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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dringen nie ernstlich gewehrt haben. Beide Wege aber verengen sich nach
Westen zu, bis eben an der Grenze des rheinischen Gebiets der südliche sich
durch querlaufende Gebirgsschranken, der nördliche durch ein wenig wirth¬
liches Plateau und an der Küste selbst durch ein reich entwickeltes System
von vielverflochtenen Wasserzügen gesperrt sieht. So bilden denn die Rhein¬
lande als Ganzes ein großes zusammenhängendes Terrainhinderniß für die
Bewegungen der Völker, wohl geeignet von den Alpen bis zum Meere, wenn
diese Bewegungen nachgelassen, den Nationen im Osten und Westen als
Grenzgebiet zu dienen. >

Wohlverstanden: die Rheinlande! Der Strom selbst aber erweist sich
nirgends zu nationaler Abgrenzung geschaffen, er hält sich vielmehr genau in
der Mitte eines durchaus zusammengehörigen, wunderbar symmetrisch ange¬
ordneten Geländes. Man muß einen Blick werfen auf die prächtige geo¬
logische Karte von Deutschland, die Herr v. Dechen im vorigen Jahre vollen¬
det hat, um den Eindruck dieser Symmetrie ganz zu genießen. Nachdem der
Fluß sein Alpenquerthal verlassen, wo von einer historischen Bedeutsamkeit
seines Laufes natürlich noch nicht die Rede sein kann, dann, zum Theil im
Bodensee versteckt, die hüben und drüben gleichartige tertiäre Hochebene durch¬
kreuzt, darauf in Sturz und Sieg die Querriegel der Jurazüge durchbrochen
hat, lenkt er bei Basel in seine charakteristische, man kann sagen, weltgeschicht¬
liche Richtung ein. Von da bis Mainz und Bingen breitet sich das alte
Seebecken hin, ebenmäßig eingerahmt hier durch Schwarzwald und Oden¬
wald, dort durch Vogesen und Hardt, die. steil nach innen, gleich den Wän¬
den einer Kegelbahn, die lange, schmale Fläche des Seebodens umfriedigen.
Wie eine unsicher geworfene Kugel rollt das Stromwasser die glatte Bahn
dahin, bald der rechten, bald der linken Wand mehr genähert, im Ganzen
jedoch noch leidlich in der Mittellinie. Man braucht nicht erst an den
Farben des geologischen Abbildes die Gleichartigkeit der Gesteine zu beiden
Seiten zu erkennen; auch der einfache Tourist, der nur auf die äußere Phy¬
siognomie der Gebirge zu achten pflegt, erfreut sich bei der Rundschau von
der Münsterplattform zu Straßburg der einheitlichen Regelmäßigkeit dieses
großen Längenthals; nur die Beleuchtungseffecte der Morgen- oder Abend¬
sonne künden ihm an, welche Kuppen und Rücken den Schwarzwald bilden,
welche den Wasgenwald. Allein nicht blos im Innern dieses Oberrheinthals
herrscht völlige Einheit, auch nach außen setzt sich die symmetrische Anordnung
fort in den hügelerfüllten, nach Süden spitzen, im Norden breiten Ebenen
der Triasformation, hier der schwäbisch-fränkischen, dort der lothringischen,
jene vom Neckar und Main, diese von der oberen Mosel und ihren Zuflüssen
durchronnen. Von den sanfter geneigten Außenflächen der Rheinthalwände
herabgleitend scheinen dort Mosel, Meurthe und Saar, wie hier der Neckar


dringen nie ernstlich gewehrt haben. Beide Wege aber verengen sich nach
Westen zu, bis eben an der Grenze des rheinischen Gebiets der südliche sich
durch querlaufende Gebirgsschranken, der nördliche durch ein wenig wirth¬
liches Plateau und an der Küste selbst durch ein reich entwickeltes System
von vielverflochtenen Wasserzügen gesperrt sieht. So bilden denn die Rhein¬
lande als Ganzes ein großes zusammenhängendes Terrainhinderniß für die
Bewegungen der Völker, wohl geeignet von den Alpen bis zum Meere, wenn
diese Bewegungen nachgelassen, den Nationen im Osten und Westen als
Grenzgebiet zu dienen. >

Wohlverstanden: die Rheinlande! Der Strom selbst aber erweist sich
nirgends zu nationaler Abgrenzung geschaffen, er hält sich vielmehr genau in
der Mitte eines durchaus zusammengehörigen, wunderbar symmetrisch ange¬
ordneten Geländes. Man muß einen Blick werfen auf die prächtige geo¬
logische Karte von Deutschland, die Herr v. Dechen im vorigen Jahre vollen¬
det hat, um den Eindruck dieser Symmetrie ganz zu genießen. Nachdem der
Fluß sein Alpenquerthal verlassen, wo von einer historischen Bedeutsamkeit
seines Laufes natürlich noch nicht die Rede sein kann, dann, zum Theil im
Bodensee versteckt, die hüben und drüben gleichartige tertiäre Hochebene durch¬
kreuzt, darauf in Sturz und Sieg die Querriegel der Jurazüge durchbrochen
hat, lenkt er bei Basel in seine charakteristische, man kann sagen, weltgeschicht¬
liche Richtung ein. Von da bis Mainz und Bingen breitet sich das alte
Seebecken hin, ebenmäßig eingerahmt hier durch Schwarzwald und Oden¬
wald, dort durch Vogesen und Hardt, die. steil nach innen, gleich den Wän¬
den einer Kegelbahn, die lange, schmale Fläche des Seebodens umfriedigen.
Wie eine unsicher geworfene Kugel rollt das Stromwasser die glatte Bahn
dahin, bald der rechten, bald der linken Wand mehr genähert, im Ganzen
jedoch noch leidlich in der Mittellinie. Man braucht nicht erst an den
Farben des geologischen Abbildes die Gleichartigkeit der Gesteine zu beiden
Seiten zu erkennen; auch der einfache Tourist, der nur auf die äußere Phy¬
siognomie der Gebirge zu achten pflegt, erfreut sich bei der Rundschau von
der Münsterplattform zu Straßburg der einheitlichen Regelmäßigkeit dieses
großen Längenthals; nur die Beleuchtungseffecte der Morgen- oder Abend¬
sonne künden ihm an, welche Kuppen und Rücken den Schwarzwald bilden,
welche den Wasgenwald. Allein nicht blos im Innern dieses Oberrheinthals
herrscht völlige Einheit, auch nach außen setzt sich die symmetrische Anordnung
fort in den hügelerfüllten, nach Süden spitzen, im Norden breiten Ebenen
der Triasformation, hier der schwäbisch-fränkischen, dort der lothringischen,
jene vom Neckar und Main, diese von der oberen Mosel und ihren Zuflüssen
durchronnen. Von den sanfter geneigten Außenflächen der Rheinthalwände
herabgleitend scheinen dort Mosel, Meurthe und Saar, wie hier der Neckar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/433>, abgerufen am 29.06.2024.