Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Hauptstrom zu fliehen, dem sie später doch wieder umgewandt ihre Wasser
zuführen müssen. Das ganze Gebiet endlich ist gleichmäßig ummauert durch
das weiße Korallenriff des Juragebirges, das sich von Coburg nach Regens¬
burg, von da nach Schaffhausen, dann über Belfort und Vesoul zum linken
Moselufer, endlich links an Toul und Metz vorüber bis an den westlichen
Flügel der Ardennen herumzieht. "Es ist eine Umgebung", sagt Leopold
von Buch, der zuerst diese Verhältnisse klar gelegt hat, "wie eine ungeheure
Festung, welche fast von allen Seiten von ihren Festungsgräben umringt ist.
Denn so wie ein mit Glacis versehener Graben ein äußerer Wall, so ist
auch hiev die äußere Form dieser Juragebirge. Ihre steileren, ja oft fast
senkrechten Abstürze sind auf ihrer ganzen Erstreckung gegen das Innere des
Kessels gerichtet; sanfte Abfälle hingegen, die Contre-Esearpe der Festung,
ge^er das Aeußere." Kein Wunder daher, daß die erobernden deutschen
Stämme einst, nachdem sie die Osthälfte der natürlichen Festung besetzt hatten,
nicht an der tiefgelegenen Mittellinie, am Nheinbette, stehen geblieben sind,
sondern ihre Posten bis auf die westlichen Außenwälle vorgeschoben haben.

Einfacher, jedoch nicht minder regelmäßig ist das niederrheinische Land
gestaltet. Hier dehnt sich zwischen der unteren Saar und der Wetterau,
zwischen der mittleren Maas und den Ruhrquellen von Südwesten nach
Nordosten die breite Hochfläche des Schiefergebirges aus. Gerade mitten
hindurch hat der Rhein von Bingen bis Bonn sein malerisches Thal sich
gebrochen, dann tritt er in die Kölner Bucht, die noch bis Düsseldorf hin¬
unter von den zurückweichenden Gehängen der Berge umschirmt ist. Wie
ein Schmetterlingsleib zwischen den ausgespannten Flügeln liegt die Strom¬
rinne da in das Schiefergebirge eingesenkt, das an der Saar, an der Sambre
und Maas wie an der Ruhr von den wahren Edelsteinbrüchen der Neuzeit,
den Kohlenlagern umsäumt ist. Betrachtet man diese natürliche Architektur
der Rheinlande, so kann man sich wohl fragen, warum nicht Straßburg im
Herzen des oberrheinischen oder Köln in dem des niederrheinischen Gebietes
sich zu völkerbeherrschenden Hauptstädten erhoben haben wie die Centren der
Tertiärbecken der Seine und Themse. Die Antwort liegt eben darin, daß
das Rheinthal im Norden wie im Süden als Schlagbaum über die große
Völkerstraße gelegt ist. Wo aber Nationen mit einander ringen, Pflegen sie
ihre Grenzen nicht mit dem Hammer des Geognosten, sondern mit dem
Schwert in der Faust abzustecken.

Aus der Schule bringt mancher die Anschauung mit, als sei wenigstens
einmal im Lauf der Geschichte, gerade in der Urzeit, der Rhein eine natio¬
nale Grenze, zwischen Kelten und Germanen nämlich, gewesen. Dennoch
läßt sich kein Augenblick angeben, wo dies Verhältniß strenggenommen statt¬
gefunden. Keltische Stämme oder doch bedeutende Neste von ihnen saßen


den Hauptstrom zu fliehen, dem sie später doch wieder umgewandt ihre Wasser
zuführen müssen. Das ganze Gebiet endlich ist gleichmäßig ummauert durch
das weiße Korallenriff des Juragebirges, das sich von Coburg nach Regens¬
burg, von da nach Schaffhausen, dann über Belfort und Vesoul zum linken
Moselufer, endlich links an Toul und Metz vorüber bis an den westlichen
Flügel der Ardennen herumzieht. „Es ist eine Umgebung", sagt Leopold
von Buch, der zuerst diese Verhältnisse klar gelegt hat, „wie eine ungeheure
Festung, welche fast von allen Seiten von ihren Festungsgräben umringt ist.
Denn so wie ein mit Glacis versehener Graben ein äußerer Wall, so ist
auch hiev die äußere Form dieser Juragebirge. Ihre steileren, ja oft fast
senkrechten Abstürze sind auf ihrer ganzen Erstreckung gegen das Innere des
Kessels gerichtet; sanfte Abfälle hingegen, die Contre-Esearpe der Festung,
ge^er das Aeußere." Kein Wunder daher, daß die erobernden deutschen
Stämme einst, nachdem sie die Osthälfte der natürlichen Festung besetzt hatten,
nicht an der tiefgelegenen Mittellinie, am Nheinbette, stehen geblieben sind,
sondern ihre Posten bis auf die westlichen Außenwälle vorgeschoben haben.

Einfacher, jedoch nicht minder regelmäßig ist das niederrheinische Land
gestaltet. Hier dehnt sich zwischen der unteren Saar und der Wetterau,
zwischen der mittleren Maas und den Ruhrquellen von Südwesten nach
Nordosten die breite Hochfläche des Schiefergebirges aus. Gerade mitten
hindurch hat der Rhein von Bingen bis Bonn sein malerisches Thal sich
gebrochen, dann tritt er in die Kölner Bucht, die noch bis Düsseldorf hin¬
unter von den zurückweichenden Gehängen der Berge umschirmt ist. Wie
ein Schmetterlingsleib zwischen den ausgespannten Flügeln liegt die Strom¬
rinne da in das Schiefergebirge eingesenkt, das an der Saar, an der Sambre
und Maas wie an der Ruhr von den wahren Edelsteinbrüchen der Neuzeit,
den Kohlenlagern umsäumt ist. Betrachtet man diese natürliche Architektur
der Rheinlande, so kann man sich wohl fragen, warum nicht Straßburg im
Herzen des oberrheinischen oder Köln in dem des niederrheinischen Gebietes
sich zu völkerbeherrschenden Hauptstädten erhoben haben wie die Centren der
Tertiärbecken der Seine und Themse. Die Antwort liegt eben darin, daß
das Rheinthal im Norden wie im Süden als Schlagbaum über die große
Völkerstraße gelegt ist. Wo aber Nationen mit einander ringen, Pflegen sie
ihre Grenzen nicht mit dem Hammer des Geognosten, sondern mit dem
Schwert in der Faust abzustecken.

Aus der Schule bringt mancher die Anschauung mit, als sei wenigstens
einmal im Lauf der Geschichte, gerade in der Urzeit, der Rhein eine natio¬
nale Grenze, zwischen Kelten und Germanen nämlich, gewesen. Dennoch
läßt sich kein Augenblick angeben, wo dies Verhältniß strenggenommen statt¬
gefunden. Keltische Stämme oder doch bedeutende Neste von ihnen saßen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124584"/>
            <p xml:id="ID_1270" prev="#ID_1269"> den Hauptstrom zu fliehen, dem sie später doch wieder umgewandt ihre Wasser<lb/>
zuführen müssen. Das ganze Gebiet endlich ist gleichmäßig ummauert durch<lb/>
das weiße Korallenriff des Juragebirges, das sich von Coburg nach Regens¬<lb/>
burg, von da nach Schaffhausen, dann über Belfort und Vesoul zum linken<lb/>
Moselufer, endlich links an Toul und Metz vorüber bis an den westlichen<lb/>
Flügel der Ardennen herumzieht. &#x201E;Es ist eine Umgebung", sagt Leopold<lb/>
von Buch, der zuerst diese Verhältnisse klar gelegt hat, &#x201E;wie eine ungeheure<lb/>
Festung, welche fast von allen Seiten von ihren Festungsgräben umringt ist.<lb/>
Denn so wie ein mit Glacis versehener Graben ein äußerer Wall, so ist<lb/>
auch hiev die äußere Form dieser Juragebirge. Ihre steileren, ja oft fast<lb/>
senkrechten Abstürze sind auf ihrer ganzen Erstreckung gegen das Innere des<lb/>
Kessels gerichtet; sanfte Abfälle hingegen, die Contre-Esearpe der Festung,<lb/>
ge^er das Aeußere." Kein Wunder daher, daß die erobernden deutschen<lb/>
Stämme einst, nachdem sie die Osthälfte der natürlichen Festung besetzt hatten,<lb/>
nicht an der tiefgelegenen Mittellinie, am Nheinbette, stehen geblieben sind,<lb/>
sondern ihre Posten bis auf die westlichen Außenwälle vorgeschoben haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1271"> Einfacher, jedoch nicht minder regelmäßig ist das niederrheinische Land<lb/>
gestaltet. Hier dehnt sich zwischen der unteren Saar und der Wetterau,<lb/>
zwischen der mittleren Maas und den Ruhrquellen von Südwesten nach<lb/>
Nordosten die breite Hochfläche des Schiefergebirges aus. Gerade mitten<lb/>
hindurch hat der Rhein von Bingen bis Bonn sein malerisches Thal sich<lb/>
gebrochen, dann tritt er in die Kölner Bucht, die noch bis Düsseldorf hin¬<lb/>
unter von den zurückweichenden Gehängen der Berge umschirmt ist. Wie<lb/>
ein Schmetterlingsleib zwischen den ausgespannten Flügeln liegt die Strom¬<lb/>
rinne da in das Schiefergebirge eingesenkt, das an der Saar, an der Sambre<lb/>
und Maas wie an der Ruhr von den wahren Edelsteinbrüchen der Neuzeit,<lb/>
den Kohlenlagern umsäumt ist. Betrachtet man diese natürliche Architektur<lb/>
der Rheinlande, so kann man sich wohl fragen, warum nicht Straßburg im<lb/>
Herzen des oberrheinischen oder Köln in dem des niederrheinischen Gebietes<lb/>
sich zu völkerbeherrschenden Hauptstädten erhoben haben wie die Centren der<lb/>
Tertiärbecken der Seine und Themse. Die Antwort liegt eben darin, daß<lb/>
das Rheinthal im Norden wie im Süden als Schlagbaum über die große<lb/>
Völkerstraße gelegt ist. Wo aber Nationen mit einander ringen, Pflegen sie<lb/>
ihre Grenzen nicht mit dem Hammer des Geognosten, sondern mit dem<lb/>
Schwert in der Faust abzustecken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Aus der Schule bringt mancher die Anschauung mit, als sei wenigstens<lb/>
einmal im Lauf der Geschichte, gerade in der Urzeit, der Rhein eine natio¬<lb/>
nale Grenze, zwischen Kelten und Germanen nämlich, gewesen. Dennoch<lb/>
läßt sich kein Augenblick angeben, wo dies Verhältniß strenggenommen statt¬<lb/>
gefunden.  Keltische Stämme oder doch bedeutende Neste von ihnen saßen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] den Hauptstrom zu fliehen, dem sie später doch wieder umgewandt ihre Wasser zuführen müssen. Das ganze Gebiet endlich ist gleichmäßig ummauert durch das weiße Korallenriff des Juragebirges, das sich von Coburg nach Regens¬ burg, von da nach Schaffhausen, dann über Belfort und Vesoul zum linken Moselufer, endlich links an Toul und Metz vorüber bis an den westlichen Flügel der Ardennen herumzieht. „Es ist eine Umgebung", sagt Leopold von Buch, der zuerst diese Verhältnisse klar gelegt hat, „wie eine ungeheure Festung, welche fast von allen Seiten von ihren Festungsgräben umringt ist. Denn so wie ein mit Glacis versehener Graben ein äußerer Wall, so ist auch hiev die äußere Form dieser Juragebirge. Ihre steileren, ja oft fast senkrechten Abstürze sind auf ihrer ganzen Erstreckung gegen das Innere des Kessels gerichtet; sanfte Abfälle hingegen, die Contre-Esearpe der Festung, ge^er das Aeußere." Kein Wunder daher, daß die erobernden deutschen Stämme einst, nachdem sie die Osthälfte der natürlichen Festung besetzt hatten, nicht an der tiefgelegenen Mittellinie, am Nheinbette, stehen geblieben sind, sondern ihre Posten bis auf die westlichen Außenwälle vorgeschoben haben. Einfacher, jedoch nicht minder regelmäßig ist das niederrheinische Land gestaltet. Hier dehnt sich zwischen der unteren Saar und der Wetterau, zwischen der mittleren Maas und den Ruhrquellen von Südwesten nach Nordosten die breite Hochfläche des Schiefergebirges aus. Gerade mitten hindurch hat der Rhein von Bingen bis Bonn sein malerisches Thal sich gebrochen, dann tritt er in die Kölner Bucht, die noch bis Düsseldorf hin¬ unter von den zurückweichenden Gehängen der Berge umschirmt ist. Wie ein Schmetterlingsleib zwischen den ausgespannten Flügeln liegt die Strom¬ rinne da in das Schiefergebirge eingesenkt, das an der Saar, an der Sambre und Maas wie an der Ruhr von den wahren Edelsteinbrüchen der Neuzeit, den Kohlenlagern umsäumt ist. Betrachtet man diese natürliche Architektur der Rheinlande, so kann man sich wohl fragen, warum nicht Straßburg im Herzen des oberrheinischen oder Köln in dem des niederrheinischen Gebietes sich zu völkerbeherrschenden Hauptstädten erhoben haben wie die Centren der Tertiärbecken der Seine und Themse. Die Antwort liegt eben darin, daß das Rheinthal im Norden wie im Süden als Schlagbaum über die große Völkerstraße gelegt ist. Wo aber Nationen mit einander ringen, Pflegen sie ihre Grenzen nicht mit dem Hammer des Geognosten, sondern mit dem Schwert in der Faust abzustecken. Aus der Schule bringt mancher die Anschauung mit, als sei wenigstens einmal im Lauf der Geschichte, gerade in der Urzeit, der Rhein eine natio¬ nale Grenze, zwischen Kelten und Germanen nämlich, gewesen. Dennoch läßt sich kein Augenblick angeben, wo dies Verhältniß strenggenommen statt¬ gefunden. Keltische Stämme oder doch bedeutende Neste von ihnen saßen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/434>, abgerufen am 28.09.2024.