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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Versuch einer Herstellung unserer provenzalischen Sprache, als Abbi Lambert
seine Arbeit begann. Die Absicht jener Männer war sicherlich nicht, den
Strom aufzuhalten, welcher, mit dem Provenzalischen, unsre Sitten und die
letzten Erinnerungen an unsre südlichen Einrichtungen fortreißt. So muthig
und kühn ihre Anstrengungen sein mochten, sie wußten sehr gut, daß sie
jenen Erfolg nicht erreichen würden; sondern ihr Gedanke, glauben wir, war
der, eine ehemals reiche und mächtige Sprache in ihrem Verfall zu
ehren und ihr bei ihrem Abschied ein erlauchtes Geleit zu geben, und
zu wünschen, wenn man ihr denn Lebewohl sagen mußte, daß dies
Lebewohl ein feierliches sei, und, mühte ein letztes Lied erklingen,
daß dies Lied so schön wie möglich wäre. Da haben sie den Baum,
dessen Saft heruntersteige und der seine Lebensfrische verloren, mit dem Hauch
des Enthusiasmus getroffen, und der Baum hat wieder gegrünt; sein alter
Stamm hat eine Kraft gewonnen, die größer geworden, als die seines Früh¬
lings war; seine Zweige haben sich mit Blüthen bedeckt; und da er verdorrt
schien, hat er sich in einen Glanz gekleidet, der ihm unvergänglichen Ruhm
verschafft. Und künftig, wenn die provenzalische Sprache, die aus unsern
Städten und unsern Dörfern verbannt ist, selbst unsre Felder verlassen haben
wird; wenn sie. unter dem Himmel wo ihre Wiegestand und auf dem Boden, der
während langer Jahrhunderte ihre Heimath gewesen, vergessen sein wird
wie eine Unbekannte und vernachläßigt wie eine Fremde: so wird sie nicht
in der Irre verloren gehn ohne Nachruhm . . . nein! das Denkmal, das diese
muthigen Talente errichtet haben, wird ihr Zuflucht bieten; dort wird sie
fortleben in unsterblicher Ehre, umgeben von den Werken derselben, von
deren Cultus und Andenken. Und später im Laus der Jahre, wenn an den
Ufern der Rhone, am Strand des Mittelmeers, am Var, an der Durance
und am Verdon, in deren Ebnen der Crau, am Fuß des Mont Victoire,
in den Thälern des Luberon, der Alpen und des Ventoux, wenn die Freunde der
Wissenschaft, Kinder unserer dann völlig französisch gewordenen Provence, fragen
werden, was das für eine Sprache gewesen, die von ihren Voreltern gesprochen
worden, so wird die Poesie, die an der Schwelle der Wohnung wacht, ihnen
den Eintritt öffnen, und sie werden sie in ihrem Tempel finden, nicht als
erloschene, sondern schlafend, immer noch auf der Stirn den Kranz, den die
Dichter flochten, und die Hand gestützt auf die schweigsame Lyra."

Der Pater hat die Gedächtnißrede doch zu früh gehalten. Und nicht
blos Mistral hat mit seinen lebensprudelnden Dichtungen mehr gewollt als
eine xvmpe tunebi'L, sondern auch der muntere AnHeber der occitanischen Be¬
wegung in der Provence. Roumanille, sang und schrieb, wie jeder wahre
Dichter nur darum in seiner Muttersprache, weil sie am besten ausdrückte,
wie es ihm ums Herz war, und ebenso sern lag der Muse Jansemin's die Re-


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Versuch einer Herstellung unserer provenzalischen Sprache, als Abbi Lambert
seine Arbeit begann. Die Absicht jener Männer war sicherlich nicht, den
Strom aufzuhalten, welcher, mit dem Provenzalischen, unsre Sitten und die
letzten Erinnerungen an unsre südlichen Einrichtungen fortreißt. So muthig
und kühn ihre Anstrengungen sein mochten, sie wußten sehr gut, daß sie
jenen Erfolg nicht erreichen würden; sondern ihr Gedanke, glauben wir, war
der, eine ehemals reiche und mächtige Sprache in ihrem Verfall zu
ehren und ihr bei ihrem Abschied ein erlauchtes Geleit zu geben, und
zu wünschen, wenn man ihr denn Lebewohl sagen mußte, daß dies
Lebewohl ein feierliches sei, und, mühte ein letztes Lied erklingen,
daß dies Lied so schön wie möglich wäre. Da haben sie den Baum,
dessen Saft heruntersteige und der seine Lebensfrische verloren, mit dem Hauch
des Enthusiasmus getroffen, und der Baum hat wieder gegrünt; sein alter
Stamm hat eine Kraft gewonnen, die größer geworden, als die seines Früh¬
lings war; seine Zweige haben sich mit Blüthen bedeckt; und da er verdorrt
schien, hat er sich in einen Glanz gekleidet, der ihm unvergänglichen Ruhm
verschafft. Und künftig, wenn die provenzalische Sprache, die aus unsern
Städten und unsern Dörfern verbannt ist, selbst unsre Felder verlassen haben
wird; wenn sie. unter dem Himmel wo ihre Wiegestand und auf dem Boden, der
während langer Jahrhunderte ihre Heimath gewesen, vergessen sein wird
wie eine Unbekannte und vernachläßigt wie eine Fremde: so wird sie nicht
in der Irre verloren gehn ohne Nachruhm . . . nein! das Denkmal, das diese
muthigen Talente errichtet haben, wird ihr Zuflucht bieten; dort wird sie
fortleben in unsterblicher Ehre, umgeben von den Werken derselben, von
deren Cultus und Andenken. Und später im Laus der Jahre, wenn an den
Ufern der Rhone, am Strand des Mittelmeers, am Var, an der Durance
und am Verdon, in deren Ebnen der Crau, am Fuß des Mont Victoire,
in den Thälern des Luberon, der Alpen und des Ventoux, wenn die Freunde der
Wissenschaft, Kinder unserer dann völlig französisch gewordenen Provence, fragen
werden, was das für eine Sprache gewesen, die von ihren Voreltern gesprochen
worden, so wird die Poesie, die an der Schwelle der Wohnung wacht, ihnen
den Eintritt öffnen, und sie werden sie in ihrem Tempel finden, nicht als
erloschene, sondern schlafend, immer noch auf der Stirn den Kranz, den die
Dichter flochten, und die Hand gestützt auf die schweigsame Lyra."

Der Pater hat die Gedächtnißrede doch zu früh gehalten. Und nicht
blos Mistral hat mit seinen lebensprudelnden Dichtungen mehr gewollt als
eine xvmpe tunebi'L, sondern auch der muntere AnHeber der occitanischen Be¬
wegung in der Provence. Roumanille, sang und schrieb, wie jeder wahre
Dichter nur darum in seiner Muttersprache, weil sie am besten ausdrückte,
wie es ihm ums Herz war, und ebenso sern lag der Muse Jansemin's die Re-


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[0431] Versuch einer Herstellung unserer provenzalischen Sprache, als Abbi Lambert seine Arbeit begann. Die Absicht jener Männer war sicherlich nicht, den Strom aufzuhalten, welcher, mit dem Provenzalischen, unsre Sitten und die letzten Erinnerungen an unsre südlichen Einrichtungen fortreißt. So muthig und kühn ihre Anstrengungen sein mochten, sie wußten sehr gut, daß sie jenen Erfolg nicht erreichen würden; sondern ihr Gedanke, glauben wir, war der, eine ehemals reiche und mächtige Sprache in ihrem Verfall zu ehren und ihr bei ihrem Abschied ein erlauchtes Geleit zu geben, und zu wünschen, wenn man ihr denn Lebewohl sagen mußte, daß dies Lebewohl ein feierliches sei, und, mühte ein letztes Lied erklingen, daß dies Lied so schön wie möglich wäre. Da haben sie den Baum, dessen Saft heruntersteige und der seine Lebensfrische verloren, mit dem Hauch des Enthusiasmus getroffen, und der Baum hat wieder gegrünt; sein alter Stamm hat eine Kraft gewonnen, die größer geworden, als die seines Früh¬ lings war; seine Zweige haben sich mit Blüthen bedeckt; und da er verdorrt schien, hat er sich in einen Glanz gekleidet, der ihm unvergänglichen Ruhm verschafft. Und künftig, wenn die provenzalische Sprache, die aus unsern Städten und unsern Dörfern verbannt ist, selbst unsre Felder verlassen haben wird; wenn sie. unter dem Himmel wo ihre Wiegestand und auf dem Boden, der während langer Jahrhunderte ihre Heimath gewesen, vergessen sein wird wie eine Unbekannte und vernachläßigt wie eine Fremde: so wird sie nicht in der Irre verloren gehn ohne Nachruhm . . . nein! das Denkmal, das diese muthigen Talente errichtet haben, wird ihr Zuflucht bieten; dort wird sie fortleben in unsterblicher Ehre, umgeben von den Werken derselben, von deren Cultus und Andenken. Und später im Laus der Jahre, wenn an den Ufern der Rhone, am Strand des Mittelmeers, am Var, an der Durance und am Verdon, in deren Ebnen der Crau, am Fuß des Mont Victoire, in den Thälern des Luberon, der Alpen und des Ventoux, wenn die Freunde der Wissenschaft, Kinder unserer dann völlig französisch gewordenen Provence, fragen werden, was das für eine Sprache gewesen, die von ihren Voreltern gesprochen worden, so wird die Poesie, die an der Schwelle der Wohnung wacht, ihnen den Eintritt öffnen, und sie werden sie in ihrem Tempel finden, nicht als erloschene, sondern schlafend, immer noch auf der Stirn den Kranz, den die Dichter flochten, und die Hand gestützt auf die schweigsame Lyra." Der Pater hat die Gedächtnißrede doch zu früh gehalten. Und nicht blos Mistral hat mit seinen lebensprudelnden Dichtungen mehr gewollt als eine xvmpe tunebi'L, sondern auch der muntere AnHeber der occitanischen Be¬ wegung in der Provence. Roumanille, sang und schrieb, wie jeder wahre Dichter nur darum in seiner Muttersprache, weil sie am besten ausdrückte, wie es ihm ums Herz war, und ebenso sern lag der Muse Jansemin's die Re- 55*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/431>, abgerufen am 29.06.2024.