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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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vorwirft, ist dessenungeachtet so berauscht von der Universalität dieses Cen¬
trums der europäischen Civilisation, daß er sagt (S. 101): "Frankreich mit
seiner Sprache, die so präcis ist, wie die Algebra, so lichtvoll wie die Sonne,
formulirt den Gedanken des Occidents. Daher kommt es. daß die ersten
Schriftsteller der Länder, die uns umgeben, nach keiner andern Weihe ver¬
langen, als nach der, ins Französische übersetzt zu werden." Es liegt somit
auf der Hand, daß es nur Beförderung des Rückschritts ist, wenn man so¬
gar innerhalb Frankreichs einer andern Sprache außer der französischen wieder
Geltung verschaffen will.

Der provenzalische Almanach für 1869 freilich, indem er Garcin vor¬
wirft, gegen den Himmel seiner Heimath zu speien und gegen seine eigene
Jugendliebe, weist daraus hin, daß man, ohne mit der französischen Annal
zu brechen, die Uniformität bekämpfen könne.

Indessen hat die lebhafte Abwendung Garcins wohl Manchen, der sich
unbefangen der schönen occitanischen Renaissance hingegeben hatte, stutzig ge¬
macht über die politische Tragweite einer solchen Bewegung. Ein Jesuiten¬
pater Bouffier hat zu den Weihnachtsliedern des unlängst verstorbenen Abbe"
Lambert, die um Anfang dieses Jahres unter dem Titel Betelön erschie¬
nen sind, eine Einleitung geliefert, in der er es so darstellt, als sei der
ganze gegenwärtige provenzalische Dichtungsflor nur als Abschiedsgruß für
die unwiederbringlich hinscheidende Sprache gemeint gewesen, als ein Immor-
tellenkranz, den die Pietät auf ihr Grab gelegt. "Abbe Lambert", sagt
er "hat in provenzalischer Sprache geschrieben; er hat der französischen un¬
sere südliche vorgezogen, die Sprache unsrer Väter, die Sprache unsrer alten
Troubadours. Man muß ihm dafür Dank wissen, denn es ist ein Zug des
Patriotismus. Unsre Sprache verschwindet in der That; die eindringenden
Fluthen der Centralisation werfen sie an ihre äußersten Grenzen zurück.
Paris legt uns als Herr seine Gesetze auf, seine Ideen, seine Sitten, seine
Moden, seinen Geschmack, seine Sprache. Unsre Bevölkerungen selbst, nach¬
dem sie das Provenzalische vertrieben haben aus ihren Schulen, aus ihren
Salons, aus ihren Kirchen, aus ihren Verhandlungen, haben die Harmonie
seines Klanges vergissni und kennen nur noch jenes rauhe und harte Idiom,
das sich in unsern Straßen und an unsern Ecken hinschleppt; die Meisten
behandeln es geringschätzig; Manche verwechseln es sogar mit einem gemei¬
nen Patois ohne Principien, ohne Regeln und ohne Literatur. Nicht zuzu¬
lassen, daß eine Sprache unrühmlich erlösche, sie nicht ohne Ehrenbezeugung
sterben zu lassen, ist ein achtungswerthes Benehmen, ein Vorhaben, das
Beifall verdient. Im Namen der Literatur und im Namen aller Sprachen,
die ja Schwestern sind, können wir jenen Gedanken nicht genug loben. Eine
zahlreiche Plejade junger und entschlossener Talente unternahm diesen edlen


vorwirft, ist dessenungeachtet so berauscht von der Universalität dieses Cen¬
trums der europäischen Civilisation, daß er sagt (S. 101): „Frankreich mit
seiner Sprache, die so präcis ist, wie die Algebra, so lichtvoll wie die Sonne,
formulirt den Gedanken des Occidents. Daher kommt es. daß die ersten
Schriftsteller der Länder, die uns umgeben, nach keiner andern Weihe ver¬
langen, als nach der, ins Französische übersetzt zu werden." Es liegt somit
auf der Hand, daß es nur Beförderung des Rückschritts ist, wenn man so¬
gar innerhalb Frankreichs einer andern Sprache außer der französischen wieder
Geltung verschaffen will.

Der provenzalische Almanach für 1869 freilich, indem er Garcin vor¬
wirft, gegen den Himmel seiner Heimath zu speien und gegen seine eigene
Jugendliebe, weist daraus hin, daß man, ohne mit der französischen Annal
zu brechen, die Uniformität bekämpfen könne.

Indessen hat die lebhafte Abwendung Garcins wohl Manchen, der sich
unbefangen der schönen occitanischen Renaissance hingegeben hatte, stutzig ge¬
macht über die politische Tragweite einer solchen Bewegung. Ein Jesuiten¬
pater Bouffier hat zu den Weihnachtsliedern des unlängst verstorbenen Abbe"
Lambert, die um Anfang dieses Jahres unter dem Titel Betelön erschie¬
nen sind, eine Einleitung geliefert, in der er es so darstellt, als sei der
ganze gegenwärtige provenzalische Dichtungsflor nur als Abschiedsgruß für
die unwiederbringlich hinscheidende Sprache gemeint gewesen, als ein Immor-
tellenkranz, den die Pietät auf ihr Grab gelegt. „Abbe Lambert", sagt
er „hat in provenzalischer Sprache geschrieben; er hat der französischen un¬
sere südliche vorgezogen, die Sprache unsrer Väter, die Sprache unsrer alten
Troubadours. Man muß ihm dafür Dank wissen, denn es ist ein Zug des
Patriotismus. Unsre Sprache verschwindet in der That; die eindringenden
Fluthen der Centralisation werfen sie an ihre äußersten Grenzen zurück.
Paris legt uns als Herr seine Gesetze auf, seine Ideen, seine Sitten, seine
Moden, seinen Geschmack, seine Sprache. Unsre Bevölkerungen selbst, nach¬
dem sie das Provenzalische vertrieben haben aus ihren Schulen, aus ihren
Salons, aus ihren Kirchen, aus ihren Verhandlungen, haben die Harmonie
seines Klanges vergissni und kennen nur noch jenes rauhe und harte Idiom,
das sich in unsern Straßen und an unsern Ecken hinschleppt; die Meisten
behandeln es geringschätzig; Manche verwechseln es sogar mit einem gemei¬
nen Patois ohne Principien, ohne Regeln und ohne Literatur. Nicht zuzu¬
lassen, daß eine Sprache unrühmlich erlösche, sie nicht ohne Ehrenbezeugung
sterben zu lassen, ist ein achtungswerthes Benehmen, ein Vorhaben, das
Beifall verdient. Im Namen der Literatur und im Namen aller Sprachen,
die ja Schwestern sind, können wir jenen Gedanken nicht genug loben. Eine
zahlreiche Plejade junger und entschlossener Talente unternahm diesen edlen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/430>, abgerufen am 29.06.2024.