft Karls des Kühnen nun in die Hände des Hauses Habsburg gerieth, war in der That für die Franzosen unerträglich. Seien wir gerecht! Der Streit Wider die Monarchie Karls V., wie sie wirklich war, diese rein dynastische Combination spanischer, burgundischer und östreichischer Macht im Dienste katholischer Glaubenseinheit, war für Frankreich ein Gebot der Selbsterhal¬ tung, zugleich aber entschieden eine Wohlthat für Europa. Das schwere Verhänzniß für uns Deutsche war eben, daß wir an diese dynastische Politik der Habsburger unauflöslich gekettet waren. Ich bin weit entfernt, den aÄvoeg.w8 äiadoli für die Thaten und Unthaten der französischen Herrscher spielen zu wollen. Aber wer kann es leugnen, daß den herbsten Verlust, den wir in unserem Westen erlitten, Karl V. selbst uns zufügte, als er im bur¬ gundischen Vertrage vom 26. Juni 1S47 all' die herrlichen Niederlande aus dem Reichsverband löste? Nimmt man noch hinzu, daß er auch die Frei¬ grafschaft am Doubs seinem spanischen Sohne zuwarf, einen für Spanien ganz unhaltbaren Besitz, so war schon dadurch Lothringen, ja selbst das El¬ saß in der Flanke ernstlich bedroht. Und diese beiden Landschaften wurden nun geradehin zu Versicherungskassen gemacht, aus denen man Frankreich für seine Opfer in den bourbonisch-habsburgischen Verwicklungen schadlos erhielt. Noch der letzte Schacher, der Tausch Lothringens gegen Toskana war eine solche östreichische Zahlung an Frankreich, in deutscher Reichsmünze geleistet. Ich will jedoch auch nicht meinerseits einseitig die Anklage gegen das Haus Habsburg allein schleudern; es wäre nicht minder falsch, als wenn man für unsere überrheinische Einbuße als einzigen Grund den bösen Willen der Franzosen anführt. Vielmehr setzt sich die Schuld aus drei Faktoren zusammen. Zunächst steht neben der undeutschen Politik der Habsburger 56*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/439>, abgerufen am 29.06.2024.