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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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in den Boden gezeichnete Bild von den Wandertritten germanischer Völker
wieder ausgelöscht worden! Uns kümmern hier nicht die Stämme, welche nur
flüchtigen Fußes darüber biuenter, oder deren schwache Spuren auf dem alt¬
befestigten romanischen Grunde des Südens nicht haften wollten, wohl aber
die, deren Mundart noch heute von jenseits mahnend zu uns herübertönt:
Alemannen und Franken. Es ist unmöglich, ihr allmähliches Vordringen
historisch genau zu verfolgen, aber grade daß sie Schritt für Schritt, fast
unmerklich, in steter Fühlung mit ihren diesseits zurückbleibenden Stammge¬
nossen, drüben Terrain gewannen, verlieh ihnen die Kraft, dies Terrain auch
dauernd zu behaupten. Es gab eine Zeit, wo die ganze obere Hälfte des
Stromlaufs von den Alemannen eingenommen war. Südlich vom Iurawalle
umringten sie den Hochrhein und machten den Bodensee zum "schwäbischen
Meere," der Aar und Reuß entgegen stiegen sie bis zum Gotthard hinauf.
Nicht minder erfüllten sie dann abwärts das Oberrheinthal von Basel bis
Bingen, und selbst über den Vogesen im ebenen Lothringen haben sich ihre
Spitzen gezeigt. Aber hier haben sie bald wieder weichen müssen, es ist nicht
klar, ob vor dem Andrange der Burgunder oder erst vor den Siegen der
Franken. Ihre Nordgrenze ward herabgedrückt bis auf die Breite von
Weißenburg, hier dichtete im 9ten Jahrhundert der Mönch Otfried sein heiliges
Epos in völlig südfränkischem Dialekt; über die Pfalz, das untere Neckar¬
thal, das ganze Mainland verbreitete sich der fränkische Name. Und so ging
auch die Westgrenze der Alemannen bis auf den Kamm der Vogesen zurück.
Um so kräftiger behauptete sich dann aber in dem so verengten Gebiete die
Stammeseigenthümlichkeit, auch ihr Elsaß, d. h. ihr "ausheimischer Sitz" ist
hinter seiner schützenden Bergmauer bis auf den heutigen Tag so alemannisch
geblieben, wie nur das Vaterland Hebel's.

Ungleich mächtiger hat sich der Strom der Franken ins gallische Land
ergossen. Unwiderstehlich schoben im Delta von Arm zu Arm die salischen
Niederfranken das Römerthum vor sich her; ihnen verdanken wir, daß noch
heut die vlämische Mundart weit in den Westen bis über Dünkirchen hinaus¬
reicht. Die Germanisirung von Etfel und Hundsrück ist das Werk der Ri¬
puarier, Mosel und Saar führten sie von da aufwärts nach Lothringen.
Daß hier das Deutschthum von vorn herein besonders gefährdet sein mußte,
leuchtete ein. Auf der ganzen Hypotenuse des Dreiecks, der langen Mosel¬
linie bis Metz hinunter, stand Romanenvolk gegenüber, im Osten hinderte
der Wasgenwald die Verschmelzung mit den ohnehin so verschiedenen Ale¬
mannen, nur an der schmalen Nordseite über das rauhe Schiefergebirge hin
hatte man stammverwandten Rückhalt. Dazu kam noch die Volksart selber
hinzu. Von schwäbischer Narrheit sind die beweglichen Franken allezeit weit
entfernt gewesen; nicht allein von Ober- zu Niederdeutschen bildeten und


in den Boden gezeichnete Bild von den Wandertritten germanischer Völker
wieder ausgelöscht worden! Uns kümmern hier nicht die Stämme, welche nur
flüchtigen Fußes darüber biuenter, oder deren schwache Spuren auf dem alt¬
befestigten romanischen Grunde des Südens nicht haften wollten, wohl aber
die, deren Mundart noch heute von jenseits mahnend zu uns herübertönt:
Alemannen und Franken. Es ist unmöglich, ihr allmähliches Vordringen
historisch genau zu verfolgen, aber grade daß sie Schritt für Schritt, fast
unmerklich, in steter Fühlung mit ihren diesseits zurückbleibenden Stammge¬
nossen, drüben Terrain gewannen, verlieh ihnen die Kraft, dies Terrain auch
dauernd zu behaupten. Es gab eine Zeit, wo die ganze obere Hälfte des
Stromlaufs von den Alemannen eingenommen war. Südlich vom Iurawalle
umringten sie den Hochrhein und machten den Bodensee zum „schwäbischen
Meere," der Aar und Reuß entgegen stiegen sie bis zum Gotthard hinauf.
Nicht minder erfüllten sie dann abwärts das Oberrheinthal von Basel bis
Bingen, und selbst über den Vogesen im ebenen Lothringen haben sich ihre
Spitzen gezeigt. Aber hier haben sie bald wieder weichen müssen, es ist nicht
klar, ob vor dem Andrange der Burgunder oder erst vor den Siegen der
Franken. Ihre Nordgrenze ward herabgedrückt bis auf die Breite von
Weißenburg, hier dichtete im 9ten Jahrhundert der Mönch Otfried sein heiliges
Epos in völlig südfränkischem Dialekt; über die Pfalz, das untere Neckar¬
thal, das ganze Mainland verbreitete sich der fränkische Name. Und so ging
auch die Westgrenze der Alemannen bis auf den Kamm der Vogesen zurück.
Um so kräftiger behauptete sich dann aber in dem so verengten Gebiete die
Stammeseigenthümlichkeit, auch ihr Elsaß, d. h. ihr „ausheimischer Sitz" ist
hinter seiner schützenden Bergmauer bis auf den heutigen Tag so alemannisch
geblieben, wie nur das Vaterland Hebel's.

Ungleich mächtiger hat sich der Strom der Franken ins gallische Land
ergossen. Unwiderstehlich schoben im Delta von Arm zu Arm die salischen
Niederfranken das Römerthum vor sich her; ihnen verdanken wir, daß noch
heut die vlämische Mundart weit in den Westen bis über Dünkirchen hinaus¬
reicht. Die Germanisirung von Etfel und Hundsrück ist das Werk der Ri¬
puarier, Mosel und Saar führten sie von da aufwärts nach Lothringen.
Daß hier das Deutschthum von vorn herein besonders gefährdet sein mußte,
leuchtete ein. Auf der ganzen Hypotenuse des Dreiecks, der langen Mosel¬
linie bis Metz hinunter, stand Romanenvolk gegenüber, im Osten hinderte
der Wasgenwald die Verschmelzung mit den ohnehin so verschiedenen Ale¬
mannen, nur an der schmalen Nordseite über das rauhe Schiefergebirge hin
hatte man stammverwandten Rückhalt. Dazu kam noch die Volksart selber
hinzu. Von schwäbischer Narrheit sind die beweglichen Franken allezeit weit
entfernt gewesen; nicht allein von Ober- zu Niederdeutschen bildeten und


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[0436] in den Boden gezeichnete Bild von den Wandertritten germanischer Völker wieder ausgelöscht worden! Uns kümmern hier nicht die Stämme, welche nur flüchtigen Fußes darüber biuenter, oder deren schwache Spuren auf dem alt¬ befestigten romanischen Grunde des Südens nicht haften wollten, wohl aber die, deren Mundart noch heute von jenseits mahnend zu uns herübertönt: Alemannen und Franken. Es ist unmöglich, ihr allmähliches Vordringen historisch genau zu verfolgen, aber grade daß sie Schritt für Schritt, fast unmerklich, in steter Fühlung mit ihren diesseits zurückbleibenden Stammge¬ nossen, drüben Terrain gewannen, verlieh ihnen die Kraft, dies Terrain auch dauernd zu behaupten. Es gab eine Zeit, wo die ganze obere Hälfte des Stromlaufs von den Alemannen eingenommen war. Südlich vom Iurawalle umringten sie den Hochrhein und machten den Bodensee zum „schwäbischen Meere," der Aar und Reuß entgegen stiegen sie bis zum Gotthard hinauf. Nicht minder erfüllten sie dann abwärts das Oberrheinthal von Basel bis Bingen, und selbst über den Vogesen im ebenen Lothringen haben sich ihre Spitzen gezeigt. Aber hier haben sie bald wieder weichen müssen, es ist nicht klar, ob vor dem Andrange der Burgunder oder erst vor den Siegen der Franken. Ihre Nordgrenze ward herabgedrückt bis auf die Breite von Weißenburg, hier dichtete im 9ten Jahrhundert der Mönch Otfried sein heiliges Epos in völlig südfränkischem Dialekt; über die Pfalz, das untere Neckar¬ thal, das ganze Mainland verbreitete sich der fränkische Name. Und so ging auch die Westgrenze der Alemannen bis auf den Kamm der Vogesen zurück. Um so kräftiger behauptete sich dann aber in dem so verengten Gebiete die Stammeseigenthümlichkeit, auch ihr Elsaß, d. h. ihr „ausheimischer Sitz" ist hinter seiner schützenden Bergmauer bis auf den heutigen Tag so alemannisch geblieben, wie nur das Vaterland Hebel's. Ungleich mächtiger hat sich der Strom der Franken ins gallische Land ergossen. Unwiderstehlich schoben im Delta von Arm zu Arm die salischen Niederfranken das Römerthum vor sich her; ihnen verdanken wir, daß noch heut die vlämische Mundart weit in den Westen bis über Dünkirchen hinaus¬ reicht. Die Germanisirung von Etfel und Hundsrück ist das Werk der Ri¬ puarier, Mosel und Saar führten sie von da aufwärts nach Lothringen. Daß hier das Deutschthum von vorn herein besonders gefährdet sein mußte, leuchtete ein. Auf der ganzen Hypotenuse des Dreiecks, der langen Mosel¬ linie bis Metz hinunter, stand Romanenvolk gegenüber, im Osten hinderte der Wasgenwald die Verschmelzung mit den ohnehin so verschiedenen Ale¬ mannen, nur an der schmalen Nordseite über das rauhe Schiefergebirge hin hatte man stammverwandten Rückhalt. Dazu kam noch die Volksart selber hinzu. Von schwäbischer Narrheit sind die beweglichen Franken allezeit weit entfernt gewesen; nicht allein von Ober- zu Niederdeutschen bildeten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/436>, abgerufen am 29.06.2024.