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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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noch weit nach Süddeutschland hinein, als schon der Niederrhein von der
kriegerischen Wanderung germanischer Schaaren überschritten war, die auf
der großen ebenen Nordstraße daherdrängten. In dem Momente gerade,
wo dann auch die Linie des Oberrheins von ihnen genommen war, sodaß
von der heutigen Franchecomt6 aus die Gsrmanisirung Ostgalliens bevor¬
zustehen schien, griff Caesar ein und warf die Invasion auf das rechte Ufer
zurück. Er war es, der dann in der That die Rheingrenze schuf, natürlich
nur als eine militärische; Nationalität war schon längst kein Gesichtspunkt
mehr für die römische Politik. Die Wahl dieser Grenze entsprach vollkom¬
men den Anforderungen der Zeit. Ein mächtiger Strom, durch eine Kette
von Befestigungen und ständigen Lagern gesichert, in den Händen eines in
jeder Technik weit überlegenen Staates, war die beste Brustwehr gegen die
halbbarbarische auf den Nahkampf durchaus beschränkte Kriegsweise einheits-
loser. wenn auch tapferer und unruhiger Nachbarn. Wer weiß, wenn man
sich immer streng auf die Vertheidigung dieser Linie beschränkt und zugleich
gegen die Germanen ein System völliger Ausschließung begründet hätte, ob
jemals der Rhein zum deutschen Strome geworden wäre! Allein zweierlei
diente alsbald, die Schärfe des Scheidestrichs zu verwischen. Einmal die
wiederholten, doch kraftlosen Versuche, römische Herrschaft auch auf das rechte
Ufer hinüberzustrecken, wozu freilich die Lücke zwischen der Donau- und Rhein¬
linie unmittelbar aufforderte; dann die Duldung, ja die steigende Begün-
stigung friedlicher germanischer Ansiedlungen auf dem linken Rheinufer --
schon unter Augustus waren die Bezirke Ober- und Untergermanien auf der
gallischen Seite mehr als blose Phrase -- wozu dann noch als allgemeine
Erscheinung die schon von Caesar begonnene Germanisirung des Reichs¬
heeres hinzukommt.

War hierdurch der antigermanischen Militärgrenze, wozu Caesar den
Rhein bestimmt, die Fähigkeit zu ewiger Dauer benommen, so hat sie doch
lange genug gehalten, um die zukunftsreichste Schöpfung des großen Rö¬
mers, ein romanisches Gallien, ausreifen zu lassen. Dadurch geschah, daß in
der Epoche der Neubildung Europas nicht das Alpengebiet, sondern gerade
der linke Flügel der Rheinlande den Schauplatz für die innigsten und fol¬
genreichsten romanisch-germanischen Wechselwirkungen abgeben konnte. Noch
einen anderen verhängnißvollen Einfluß hat aber meines Bedünkens jene
caesarische Rheingrenze ausgeübt. Wenn man erwägt, wie gewaltig oft
römische Erinnerungen die Gemüther der Romanen und nicht zuletzt der
Franzosen beherrschen, so dürfte es schwerlich falsch sein anzunehmen, daß
ihre" Rheingelüsten, mindestens seit dem 17. Jahrhundert, das geographische
Bild des römischen Galliens reichlich Nahrung gegeben habe.

Wie bald war doch in Wirklichkeit dies mit dem Schwerte der Legionen


noch weit nach Süddeutschland hinein, als schon der Niederrhein von der
kriegerischen Wanderung germanischer Schaaren überschritten war, die auf
der großen ebenen Nordstraße daherdrängten. In dem Momente gerade,
wo dann auch die Linie des Oberrheins von ihnen genommen war, sodaß
von der heutigen Franchecomt6 aus die Gsrmanisirung Ostgalliens bevor¬
zustehen schien, griff Caesar ein und warf die Invasion auf das rechte Ufer
zurück. Er war es, der dann in der That die Rheingrenze schuf, natürlich
nur als eine militärische; Nationalität war schon längst kein Gesichtspunkt
mehr für die römische Politik. Die Wahl dieser Grenze entsprach vollkom¬
men den Anforderungen der Zeit. Ein mächtiger Strom, durch eine Kette
von Befestigungen und ständigen Lagern gesichert, in den Händen eines in
jeder Technik weit überlegenen Staates, war die beste Brustwehr gegen die
halbbarbarische auf den Nahkampf durchaus beschränkte Kriegsweise einheits-
loser. wenn auch tapferer und unruhiger Nachbarn. Wer weiß, wenn man
sich immer streng auf die Vertheidigung dieser Linie beschränkt und zugleich
gegen die Germanen ein System völliger Ausschließung begründet hätte, ob
jemals der Rhein zum deutschen Strome geworden wäre! Allein zweierlei
diente alsbald, die Schärfe des Scheidestrichs zu verwischen. Einmal die
wiederholten, doch kraftlosen Versuche, römische Herrschaft auch auf das rechte
Ufer hinüberzustrecken, wozu freilich die Lücke zwischen der Donau- und Rhein¬
linie unmittelbar aufforderte; dann die Duldung, ja die steigende Begün-
stigung friedlicher germanischer Ansiedlungen auf dem linken Rheinufer —
schon unter Augustus waren die Bezirke Ober- und Untergermanien auf der
gallischen Seite mehr als blose Phrase — wozu dann noch als allgemeine
Erscheinung die schon von Caesar begonnene Germanisirung des Reichs¬
heeres hinzukommt.

War hierdurch der antigermanischen Militärgrenze, wozu Caesar den
Rhein bestimmt, die Fähigkeit zu ewiger Dauer benommen, so hat sie doch
lange genug gehalten, um die zukunftsreichste Schöpfung des großen Rö¬
mers, ein romanisches Gallien, ausreifen zu lassen. Dadurch geschah, daß in
der Epoche der Neubildung Europas nicht das Alpengebiet, sondern gerade
der linke Flügel der Rheinlande den Schauplatz für die innigsten und fol¬
genreichsten romanisch-germanischen Wechselwirkungen abgeben konnte. Noch
einen anderen verhängnißvollen Einfluß hat aber meines Bedünkens jene
caesarische Rheingrenze ausgeübt. Wenn man erwägt, wie gewaltig oft
römische Erinnerungen die Gemüther der Romanen und nicht zuletzt der
Franzosen beherrschen, so dürfte es schwerlich falsch sein anzunehmen, daß
ihre» Rheingelüsten, mindestens seit dem 17. Jahrhundert, das geographische
Bild des römischen Galliens reichlich Nahrung gegeben habe.

Wie bald war doch in Wirklichkeit dies mit dem Schwerte der Legionen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/435>, abgerufen am 28.09.2024.